Mit ihrer Forderung nach mehr Sinnstiftung und weniger politischer Stellungnahme hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) eine kontroverse Debatte über die Rolle der Kirchen entfacht. In der "Bild am Sonntag" äußerte sie, dass Kirchen sich wieder stärker auf grundlegende Fragen von Leben und Tod konzentrieren sollten – nicht auf tagesaktuelle politische Themen wie etwa Tempolimits:
"Ich meine: Klar kann sich Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer."
Die CDU-Politikerin erwartet von den Kirchen vor allem Trost, Stabilität und Orientierung im Alltag. Zwar sei es ein freies Land, räumte sie ein, doch gerade das C im Parteinamen ihrer Partei deute auf eine Erwartung hin: Sinngebung statt politischer Kommentierung.
Widerspruch von SPD und Grünen
Diese Haltung stieß bei politischen Gegnern auf deutlichen Widerspruch. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch erinnerte an die lange Tradition politischer Stellungnahmen der Kirchen und nannte Papst Franziskus sowie die US-Bischöfin Mariann Edgar Budde als Beispiele für mutige geistliche Stimmen in gesellschaftlichen Debatten. "Christinnen und Christen haben sich immer politisch eingemischt. Und das ist gut so!", sagte Miersch der "Rheinischen Post".
Auch der Grünen-Politiker Andreas Audretsch warf Klöckner vor, die Kirchen instrumentalisieren zu wollen:
"Wenn es mir passt, dann ist es okay, dass sich die Kirche äußert. Wenn es mir nicht passt, dann gehe ich dagegen vor."
Eine solche selektive Erwartungshaltung sei einer christlichen Partei nicht würdig – vor allem, wenn es um Themen wie Klimaschutz und Gleichheit gehe.
Ähnlich argumentierte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann im "Tagesspiegel": Kirche müsse sich zu Themen wie Humanität, sozialem Zusammenhalt und Nächstenliebe äußern – schließlich seien dies "existenzielle Fragen des Lebens".
Der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner begrüßte zwar grundsätzlich das Recht auf Kritik in einer offenen Demokratie – auch durch die Bundestagspräsidentin. Doch Klöckners Forderung nach Zurückhaltung der Kirchen im politischen Raum sei falsch: Gerade heute sei es wichtig, dass die Kirchen ihre Stimme gegen Militarisierung, soziale Spaltung und Inhumanität laut und deutlich erheben.
Unterstützung aus der Union – aber auch Kritik
Unterstützung erhielt Klöckner hingegen aus den eigenen Reihen. Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, sprach im RTL/ntv-Format "Frühstart" von einer "Gratwanderung".
Die Kirchen hätten eine politische Botschaft, müssten sich aber bewusst sein, dass mit konkreten Aussagen auch Kritik verbunden sei. "Je konkreter man wird, desto mehr wird man zum politischen Akteur – und dann muss man eben auch Kritik ertragen können."
Der frühere NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat die Kritik seiner Parteikollegin dagegen zurückgewiesen. "Kirche war immer politisch", sagte er am Dienstag im Fernsehsender phoenix. "Wer aus der christlichen Botschaft ableitet, dass man die Welt verändern soll, zum Guten verändern soll, die Welt gestalten soll, dann ist das immer eine politische Botschaft." Er wünsche sich "eine lebendige Kirche, die ihren Beitrag auch leistet zum Zusammenhalt der Gesellschaft".
Auch die frühere Bildungs- und Forschungsministerin Schavan (CDU) betonte: "Die Vorstellung der Politik, sie könne der Kirche sagen, wozu sie sich äußern soll, darf es nicht geben." Auch sie habe Situationen erlebt, in denen ihr nicht alles gepasst habe, was die Kirche gesagt habe. Doch Kirche müsse "so etwas wie ein Sparringspartner für die Parteien sein, die das C in ihrem Namen tragen", sagte die frühere Botschafterin im Vatikan.
Kritik an Kirchen nicht neu
Bereits vor einigen Wochen hatte Klöckner sich im Interview mit dem "Domradio" kritisch über die Kirchen geäußert.
Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte den Kirchen vor der Bundestagswahl eine weitgehend unpolitische Haltung empfohlen – und sie dabei gewarnt, sie könnten sonst alleine dastehen.
(mit Material von epd)
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