Es ist ein grauer, verregneter Montag in Berlin-Mitte. Umhüllt mit Planen und Klebeband trotzen die Zelte in dem Obdachlosen-Camp unweit des Berliner Hauptbahnhofs dem Regen. Sie standen dort auch den ganzen Winter über.

Mittlerweile bestehe das Camp seit mehr als fünf Jahren, berichtet Ellen Eidt, Leiterin des Dienstbereichs Diakonie in der benachbarten Berliner Stadtmission. Im Sommer lebten dort bis zu 60 Menschen.

Obdachlosen-Camp: Roma aus Rumänien

Kommen würden sie aus einem Dorf in der Nähe von Targu Mures, auf deutsch: Neumarkt am Mieresch, einer Stadt im rumänischen Siebenbürgen. Die meisten hielten sich als Pendler nur zeitweise in Berlin auf, um den Lebensunterhalt für ihre Familien in der Heimat zu erwirtschaften. In Targu Mures seien die Roma über Jahre Diskriminierungen ausgesetzt gewesen, sagt Eidt. Auch Bildungschancen hätten sie in Rumänien nicht gehabt, sie seien fast ausnahmslos Analphabeten.

Obwohl sich das Camp im Zentrum Berlins befindet, wirkt es wie abgeschottet. Wohnhäuser in unmittelbarer Nähe sind rar. Auf der einen Seite befindet sich eine Großbaustelle der Deutschen Bahn, auf der anderen Seite die Gedenkstätte des ehemaligen Zellengefängnisses Berlin-Moabit. Ein Fuß- und Fahrradweg dient als Durchgangsweg. Es laufen Mütter mit Kinderwagen vorbei, Essenslieferanten auf Fahrrädern, Spaziergänger. Immer wieder ziehen die Zelte Blicke auf sich.

Anfeindungen von Nachbarn

Das Camp führte in den vergangenen Jahren wiederholt zu Anfeindungen. Die Kleingärtner einer benachbarten Gartenkolonie sprachen jüngst in einem Brandbrief an das zuständige Bezirksamt Mitte von "Vermüllung" und "Fäkalien". Sie behaupteten auch, es befänden sich auf dem Gelände Kinder, die der Schulpflicht nicht nachgingen.

Das Bezirksamt teilte dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit, Fragen nach dem Kinderschutz und der Schulpflicht würden geprüft: "Wir haben insbesondere das Wohl der Kinder im Blick, denen wir eine sichere Umgebung in geschützten Räumen anbieten müssen." Laut der Behörde kam es vor einigen Wochen auch zu einem Brand im Camp. "Es grenzt an ein Wunder, dass dabei offenbar niemand verletzt worden ist", sagt eine Sprecherin.

Der Bezirk habe deshalb das ausdrückliche Ziel, "den im Camp lebenden Menschen geeignete Unterkünfte anbieten zu können". Doch Angebote zur Unterbringung der einzelnen Familien hätten die Bewohner des Camps abgelehnt.

Es droht Rückführung ins Herkunftsland

In Deutschland wird zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Obdachlosigkeit unterschieden. Grundsätzlich wird eine ordnungsrechtliche Unterbringung nur bei unfreiwilliger Obdachlosigkeit veranlasst. Wie dieser Anspruch für EU-Migranten ohne Arbeit aussieht, ist juristisch umstritten. Die Berliner Bezirke legen das Recht unterschiedlich aus. Im härtesten Fall droht eine Rückführung in das Herkunftsland.

Auf die Gruppe im Camp sei das alles nicht anwendbar, sagt Eidt. Das Problem könne augenscheinlich nicht allein in Berlin, sondern nur in Verbindung mit dem Heimatort gelöst werden. Deshalb legte die Berliner Stadtmission bereits im Sommer vergangenen Jahres ein Konzept zur Verbesserung der Lage vor.

Demnach sollte zunächst eine Vertrauensbasis mit den Menschen geschaffen werden, auch durch die Versorgung elementarer Bedürfnisse. "Wir wollen den Menschen ein würdiges Leben ermöglichen, wenn sie im Gegenzug zentrale gesellschaftliche Spielregeln anerkennen", sagt Eidt.

Räumung führt nicht zur Lösung, nur zur Verschiebung

Das Bezirksamt hat nach eigenen Angaben nicht die Absicht, "dass sich das Camp verfestigt". Eidt betont, eine Räumung würde höchstwahrscheinlich nur zu einer Verschiebung des Problems führen, aber nicht zu einer Lösung.

Dennoch hat nach Angaben einer Bahn-Sprecherin das landeseigene Unternehmen "Grün Berlin" gemeinsam mit der Deutschen Bahn eine Räumung veranlasst. Jetzt müsse noch die zuständige Bezirksstadträtin zustimmen.

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