Ein großes Fachwerkhaus war für mehr als ein Jahr Sarahs Zuhause. Der Zugang ist durch ein Metalltor abgeschirmt, dahinter liegt ein Garten, der von Hecken umgeben ist.

Die 18-Jährige hat in ihrem Elternhaus jahrelang extreme psychische und die Androhung körperlicher Gewalt erlebt, war massiver Kontrolle und Zwang ausgesetzt.

Das Haus im nordhessischen Hofgeismar war für sie ein Ort der Zuflucht - wie auch für andere Mädchen, die nach Gewalt oder Missbrauch nicht mehr in ihrem bisherigen Umfeld leben können.

Mädchenwohngruppe der Hephata Diakonie

Die Mädchenwohngruppe im Ortsteil Hümme gehört zur Hephata Diakonie mit Sitz in Schwalmstadt-Treysa. Sarah nennt das Haus für neun Jugendliche ihren Schutzort, die Gemeinschaft sei ihre Familie.

Zu ihren Eltern möchte sie keinen Kontakt mehr:

"Ich wusste, dass ich gehen muss. Es war nur sehr schwer, es auszusprechen. Der Prozess hat drei Jahre gedauert."

In der Wohngruppe habe sie sich behütet gefühlt: "Hier waren Menschen, die mich beschützen."

Gemeinsames Heilen

Die Jugendlichen teilen Sorgen und Freuden, Alltag und Freizeit. Sie können auch Beratungs- und Therapieangebote nutzen. Wohngruppenleiterin Gülüzar Tengic-Müller und ihre Mitarbeiterinnen sind ihre Ratgeberinnen und Unterstützerinnen.

Sarah erinnert sich gern an das gemeinsame Kochen und an die Gartenarbeit. Und sie war froh über das eigene Zimmer als Rückzugsort.

"Sarah hat bei uns eine Perspektive gefunden", resümiert Tengic-Müller gemeinsam mit Anna-Lena Gordienko, die Teamleiterin und Fachberaterin für den Bereich Familienintegrative Hilfen und Mädchenwohngruppen bei Hephata ist.

Betreutes Jugendwohnen

Der erste Schritt in die Selbstständigkeit ist mit dem Umzug in eine Wohngemeinschaft des Betreuten Jugendwohnens bei Hephata getan. "Dort lebt sie freier und eigenverantwortlicher", erklärt die Wohngruppenleiterin.

Für Sarah heißt das, die Schule abzuschließen und eine Ausbildung zu beginnen. Wenn das nicht klappt: "Jede kann in die Wohngruppe zurück."

Bedingungslose Zugewandtheit

Für Tengic-Müller, die Erzieherin, Heilpädagogin und Diakonin in Ausbildung ist, und die Sozialarbeiterin Gordienko gehört es zum Selbstverständnis ihres Berufs, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Gordienko spricht von "bedingungsloser Zugewandtheit":

"Hier darfst du sein, wir halten dich, und wir halten dich aus."

Hephata bedeutet "Öffne dich". In diesem Sinn leben die Mitarbeiterinnen der Jugendhilfe, einem der wichtigsten Geschäftsbereiche von Hephata, ihre Arbeit jeden Tag. Mit Kompetenz und Nächstenliebe wollen sie dafür sorgen, dass die Klientinnen die benötigte Hilfe bekommen.

Hephata Diakonie

Die 1901 in Treysa gegründete Hephata Diakonie ist es eines der ältesten diakonischen Unternehmen in Deutschland. An Standorten in Bayern, vor allem in Unterfranken, in Hessen und Rheinland-Pfalz arbeiten rund 3.000 Beschäftigte mit Menschen mit Behinderung, Erkrankungen oder in Lebenskrisen.

In den 122 Jahren ihres Bestehens hat sich für den Vorstandssprecher, Pfarrer Maik Dietrich-Gibhardt, nichts an den Grundsätzen diakonischer Arbeit verändert: "Die Nöte der Menschen zu sehen und Angebote der Hilfe und Unterstützung zu machen, vor dem Horizont der christlichen Nächstenliebe."

Diakonisches Unternehmen für Menschen

Hephata stehe für eine evangelisch geprägte, moderne pädagogische und pflegerische Arbeit, "die sich an den Bedarfen der Menschen ausrichtet".

Die Angebote der Eingliederungshilfe, der Krankenpflege, der Jugendhilfe und der Förderschulen hätten ihre Wurzeln ebenso in der langen Geschichte wie die Akademie für soziale Berufe: "Qualifizierung und Ausbildung gehören von Anfang an zu Hephata."

Diakonische und christliche Haltung

Allerdings habe sich die staatlich anerkannte, pädagogische und pflegerische Ausbildung geändert, erklärt Diakon Stefan Zeiger, Geschäftsführer der Diakonischen Gemeinschaft Hephata, in der sich Diakoninnen und Diakonie sowie der Kirche verbundene Mitarbeitende organisieren.

Die Diakon-Ausbildung sei keine Voraussetzung mehr, für Hephata zu arbeiten - "eine diakonische oder christliche Haltung sind es schon".

Das Stichwort: Hephata Diakonie

Die Hephata Diakonie beschäftigt nach eigenen Angaben rund 3.200 Mitarbeitende an 61 Standorten in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz. In Bayern ist sie etwa in Würzburg, Aschaffenburg und Klingenberg am Main in Unterfranken aktiv. Sie arbeitet in den Bereichen Behindertenhilfe, Jugendhilfe und Suchtrehabilitation. Weitere Schwerpunkte sind die Psychiatrie und Neurologie, die Heilpädagogik sowie die Wohnungslosenhilfe. Außerdem betreibt der Träger Förderschulen in der beruflichen Bildung. Die Tochtergesellschaft Hephata soziale Dienste und Einrichtungen gGmbH macht ambulante und stationäre Angebote der Altenhilfe. Hephata bildet in sozialen und pflegerischen Berufen aus.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1901 hat die Hephata Diakonie ihren Sitz in Schwalmstadt-Treysa. Vorstandssprecher Maik Dietrich-Gibhardt betont: "Die Kirche steht im Mittelpunkt und lädt zu Gottesdiensten und Veranstaltungen ein. Unsere Häuser tragen Namen aus der biblischen Tradition, es gibt ein reichhaltiges kirchenmusikalisches Angebot, und wir suchen bewusst den Kontakt zu den Kirchengemeinden."

Allerdings seien Beschäftigte heute nicht unbedingt aktive Kirchenmitglieder. Auch die Zeiten verpflichtender Andachten oder Tischgebete seien vorbei, erläutert Dietrich-Gibhardt. Vielmehr gehe es vielen darum, eine sinnstiftende Arbeit zu haben. Deshalb müsse Diakonie auch nach innen ins Gespräch gebracht werden, sagt der Theologe.

Dietrich-Gibhardt verschweigt auch die Schattenseite der Geschichte nicht. Ihm ist eine Erinnerungskultur wichtig, "die die Begebenheiten der NS-Zeit oder der ehemaligen Heimkindererziehung in den 1950er- bis 1970er-Jahren sichtbar macht." Sie hätten auch dazu beigetragen, dass Selbstbestimmungsgremien der Klientinnen und Klienten heute selbstverständlich seien.

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