Während sich die CDU unter Friedrich Merz migrationspolitisch weiter nach rechts bewegt, lenkt Markus Söder die Debatte geschickt um. Anstatt sich mit der kritischen Auseinandersetzung innerhalb der Union zu befassen – insbesondere mit ihrer bedenklichen Nähe zur AfD – sucht er sich ein anderes Ziel: die Kirchen.
Der selbsternannte Kirchenfürst
Auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg forderte Söder die Kirchen auf, sich stärker auf "christliche Themen" zu konzentrieren – gemeint waren jene, die mit der CSU-Agenda übereinstimmen. Als selbsternannter "engagierter Christ" verlangte er mehr Einsatz für Paragraf 218 und den "Lebensschutz". Doch weil er weiß, dass die Kirchen alles andere als eine monolithische Einheit sind, schob er vorsorglich hinterher: "Deswegen keine Kritik." Dann folgte das unvermeidliche "Aber":
"Nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Institution Kirche steht – das sind nämlich wir. Nicht, dass man irgendwann ganz plötzlich alleine steht. Denkt mal drüber nach!"
Mit dieser Rhetorik inszeniert sich der bayerische Ministerpräsident als Hüter der CSU-Werte – doch sein Kirchenverständnis bleibt fragwürdig. Er spricht von Treue zur Kirche, meint aber Gehorsam. Und wenn es sein muss, setzt er auf Druckmittel wie finanzielle Abhängigkeiten. Dabei erweckt er den Eindruck, als würde er die Kirchengehälter aus eigener Tasche zahlen, obwohl es überwiegend die Steuerzahlenden sind, die über das System der Kirchensteuer dafür aufkommen. Während die Kirchen dem Staat durch Bildung, Sozialarbeit und Seelsorge erhebliche Kosten ersparen, präsentiert Söder Bayern wie ein mittelalterliches Kirchenfürstentum.
Ablenkungsmanöver mit durchsichtigem Kalkül
Söders Strategie ist offensichtlich: Er stilisiert die Kirchen als politische Gegner, um die eigentliche Frage zu umgehen – wie weit ist die Union bereit, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen? Erst kürzlich verabschiedeten CDU/CSU, FDP und AfD im Bundestag einen Antrag, der dauerhafte Grenzkontrollen, Zurückweisungen von Flüchtlingen und unbefristete Inhaftierungen vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer fordert. Die Kirchen kritisierten sowohl die Inhalte als auch die stillschweigende Kooperation mit der AfD. Diese Kritik konnte Söder nicht unbeantwortet lassen.
Doch hier wird es unangenehm für die Union – oder, um es mit einem beliebten Anglizismus zu sagen: eine "slippery slope".
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Wer christliche Werte für politische Zwecke instrumentalisiert, verliert nicht nur an Glaubwürdigkeit, sondern offenbart auch ein grundlegendes Missverständnis über die Aufgabe der Kirche. Diese ist eine unabhängige Institution, die sich für die Würde des Menschen einsetzt, ethische Orientierung bietet und gesellschaftliche Entwicklungen kritisch begleitet. Sie ist für die Menschen da – nicht für die Politik.
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Wer mit der einen Hand Kruzifixe hochhält und mit der anderen die Deutungshoheit über den christlichen Glauben beansprucht, offenbart ein problematisches Verhältnis zur Unabhängigkeit der Kirche. Theologieprofessor Jörg Lauster von der LMU bringt es auf den Punkt: Das Christentum ist eine kritische Theorie, die sich nicht für irdische Machtspiele vereinnahmen lässt – und sich erst recht nicht vorschreiben lässt, was "christlich" zu sein hat.
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Die Art und Weise, wie Söder christliche Werte für seine politische Agenda benutzt, führt zu einem gefährlichen Fehlschluss: Kritik an der Union = unchristlich, Einsatz für Paragraf 218 = christlich. Gleichzeitig mokiert er sich über "seltsame Feiertage" in anderen Bundesländern, während er in Bayern die "christlichen" Feiertage feiert. Die Fixierung auf Kreuze in öffentlichen Gebäuden und den Religionsunterricht passt in dasselbe Schema.
Die vergiftete Botschaft
Söders Strategie ist ein kalkulierter, aber gefährlicher Schachzug. Er instrumentalisiert die Kirchen, um seine eigene politische Linie zu stärken und die Widersprüche innerhalb der Union zu kaschieren. Doch eigentlich ist es genau andersherum: Die Kirche soll den Staat an seine Verantwortung erinnern – an die Achtung der Menschenwürde, an Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit. Ihre Aufgabe ist es nicht, Parteiprogramme zu segnen.
Dass es unangenehm ist, wenn der Politik auf die Finger geschaut wird, hat Söder selbst durchblicken lassen. Doch eine Kirche, die sich nach seinem Maßstab richtet, wäre keine Kirche mehr, sondern eine CSU mit Abendmahl und Weißwürsten – ein Arrangement, das weder dem Staat noch der Kirche guttäte.
Deshalb zum Schluss eine "doppelte Bitte" zurück: Hören Sie auf, die Kirche als politische Spielfigur zu benutzen, und gewähren Sie ihr die Freiheit, der Politik kritisch zu begegnen – auch wenn das unbequem ist. Und überlegen Sie, warum man Ihrer christlichen Haltung vertrauen sollte, wenn Ihre politischen Entscheidungen oft jenen Grundwerten widersprechen, die Sie selbst als Christ vertreten: Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Menschenwürde.
Kommentare
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Ich kenne wenige, die sich…
Ich kenne wenige, die sich so ausgeprägt und offensichtlich opportunistisch verhalten wie er. Man versteht ihn am besten, wenn man sich in einen Menschen hineindenkt, der von nur einem Wert getrieben ist: was nützt mir, meinem Ego, meiner Bedeutung und meinem Einfluss in diesem konkreten Moment der Geschichte am meisten?
Er tut alles, was ihm nützt, und nur das. Er umarmt Bäume, wenn er meint, die meisten Wähler ticken grün. Er montiert Kreuze in Klassenzimmer und Amtsstuben, wenn er meint, die Wähler stehen auf die Werte des Abendlandes. Er preist die Atomkraft (die er ja eigentlich ablehnt), wenn er sich einen politischen Gewinn verspricht. Der fleischgewordene Opportunismus. Ein rostiger Wetterhahn im Wind der Meinungen, ein Meister des Nachplapperns und Verstärkens dessen, was gerade mehrheitsfähig ist mit dem klaren Ziel des eigenen Machterhalts. Das scheint der Richtwert seines Lebens zu sein. Zumindest der seines beobachtbaren politischen Lebens. Das wirkt dann halt immer besonders volksnah, deutlich, ehrlich und offen. Jedenfalls für die angesprochene Zielgruppe. Wenn der Wind sich dreht, stehen die dann plötzlich im Regen.
Jetzt drischt er halt auf die Kirchen ein, die eh schon unter Feuer stehen, und droht ihnen. Wenn er spürt, dass der Einfluss der Kirchen durch Austritte und Wertewandel abnimmt, dann ist da halt nichts mehr zu holen für ihn. Irgendwann konvertiert er dann vielleicht zum Islam, wenn die Mehrheit vermeintlich in diese Richtung steuern sollte. Oder glaubt an den großen Kürbis der Peanuts, wenn nur genügend Leute dies auch tun.
Dem Mann ist nicht zu trauen, mehr noch, er ist gefährlich. Das ist keiner, der für seine Überzeugung einsteht, auch nicht seine nur vorgeblich christliche, sondern nur für sich und sein politisches Überleben. Das Christentum aber fordert ein Einstehen für Liebe, Nächstenliebe und sogar den Feind. Und für die Ärmsten und Schwächsten. Und das ist selten, wenn überhaupt, mehrheitsfähig.
Die Kirchen ersparen dem…
Die Kirchen ersparen dem Staat erhebliche Kosten.
Stimmt das?
Wo leistet die Kirche soziales ohne staatliche Gelder?
Viele Immobilien besitzt die Kirche und diese werden unentgeltlich für geflüchtete zur Verfuegung gestellt?
Caritas und Diakonie arbeiten aus reiner Naechstenliebe?
Ich sehe den Unterschied nicht ob nun die Kirche soziale Arbeit leistet oder ohne kirchlichen Bezug.Alles muss bezahlt werden.
In einer Klinik war die Seelsorge eine Halbtagesstelle und spendenfinanziert.z.B.
Sehr geehrte Frau Kingreen,…
Sehr geehrte Frau Kingreen,
Ihr Kommentar zu Markus Söders Aussagen auf dem CSU-Parteitag zeichnet ein Bild, das den bayerischen Ministerpräsidenten als politischen Strippenzieher darstellt, der die Kirche für seine Zwecke instrumentalisieren will.
Folgende Gedanken dazu:
Seit Jahrzehnten tendieren vor allem die evangelischen Landeskirchen in den großen politischen Streitfragen zu Rot-Grün – von der Nachrüstungsdebatte der 1980er-Jahre bis zum aktuellen Streit um Zuwanderungsbegrenzung. Diesen Linkstrend meiner bayerischen Landeskirche, vor allem der Synode, zu beklagen macht müde. Wo blieb Ihr kritischer Einwand, als die Synode der ELKB den Klimaaktivisten eine Bühne bot, nicht aber Polizisten, deren Einsatz Sonderschichten abverlangte? Von betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die unter den unverhältnismäßigen Klima-Protesten litten, will ich gar nicht reden. Aber wahrscheinlich gilt auch in Ihrer Redaktion: „Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing…“
Wenn jemand christliche Werte für politische Zwecke instrumentalisiert, dann ist es "die Kirche" selbst, im obigem Beispiel die Vielzahl der evangelisch-lutherischen Synodalen.
Oder blicken Sie auf die Landessynode der evangelischen Kirche im Rheinland. Anfang Februar beschlossen deren Synodalen Initiativen gegen angeblich grassierenden Rassismus in ihrer Kirche. Zum guten Ton gehörte es, Friedrich Merz wegen des Plans, Grenzen zu schützen, zu beschimpfen.
Aber was ist mit all den Kriminalitäts-Opfern, den Vergewaltigten, Verprügelten und Ermordeten, die auf das Konto irregulärer Einwanderer gehen? Deren Aufnahme hatten die Kirchen schließlich eingefordert! Wo ist hier die Stimme meiner Kirche zu hören?
Ihr Kommentar unterstellt Söder, dass er die Kirche unter Druck setzen wolle. Dabei scheint Ihnen entgangen zu sein, dass er vielmehr darauf hinweist, dass die Kirchen sich nicht selbst ins Abseits manövrieren sollten. Denn tatsächlich stellt sich die Frage: Wenn sich die Kirchen immer stärker in parteipolitische Auseinandersetzungen begeben, in denen sie sich einseitig positionieren, verlieren sie dann nicht ihre Glaubwürdigkeit als moralische Instanz für alle? Das wichtige "Wächteramt" der Kirche dem Staat gegenüber sollte nicht rot-grün gefärbt sein...
Und ein Hinweis zum Schluss:
Einer wird sich über Ihren Kommentar besonders freuen: Ihre Chefredakteurin. Denn ein Kommentar ist dann gut, wenn er Emotionen weckt und möglichst viele Leserinnen sowie Leser schriftlich reagieren. Zumindest das scheint Ihnen gelungen.
Wenn die Kirche sich in…
Wenn die Kirche sich in politische Themen einmischt, muss sie sich auch die Antwort von der Politik gefallen lassen.
Und nebenbei: Kirche fällt v. a. durch politische Stellungnahmen auf, nicht durch die unangenehme Verkündigung des Evangeliums.
Hier würde ich doch die…
Hier würde ich doch die Gemeindeebene von der "Kirchenpolitik" etwas getrennt betrachten. Im Sonntagsgottesdienst geht es sehr wohl oft um Verkündigung. Die Synodalen sind oft Menschen, die sich schon auf Gemeindeebene breit engagiert haben und so ist eine eher soziale und offene Haltung nicht verwunderlich. Ich fände auch Gegenteiliges eher erschreckend. Soviel muss zur Ehrenrettung der Ehrenamtlichen in der Kirche, aus denen sich auch viele Synodale rekrutieren, gesagt werden.
Die Kritik am…
Die Kritik am Ministerpräsidenten ist sicher berechtigt und seine Aussagen z. T. hochproblematisch. Allerdings darf die Kirche auch einmal in sich gehen und sich selbst von aussen betrachten inwiefern das Bild der Unabhängigkeit denn wirklich von aussen sichtbar ist. Da wird die Beibehaltung der Kirchensteuer bejubelt und auch sonst wenig unternommen sich aus der Rolle der Volkskirche, die längst nicht mehr passt zu lösen. Am Kirchentag predigen Präsidenten und der hier Geschmaehte hält eine Andacht. Keine Tagespolitik ist zu zeitgeistig, dass sich kein Bischof dazu äußern mag und wenn die Republik gegen "rechts" - nicht Antidemokraten - demonstriert (das ist von Klaus Töpfer bis Björn Höcke, von Geißler bis zur Werteunion ein ziemliches Spektrum und etwa die Hälfte der Wählerschaft, dann ist man nicht nur mit dabei sondern gerne in Reihe 1. Evangelikale sind auch irgendwie peinlich und alles was irgendwie traditionell ist und für Israel/Palästina wird laut gebetet, für den Kongo eher leise, manchmal scheint Amerika näher als der eigene Marktplatz und Kirchen werden zur Fläche für politische Parolen, Regenbogen und sonstige Fahnen. Auf der unteren Ebene, im Gottesdienst erlebe ich eine tatsächlich buntere, nachdenklichere, streitendere und offenere Kirche als auf der großen Bühne, wo man bisweilen das Gefühl hat die EKD wolle Ausgrenzung und Polarisierung von der Strasse in die Gemeinden tragen. Das ist traurig, denn eigentlich ist Inklusivitaet eine Stärke der Kirche, man kann in ihr tatsächlich frei denken, den Alltag beiseite lassen und Menschen begegnen, die man sonst kaum träfe. Wenn die Kirche frei sein will, muss sie das auch ein Stück weit leben und angesichts leerer und entwidmeter Kirchen ist etwas Bescheidenheit bei allem berechtigten Anspruch auf Weltrettung auch nicht immer verkehrt.
Ihr Kommentar ist an dieser…
Ihr Kommentar ist an dieser Stelle vollkommen überflüssig, weil Ihre Haltung inzwischen sattsam bekannt ist. Was Söder da treibt ist eigentlich lächerlich, weil er es natürlich besser weiß - auf der anderen Seite ist es traurig, weil er ein bißchen Trump spielt. Ernst nehmen kann ich beides nicht. Übrigens in meiner Bibel steht ein tröstlicher Satz: "Hochmut kommt vor dem Fall" - der angeblich bibelfeste MP sollte es wissen.
Eher friert wohl die Hölle…
Eher friert wohl die Hölle zu und das ist genau der Punkt. Unabhängig von der konkreten Politik und der Person vertritt das rechte Lager etwa 2/3 der Bayern. Will man die alle vor die Kirchentüre setzen? Wie geht das irgendwie noch mit dem Anspruch einer universalistischen und "bunten" Kirche zusammen? Das bedeutet ja nicht, dass man einzelne Aussagen oder Beschlüsse nicht kritisieren darf oder bestimmte Volksvertreter für wenig geeignet halten darf das Land verantwortlich zu führen. Selbst innerhalb der Lager gibt es ja oft heftigen Zoff. Wenn aber alles was nicht den eigenen Progressionsvorstellungen entspricht schon "bäh" ist, dann verzwergt und vernagelt sich die Kirche und das ist schade, denn gerade die innere Reibung - nebenbei ein urchristliches Phänomen macht Kirche lebendig. Über die Person des MP sind wir uns vermutlich Recht einig.
Ihr Kommentar ist an dieser…
Ihr Kommentar ist an dieser Stelle vollkommen überflüssig, weil Ihre Haltung inzwischen sattsam bekannt ist. Was Söder da treibt ist eigentlich lächerlich, weil er es natürlich besser weiß - auf der anderen Seite ist es traurig, weil er ein bißchen Trump spielt. Ernst nehmen kann ich beides nicht. Übrigens in meiner Bibel steht ein tröstlicher Satz: "Hochmut kommt vor dem Fall" - der angeblich bibelfeste MP sollte es wissen.
Danke Frau Kingreen! Warum…
Danke Frau Kingreen! Warum wird der falsche, weil pauschale Satz "der Staat zahlt die Gehälter der kirchlichen Mitarbeiter" nicht auch von anderen Medien dementiert bzw. klargestellt?