"Ein Schulranzen allein macht es nicht aus"
Frau Ries, welche Herausforderungen sehen Sie speziell in Nürnberg, die zur hohen Nachfrage nach gespendeten Schulmaterialien beitragen?
Elisabeth Ries: Kinder und Familien sind hier überproportional von Armut betroffen. Statistiken zeigen, dass Kinder unter 15 Jahren häufiger Sozialleistungen beziehen als ältere Altersgruppen. Das bedeutet, dass die Mittel knapp sind und die Kinder oft nicht ausreichend für den Schulstart ausgestattet sind. Ein guter Start in die Schule ist wichtig, und das Materielle spielt dabei eine Rolle. Ein Schulranzen allein macht es nicht aus, aber das Gefühl, gut ausgestattet zu sein, ist für den Schulbeginn entscheidend.
Der Schulranzen hat also auch eine symbolische Aussagekraft?
Ja. Ein gebrauchter Schulranzen würde natürlich ausreichen. Familien, die aufs Geld achten müssen, schätzen einen neuen Schulranzen aber besonders. Wenn Kinder mit den neuesten Dino- oder Fußballmotiven auf dem Ranzen starten können, fühlen sie sich gleichberechtigt. Im Bildungssystem beeinflusst die Herkunft immer noch den Erfolg. Dabei geht es nicht nur um materielle Ressourcen, sondern auch um die fehlende Unterstützung, die Eltern ihren Kindern geben können. Benachteiligte Kinder kämpfen oft im Bildungssystem, nicht nur in Nürnberg, sondern überall.
Mit welchen Kosten müssen Familien beim Schulstart rechnen?
Ein Schulranzen kostet schnell 200 Euro oder mehr. Familien im Leistungsbezug erhalten pauschal 195 Euro vom Jobcenter oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für den persönlichen Schulbedarf, aufgeteilt in zwei Tranchen. Kauft man die Schultasche neu, reicht das Geld oft nicht. Über Spenden kann man jedoch weiterkommen. Die Kosten hängen auch von der Schule ab. Manche Schulen gehen bewusst mit den Anforderungen um und reagieren sensibel auf die finanzielle Lage der Familien. Lehrerinnen und Lehrer achten oft darauf, niemanden zu beschämen oder in Bedrängnis zu bringen.
"Es braucht umfassende Angebote, um Kinderarmut zu bekämpfen"
Wie wirkt sich fehlende Unterstützung zum Schulbeginn langfristig auf Kinder und Familien aus?
Sie beeinflusst, wie gut Kinder im Bildungssystem zurechtkommen. Wir diskutieren gerade mit dem Freistaat Bayern über Kürzungen bei den Ganztagsmodellen, die wir für problematisch halten. Besonders in benachteiligten Stadtteilen, wo Kinder aus weniger wohlhabenden Familien leben, sind Ganztagsangebote wichtig. Sie sollten mehr bieten als nur Unterricht, zum Beispiel auch Unterstützung beim sozialen Miteinander, Mittagessen, Deutschunterricht und Hausaufgabenbetreuung. Ein Schulranzen allein reicht nicht aus. Es braucht umfassende Angebote, um Kinderarmut zu bekämpfen und gleiche Chancen zu ermöglichen.
Welche Probleme beobachten Sie bei Familien, die an der Armutsgrenze leben?
Berufstätige Eltern und besonders Alleinerziehende schildern, wie schwer es ist, Arbeit und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen. Die meisten sorgen sich um Betreuungs- und Bildungsplätze, vor allem Hortplätze. Materielle Sorgen gibt es auch, aber viele Eltern sorgen sich hauptsächlich darum, keinen Platz für ihr Kind im nächsten Schuljahr zu finden. Ohne Betreuung können sie nicht arbeiten. Das ist derzeit die Hauptsorge, die mir Familien, besonders mit Schulkindern, mitteilen.
Wie bewerten Sie die geplante Kindergrundsicherung der Bundesregierung?
Eine abschließende Bewertung ist noch nicht möglich. Der Gesetzentwurf vom letzten Herbst sah eine erhebliche Behördenverschiebung vor, die wir als ungeeignet einstuften. Statt Bürokratie abzubauen, hätte er sie weiter aufgebaut. Besonders arme Familien hätten mit einer zusätzlichen Behörde und komplizierten Verrechnungen zu tun gehabt. Dass dieser Bürokratieteil nicht kommt, begrüßen viele meiner Kolleginnen und Kollegen.
"Kindergeld und die Erhöhung von Kinderfreibeträgen sind kein spezifisches Instrument gegen Kinderarmut"
Gibt es wirksame Mittel zur effektiven Bekämpfung von Kinderarmut?
Kindergeld und die Erhöhung von Kinderfreibeträgen unterstützen Familien, sind aber kein spezifisches Instrument gegen Kinderarmut. Die Stärkung des Kinderzuschlags zielt auf Familien, die knapp über dem Leistungsbezug liegen. Diese Familien sollen nicht zum Jobcenter müssen. Wenn man dieses Instrument verstetigt und die Zugangshürden senkt, könnte das ein Schritt in die richtige Richtung sein.
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