Klappstühle, Hocker, Sessel: 37 Sitzgelegenheiten aller Art drängeln sich vor der großen Fensterfront des offenen Wohnraums, der aus dem luftigen Dachgeschoss den Blick auf die Chiemgauer Berge öffnet. Morgen ist wieder "Kultur im Salon", eine lose Veranstaltungsreihe, die Elke Schroeder organisiert, seit sie vor sieben Jahren mit ihrem Mann Hans nach Rosenheim gezogen ist. So war es all die Jahre in der Schroeder'schen Wohnung: Gäste und Leben willkommen, ob Freunde, Bekannte, Nachbarn oder Fremde.

Doch diesmal ist etwas anders: Der Hausherr fehlt. Hans Schroeder lebt seit vier Wochen im Pflegeheim. Seine Frau sitzt auf einem der Stühle und schaut in die Ferne, sie sagt:

"Es ist wirklich vorbei."

Die Tränen kennt sie schon, sie kommen ungefragt und versiegen schnell, es ist alles noch so neu. Alzheimer ist keine Krankheit mit Happy End. Seit zwei epileptischen Anfällen im November 2023 und den damit verbundenen Notarzt-Einsätzen hatte ihr Mann die verständliche Sprache und die Fähigkeit, selbstständig zu laufen, verloren. "Zweimal Hektik, Beruhigungsmittel, Krankenhaus, liegen müssen und nicht verstehen, wieso", erklärt die 75-Jährige die rapide Verschlechterung seines Gesundheitszustands.

Jeden Mittag geht sie pünktlich um halb zwölf ins Pflegeheim, um ihrem Mann das Essen zu geben

Zwei Wintermonate half ein Pflegedienst, dann übernahm Elke Schroeder dessen Arbeit selbst. Was sie wirklich brauchte, war jemand, der bei Notfällen zur Stelle war, wenn Hans beim Laufen an ihrem Arm müde wurde und sie ihn zu Boden gleiten lassen musste. "Ich habe so viel Hilfe erfahren", sagt sie, die keine Scheu kennt, und ihre Augen leuchten. Sie fragte die Nachbarn im Haus oder Passanten auf der Straße oder auch mal die Feuerwehr: Immer war jemand bereit, mit anzupacken und ihren Mann wieder auf die Füße zu stellen, hinzusetzen, ins Bett zu legen.

Doch schließlich musste sie einsehen, dass es nicht mehr ging:

"Ich hab Hans nicht mehr hochbekommen, wenn er müde war oder nicht wollte."

Anfang Juni zog der Pfarrer in das Pflegeheim, in dem er noch ein paar Jahre zuvor die Gottesdienste gehalten hatte. Sein Zimmer dort ist so persönlich eingerichtet, wie das eben geht: Ein kleiner Perserteppich ziert den PVC-Boden, neben dem Schrank steht der halbhohe, dunkelrote Plastikluther, in der CD-Sammlung wartet Paolo Conte auf seinen Einsatz, die halbfertige Stricksocke auf dem Tisch zeugt davon, dass Elke Schroeder oft hier im Sessel am Fenster sitzt und sich die Zeit vertreibt.

Jeden Mittag ist sie pünktlich um halb zwölf da, um ihrem Mann das Essen zu geben. Aus seinen wacheren Tagen zuhause kennt sie noch den kritischen Blick und die Frage: "Wer sind Sie denn?" Deshalb begrüßt sie ihn stets mit einem Kuss und einer kleinen Erinnerung:

"Ich bin Elke, ich bin deine Frau."

Hans-Martin Schroeder sitzt in einem Rollstuhl, ein Beckengurt verhindert, dass er, der stark gebeugt ist und den Blick zumeist nach unten hält, aus dem Stuhl kippt. Wenn seine Frau ihm zu essen gibt, kaut er energisch, und bei manchen Gesprächsfetzen scheint er kurz innezuhalten und von weit her zu lauschen. Doch was er wirklich versteht und empfindet, das bleibt hinter meist geschlossenen Augen und gewisperten Wortfetzen verborgen.

Was Elke Schroeder manchmal umtreibt: "Wenn ich nicht weiß, was ich mit ihm machen soll - ich bin doch seine Frau, mir muss doch etwas einfallen!" Deshalb ist ihr das Mittagessen so wichtig: Beziehungspflege, gemeinsames Tun. Manchmal schiebt sie Hans im Rollstuhl die 20 Minuten nach Hause, dort kann sie nebenbei den Haushalt machen oder den endlosen Schreibkram mit Kasse und Versicherung erledigen. Was ihr auch zu schaffen macht: Nie mehr aktiv in den Arm genommen zu werden. "Es tut weh, ihn so zu sehen, den Mund offen und die Augen irgendwo", sagt die Lebenspartnerin mit Bedauern.

Dass sie jetzt, allein in der Wohnung, wieder ruhig schlafen kann, ist eine Entlastung

Was ihr hilft: Leben im Augenblick. "Ich habe nie gedacht: Ich war diesen Sommer noch gar nicht baden, ich hatte noch kein Wochenende frei. Mein Leben ist halt jetzt so." Manches ergibt sich spontan, ein Nachmittag mit Faltrad in München, ein Abend mit Freundin im Kino. Dass sie jetzt, allein in der Wohnung, wieder ruhig schlafen kann, ist eine Entlastung. Dass sie schon früher beim Wandern mit Hans oft schweigend gemeinsam gegangen sind, hilft ihr im stillen Pflegezimmer.

Der Gedanke ans Sterben ist da, aber die Zukunft malt sich Elke Schroeder nicht aus: Wo sollte das hinführen?

"Ich weiß, wir haben unsere Liebe gelebt, da ist kein 'ach hätt' ich doch' geblieben", sagt sie.

Zu Beginn der Krankheit habe sie dafür gebetet, in ihre neue Aufgabe hineinzuwachsen. "Jetzt bete ich manchmal: Lass mich wieder hinauswachsen." Ganz fern am Horizont wartet, wie eine Fata Morgana, der alte Herzenswunsch, einmal in der Wüste im Freien zu schlafen - dieser Sternenhimmel, diese Luft! Elke Schroeder lächelt. Der Gedanke fühlt sich unwirklich an. Ganz wirklich ist ihr Leben im Hier und Jetzt. Mit ihrem Mann im Rollstuhl, der meistens mitbrummt, wenn sie ein Kirchenlied anstimmt. Mit dem täglichen Weg zwischen Dachwohnung und Pflegeheim, bei Regen und Sonnenschein. Und mit dem Gefühl, trotz allem behütet zu sein.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden