Die Kinderrechtsorganisation terre des hommes sieht seit Monaten massive Versäumnisse bei der Aufnahme von Jugendlichen, die ohne ihre Eltern nach Deutschland geflohen sind. Weil vor allem in den großen Ballungszentren nicht genügend Plätze in betreuten Wohngruppen vorhanden seien, würden die Rechte der Minderjährigen massiv beschnitten, sagte Fluchtexpertin Sophia Eckert im Gespräch.

Terre des hommes weist gemeinsam mit dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Flüchtlingsräten und weiteren Organisationen in einem Lobbypapier auf die Problematik hin.

Jugendämter sind überlastet

Eckert beklagte, die unbegleiteten minderjährigen Ausländer (UMA) würden zum Teil in Turnhallen untergebracht. Weil auch die Jugendämter überlastet seien, erhielten einige erst nach Wochen oder Monaten einen Vormund zugewiesen. Auf einen Schulplatz müssten die zumeist 13- bis 17-Jährigen oft mehrere Monate warten.

In manchen Kommunen würden Jugendliche, die ohne Eltern, aber mit Bekannten oder Verwandten nach Deutschland gekommen seien, diesen zugeordnet und landeten in Erstaufnahmeeinrichtungen. Es werde nicht geprüft, ob die mitreisenden Erwachsenen tatsächlich sorgeberechtigt und in der Lage sind, sich angemessen um die Kinder zu kümmern.

Für Unterbringung, Versorgung und Betreuung der UMA sind laut Sozialgesetzbuch nicht die Erstaufnahmeeinrichtungen, sondern Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zuständig. Die Jugendämter nehmen die Minderjährigen in Obhut und bringen sie in betreuten Wohngruppen unter.

Mehr Krisen, aber Hilfe abgebaut

Eckert kritisierte, dass die Hilfsstrukturen in den vergangenen Jahren massiv abgebaut worden seien, obwohl die Krisen in der Welt fortbestünden. Nach der Corona-Pandemie seien die Flüchtlingszahlen und damit auch die Anzahl unbegleiteter Minderjähriger wieder angestiegen. Sie lägen aber immer noch deutlich unter dem Niveau der Flüchtlingskrise 2015/16. Dennoch sei das Aufnahme-System vielerorts überlastet.

Die Expertin räumte ein, dass viele Engpässe etwa in den Schulen auch durch die nicht vorhersehbar große Zahl der Ukraine-Flüchtlinge verursacht worden seien.

"Aber das Recht der Jugendlichen auf Bildung und auf angemessene Unterbringung und Betreuung bleibt bestehen. Wir gehen doch auch bei deutschen Teenies nicht davon aus, dass sie ihr Leben eigenständig organisieren können."

Eckert forderte die Politik auf, anzuerkennen, dass Flucht ein Dauerthema bleibe. Die Regierungen müssten langfristige Lösungen erarbeiten. Die Weltkrisen müssten genau beobachtet werden, damit frühzeitig reagiert und Hilfssysteme hochgefahren werden könnten. Stattdessen werde nach Schließung der Grenzen gerufen und damit würden dann die Flüchtlinge zu den Schuldigen gemacht.

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