Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner ist gläubige Katholikin, war selbst lange im Zentralkomitee der deutschen Katholiken engagiert, ist in der Kirche verwurzelt. Man könnte also meinen, dass ihre Kritik an der Kirche durchaus Gewicht hat.

Doch diese Annahme hält einem Realitätscheck nicht stand: In einem Interview mit dem "Domradio" beklagt Klöckner, dass sich die Kirchen zu oft wie NGOs verhielten und sich in die Tagespolitik einmischten – etwa mit ihrer Forderung nach einem Tempolimit, die Klöckner ablehnt.

Die eigentlichen Aufgaben der Kirche, so Klöckner, seien andere: Seelsorge, Sinnstiftung, Standhaftigkeit in existenziellen Fragen wie Leben und Tod.

Sicher, ein Stück weit ist das nachvollziehbar. Natürlich braucht niemand eine Kirche, die sprachlich und inhaltlich nicht von einer x-beliebigen NGO zu unterscheiden ist. Aber der Grat, auf dem sich die CDU-Politikerin bewegt, ist schmal – und bei genauerem Hinsehen brüchig.

Denn was Klöckner beklagt, ist letztlich nicht eine Kirche, die zu politisch ist. Es ist eine Kirche, die nicht in ihrem Sinn politisch ist.

Forderungen nach unpolitischer Kirche zielen nicht auf Neutralität

Diese Haltung ist weit verbreitet. Viele, auch außerhalb der Unionsparteien und ihres politischen Milieus, wünschen sich eine unpolitische Kirche – fordern aber im gleichen Atemzug, dass sie Haltung zeigt. Nur bitte die richtige.

Zum Beispiel: Wenn sich Geistliche zur Seenotrettung äußern, Menschenrechtsverletzungen an den EU-Grenzen kritisieren oder sich gegen rassistische Hetze stellen, heißt es schnell: Das ist nicht Aufgabe der Kirche.

Geht es aber um den Schutz ungeborenen Lebens, um Bioethik oder assistierten Suizid, fordern dieselben Akteur*innen plötzlich, die Kirche solle bitte sehr laut werden, so wie jetzt Klöckner und kürzlich der bayerische Ministerpräsident Söder. Dieses Phänomen gibt es natürlich auch mit umgekehrten Vorzeichen.

Mit anderen Worten: Die Forderung nach einer unpolitischen Kirche ist in der Regel keine Forderung nach Neutralität. Sondern eine, die unbequeme Positionen zum Schweigen bringen will.

Wer Kirche zum Schweigen bringen will, wünscht sich frommes Feigenblatt

Natürlich kann man darüber diskutieren, wo und vor allem wie sich die Kirche einmischt. Man kann kritisieren, dass sie manchmal blass bleibt – wie zu Zeiten der Corona-Pandemie, wie Klöckner zu Recht anmerkt. Man kann sich auch mehr theologische Tiefe, mehr spirituelle Kompetenz wünschen.

Aber wer die Kirche zum Schweigen bringen will, sobald sie dem eigenen Weltbild widerspricht, wie Klöckner es hier durchscheinen lässt, der will letztlich keine Kirche, sondern ein frommes Feigenblatt, wie wir es über Jahrhunderte oft hatten. 

Dass Julia Klöckner ihre Kritik aus Verbundenheit formuliert, macht sie einerseits glaubwürdig. Aber auch sie muss sich fragen lassen, ob ihre Maßstäbe wirklich dem Auftrag der Kirche entsprechen – oder nur dem eigenen politischen Kompass.

Kommentare

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Michael.Hoffma… am Di, 15.04.2025 - 08:28 Link

Jula Glöckner sollte einfach mal in der Bibel lesen:

Das Alte Testament besteht zum großen Teil aus Dokumentation des Wirkens von Propheten. Und die Propheten hatten die Aufgabe, die Könige, die Machthaber zu kritisieren, den Machtmissbrauch anzuprangern und zur Rückbesinnung auf Gott aufzurufen. Also politische Einmischung pur, soweit die Jüdische Kultur.

Und Jesus? Wenn er die Reichen aufgerufen hat ihr Vermögen abzugeben? Oder wenn er im Tempel einen Aufstand gebaut hat und der vorherrschenden Klasse, den Leviten, die Existenzgrundlage, die Einnamen durch den Opfer-Handel entziehen wollte?

Er wurde dann ja umgebracht, weil die Mächtigen ihre Macht bedroht sahen (Herodes wollte ihn sogar schon gleich im Säuglingsalter ermorden), war er also unpolitisch unterwegs?

Florian Meier am Di, 15.04.2025 - 10:27 Link

Bischöfe und Pfarrer sind weder Jesus noch einsame Rufer in der Wüste selbst wenn sie sich so fühlen. Wir sind uns wohl einig, dass die Bibel nicht unpolitisch ist. Allerdings ist sie eher traditions- als moral orientiert. Jesus fragt: "Was steht geschrieben?" nicht "was findet ihr gut?" Insbesondere hat er oft den Anwesenden eine Wahl gelassen "wer frei von Sünde ist werfe den ersten Stein...", was explizit den sofortigen Steinwurf als Option mit einschließt. Mancher Reiche gibt nichts her und geht traurig weg (traurig nicht verurteilt). Wenn wir gesellschaftlich wieder dahin kommen, dass wir auch schlechte Wahlen akzeptieren ohne die Konsequenzen zu verschweigen, wenn wir auch einmal in die Wüste gehen oder einsam rufen und nicht um Zustimmung bitten sondern Erkenntnis erhoffen, dann sind wir schon einen kleinen Schritt weiter.

Victoria Lieberum am So, 13.04.2025 - 08:28 Link

In einem evangelischen Pfarrhaus mit seiner Freude an Diskussionen groß geworden sage ich: „Natürlich muss Kirche politisch sein!“.
Aber: politisch muss eben auch ausgewogen sein!
Nehmen wir die genannten Beispiele: Rettungsschiffe im Mittelmeer - die Rettung Ertrinkender ist zwingend geboten - aber es ist eben nicht damit getan, die Menschen irgendwo an Land zu schaffen. Von da an fühlen sich die Retter nicht mehr verantwortlich. Die Gesellschaft (jetzt plötzlich nicht mehr die Kirche) müsse das übernehmen. Andere müssen nun also die Konsequenzen bezahlen und die Kirche entzieht sich der weiteren Diskussion, schon weil sie bei sinkenden Einnahmen nicht dauerhaft für die Geretteten Unterhalt, Schulungen, Krankenkassenbeiträge, Rentenbeiträge usw zahlen könnte. Und faucht, wenn jemand das hinterfragt. Der barmherzige Samariter legte den Verletzten nicht nur im Gasthaus ab, sondern bezahlte den Wirt im Voraus.
Die Kirche hat nicht den Mut, das wachsende Dilemma unserer Gesellschaft anzuerkennen, helfen zu wollen, aber überfordert zu sein.

Wo sie selber sich überfordert fühlt, ist sie sehr viel schneller dabei: Pfarrer achten heute sorgsam auf sich (und ihre Familien). Seelsorge im echten Sinne = persönlichen Gespräch findet nur noch sehr schmale Zeitfenster: ein Geburtstagsbesuch, ein Krankenbesuch? Leider selten geworden. Seelsorge in Altenheimen, die stützende Sterbebegleitung einleitet - findet nicht statt. Einen Pfarrer für die Hochzeit an einem Samstag zu finden, gestaltete sich für unsere Kinder als wirklich schwierig (Küster, Organist, Putzfrau, also die prekariär Beschäftigten standen bereit, aber kein Pfarrer!); eine Bankrotterklärung, sich zu verweigern wenn heute noch ein Paar nicht die Kulisse, sondern den Segen sucht!
Ich selber habe als Kind oft erfahren, für solche Aufgaben des Vaters zurückstehen zu müssen - das war nicht immer einfach, aber ich habe ganz tief gespürt, wie wichtig ihm sein Beruf war, das war eben Beruf(ung), nicht ein Job. Wenn solches ganz tiefes, ganz persönliches Engagement fehlt, dann überzeugt auch die platt wirkende politische Einseitigkeit nicht, die heute oft von der Kanzel herab mit hohem Anspruch verkündet wird.

Ingrid Müller am So, 13.04.2025 - 11:59 Link

Der Pfarrer hat heute Jesu Einzug in Jerusalem mit Donald Trump verglichen,als er wieder Praesident wurde.
Der kommt in jeder Predigt vor,wie furchtbar dieser ist,das weiss ich aber aus den Nachrichten,dazu brauch ich keine Predigt am Sonntag.
Ein Pfarrer ist für mich authentisch wenn in den oft grossen Pfarrhauesern auch Fluechtlinge aufgenommen werden.

truk911 am Don, 17.04.2025 - 08:25 Link

Ihre Meinung in Ehren. Aber das ist mir doch zu billig, weil zu einfach. Ich war lange genug (über 50 jahre) Pfarrer und hatte in den hoch gepriesenen Pfarrhäusern immer auch ein Dienstzimmer, das Archiv der Kirchengemeind(n) etc. ... Authentisch? Wenn das Pfarrhaus keine Burg ist uvm , aber sicher nicht die Aufgabe jeglicher Privatsphäre. Haben sie schon einmal in einem Pfarrhaus gewohnt?
Wenn Sie schon urteilen und fordern, sollten Sie sich nicht von vorne herein disqualifizieren.

Florian Meier am Di, 22.04.2025 - 18:31 Link

In der Tat haben auch Pfarrer ein Recht auf Freizeit und Rückzug gerade heute, wo der Beruf durch oft schwindende Gemeinden viele Erwartungen und bröckelnde Strukturen geprägt ist, der es gerade jungen Leuten nicht leicht macht optimistisch sich ins Pfarrleben zu werfen. Allerdings entsteht tatsächlich manchmal der Eindruck, dass Schiffe bejubelt werden und man dann die Gestrandeten und Geretteten der Gesellschaft vor die Füße kippt. Aus meinem eigenen Erleben ist das aber mitnichten so. Nicht nur, dass Flüchtlinge teilweise in Kirchenräumen und -wohnungen einquartiert werden, auch sonst gibt es einige Initativen und Kreise um den Start im Land zu vereinfachen und das in vielen Gemeinden. Man gibt auch nicht nur sondern bekommt auch etwas zurück. Es stimmt aber, dass am Ende des Tages nicht die Kirche für das Land entscheiden kann, wer dazugehört. Die Kirche kann auf die Bedürftigkeit aller Menschen verweisen, Möglichkeiten aufzeigen und Mut machen. Am Ende des Tages kommt es aber auf uns alle an wie wir das Zusammenleben entwickeln. Ein Fehler war durch moralischen Rigorismus ein Gefühl der Entmündigung zu erzeugen. Das hat den Zusammenhalt geschwächt. Auch wird uns von Kindesbeinen an die Privilegiertheit die wir genießen gerne gepredigt und oft etwas vermiest. Das motiviert nicht gerade besonders, wenn man auch negative Erfahrungen macht (die gibt es immer, wo Menschen zusammen kommen) und sich eher überfordert und hilflos fühlt, was viele Menschen einmal erleben gerade in den turbulenten Zeiten. Ich habe zuletzt einige gute Predigten gehört, die diese Gefühlslage aufnahmen ohne Solidarität und die gemeinsame Gotteskinderschaft zu verraten.

Florian Meier am Don, 10.04.2025 - 21:02 Link

Politiker wollen gelobt und nicht kritisiert werden - so neu ist das nicht und trifft auch auf viele außerhalb dieses Personenkreises zu. Genauso wie die Kirche natürlich selbst bestimmt wie sie sich politisch positioniert, steht es aber auch Politikern frei sie jederzeit zu kritisieren, wenn es ihnen angemessen erscheint. Unabhängig davon wieviel Selbstbezogenheit man ihnen dabei unterstellt, trifft es allerdings nicht zu, dass die Kirche früher in höheren Sphären schwebte und heute ihr politisches Wesen entdeckt hat. Vielmehr war die Kirche schon im Mittelalter ein politischer Akteur, der mal mit, mal gegen Kaiser und König agierte - gerade in Deutschland. Auch Luther forderte den Kaiser heraus, was den Landesfürsten z. T. gut ins Konzept passte um mehr Souveränität von Kaiser und Rom zu erlangen. Auch in Osteuropa hat die Kirche neben der universalistischen auch eine sehr nationalistische Tradition: Wir sind Papst galt auch einmal für Polen und von diversen Patriarchen und Popen reden wir lieber nicht. Das ist nicht neu und mal mehr, mal weniger problematisch. Neu ist allerdings, dass sich das kirchliche Milieu seit dem 19. Jh. bei uns zunehmend verengt und eine Entfremdung ganzer Gesellschaftsgruppen einsetzte. Dementsprechend wird die kirchliche Positionierung nicht mehr als rein selbst bezogen oder breit aufgestellt wahrgenommen sondern als Klientelposition wie sie Vereine und Verbände öffentlich vertreten. Da geht die Sonderstellung verloren. Deswegen muss sich die Kirche unabhängig, ob sie bestimmte Politiker für besonders heilig oder unheilig hält überlegen wie sie über den geschrumpften Kreis der Kirchenbesucher hinaus relevant und beachtet bleiben kann.