In einer Welt voller Krisen – Klimakatastrophe, Kriege, gesellschaftliche Spaltungen – stehen viele Menschen an vorderster Front des Wandels. Sie engagieren sich in Initiativen, demonstrieren, organisieren, protestieren. Doch Engagement zehrt. Was gibt Kraft, wenn Mitgefühl in Erschöpfung umschlägt? Was hilft, wenn der Druck, etwas bewegen zu müssen, die Freude am Tun überschattet?
Was gibt Kraft, wenn Mitgefühl in Erschöpfung umschlägt? Was hilft, wenn der Druck, etwas bewegen zu müssen, die Freude am Tun überschattet?
Eine besondere Tagung suchte Antworten: Unter dem Titel "Atem der Erde spüren. Training zu Achtsamkeit und Aktivismus" trafen sich vom 27. bis 29. Juni 2025 Engagierte aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, um innezuhalten, aufzutanken und sich neu auszurichten – mitten in der Natur, an einem See gelegen.
Innehalten und Aufbrechen
Die Tagung bot Raum für Regeneration, achtsame Selbstwahrnehmung und gemeinschaftlichen Austausch. Bereits zum Auftakt gab es Impulse zu spirituellen und politischen Wegen globaler Bewegungen sowie erste Übungen in Dankbarkeit und Präsenz. Meditative Angebote und Begegnungen prägten den ersten Abend.
In zahlreichen Workshops beschäftigten sich die Teilnehmenden mit dem Umgang mit schwierigen Gefühlen, Stress und Burnout im Engagement oder der kreativen Kraft von Trauer und Wut. Körperliche und spirituelle Zugänge wie Qigong, Acroyoga, Gehmeditation, Body Scan oder das spirituelle Naturformat "Wild Church" begleiteten das Programm.

"Wenn aus Schmerz Klarheit wird"
Katharina Hirschbrunn, Studienleiterin für Wirtschaft und Arbeitswelt, Nachhaltige Entwicklung hat die Tagung geleitet. Sie spricht im Gespräch über die Hintergründe und Ziele:
Frau Hirschbrunn, wie ist die Idee zur Tagung entstanden?
Katharina Hirschbrunn: Viele junge Menschen setzen sich mit Engagement für das Klima, für Gerechtigkeit oder für Frieden ein. Gleichzeitig spüren wir, wie belastend die politische Lage ist – sei es im Umweltbereich, in sozialen Fragen oder angesichts globaler Machtungleichgewichte.
Immer mehr Engagierte geraten an ihre Grenzen, erleben Burnout, Depression oder inneres Verhärten – und hören schließlich auf, sich zu engagieren. Mir war es wichtig, einen Raum zu schaffen, an dem diese Menschen wieder Kraft schöpfen können.
Warum die Verbindung von Natur, Körper und Gesprächen?
Mich inspiriert das Buch Mystik und Widerstand von Dorothee Sölle. Sie zeigt, wie bei Gandhi, Martin Luther King, in der Befreiungstheologie oder im Sozial Engagierten Buddhismus Spiritualität und gesellschaftspolitisches Handeln miteinander verbunden sind. Sölle schreibt in "Loben ohne Lügen": "Gott, lass uns jeden Tag dein Licht erblicken. Lass uns nicht weglaufen vor deinem Licht und nur den Verkehr, das Büro und das Fernsehen sehen."
Sölle benennt wichtige Orte mystischer Erfahrung, etwa Natur, Trauer und Tanz. Wenn Menschen ganz präsent sind, entsteht eine Tiefe, die Begegnung möglich macht. Dann trauen sich Menschen, über Dinge zu sprechen, über die sie sonst schweigen. Dadurch entstehen starke Verbindungen untereinander, aber auch auf anderen Ebenen: zur Mitwelt oder zu einer göttlichen Energie.
Wie haben Sie die Atmosphäre vor Ort erlebt?
Mich hat die Gleichzeitigkeit berührt: freies, kraftvolles Tanzen – und gleichzeitig auch Raum für tiefe Trauer. Teilnehmende haben erlebt, dass Trauer schön sein kann, wenn sie gehalten wird. Besonders bewegend war, wie sich schwierige Gefühle verändert haben: mit Methoden aus der Tiefenökologie, gewaltfreien Kommunikation oder Achtsamkeit wurde Trauer zu einer Kraft und Wut wandelte sich in Empathie und politische Entschlossenheit. Diese Verbindung von Liebe und Klarheit finde ich sehr schön.
Was haben Sie selbst mitgenommen?
Die Erfahrung, dass Freude und Kraft, Verletzlichkeit und Trauer gleichzeitig da sein dürfen. Und dass es so viele wunderschöne Menschen gibt und jede*r bringt Qualitäten mit ein.
Für mich hat das viel mit Spiritualität zu tun. Jesus lebte mit armen, ausgeschlossenen Menschen in der Natur – und daran knüpfen wir an: Befreiungstheologie, Dorothee Sölle, der Einsatz für Gerechtigkeit – verbunden mit Raum für interreligiöse spirituelle Erfahrungen aus christlichen und zen-buddhistischen Traditionen.
Wird es eine Fortsetzung geben?
Ja, wir wollen dieses Format weiterführen – in den nächsten Jahren soll es wieder eine solche Tagung geben.

Hintergrund
Die Tagung "Atem der Erde spüren" fand von 27. bis 29. Juni an der Evangelischen Akademie Tutzing statt. Ziel war es, Räume zu schaffen, in denen gesellschaftlicher Wandel mit innerer Transformation zusammengedacht wird.
Manchmal ist es auch hilfreich, den Blick zu weiten und zu sehen, was in der Vergangenheit schon erreicht wurde. Davon handelt die Tagung „Geschichte und Erfolge sozialer Bewegungen“, die von 24.-26.10.2025 an der Evangelischen Akademie Tutzing stattfinden wird. Evangelische Akademie Tutzing Geschichte und Erfolge sozialer Bewegungen - Evangelische Akademie Tutzing
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