Circa 11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jedes Jahr als Müll entsorgt. Wer angesichts dieser erschreckenden Zahl den Zeigefinger auf Industrie und Handel richten will, liegt falsch: Der Großteil der Lebensmittelabfälle, 59 Prozent (6,5 Millionen Tonnen), entsteht in privaten Haushalten (Quelle: Bundesministerium für Ernährung).
Damit wirft jede*r von uns im Jahr 78 Kilogramm Lebensmittelabfälle in den Müll. Auch, wenn dabei Obstschalen, Kaffeesatz und Verdorbenes mitgezählt werden, ist das sehr viel. Wie kommt es dazu? Und was kann man dagegen tun?
Lebensmittelverschwendung: Nicht nur ein moralisches Problem
Zunächst einmal ist Lebensmittelverschwendung nicht nur ein moralisches, sondern auch ein handfestes, materielles Problem. Verena Tiefenbeck von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erklärt, Lebensmittelverschwendung bedeute für die Verbraucher*innen, dass die Kosten für die verschwendeten oder weggeworfenen Produkte über die Margen der verkauften Produkte abgefangen werden müssten:
"Das erhöht die Preise."
Marketing-Experte Marko Sarstedt von der Ludwig-Maximilian-Universität München betont, auch die Hersteller wollten, dass unser Planet bewohnbar bleibe:
"Letztendlich verstehen Unternehmen sich heutzutage als langfristige Partner und wollen langfristige Beziehungen zum Kunden aufbauen."
Dazu gehöre auch, den Kunden zu kommunizieren, dass sie das alte Produkt noch weiternutzen könnten und nicht unbedingt etwas Neues brauchten. Als Beispiel für diese Strategie nennt er Patagonia, ein Unternehmen aus dem Fashionbereich.
Warum kaufen wir viel zu viel ein?
Warum aber werfen so viele Leute so viele Lebensmittel in den Müll? "Das hat bei den Konsumenten ganz viel mit erlerntem Verhalten zu tun", analysiert Sarstedt. Ein großes Thema sei dabei das Mindesthaltbarkeitsdatum beziehungsweise der Glaube der Verbraucher*innen, dass Lebensmittel nach dessen Ablauf nicht mehr genießbar seien:
"Dafür ist auch ein Stück weit die Industrie verantwortlich, die das jahrelang so kommuniziert hat."
Auch die Politik habe nichts dagegen gemacht. "Der Konsument kann das natürlich schwer einschätzen, deshalb geht er lieber auf Nummer sicher und schmeißt Lebensmittel, die eigentlich noch gut sind, weg."
Tiefenbeck sieht in diesem Punkt ebenfalls noch viel Luft nach oben. "Oft halten die Sachen ja dramatisch länger. Das ist nur die absolute Mindestgarantie." Kein Mensch komme auf die Idee, seinen Fernseher nach zwei Jahren Garantie wegzuwerfen. "Aber bei Lebensmitteln machen es komischerweise viele Leute."
Menschen schlecht im Vorausplanen
Tiefenbeck nennt einen weiteren gewichtigen Grund, warum wir so viele Lebensmittel wegwerfen müssen: Wir planen einfach ziemlich schlecht. Vieles in unserem Leben sei eben nicht planbar – und Menschen täten sich grundsätzlich schwer damit, in die Zukunft zu planen.
Jeden Tag einkaufen sei aber auch keine Lösung. "Das heißt, ich muss mir im Vorfeld überlegen, was will ich nächste Woche in etwa essen?" Ungeplante Restaurantbesuche oder andere, nicht vorhergesehene Aktivitäten sind dann allerdings nicht mehr möglich – es sei denn, wir nehmen in Kauf, dass bereits gekaufte Lebensmittel schlecht werden.
Was wirklich gegen Lebensmittelverschwendung hilft
Doch wo nun konkret ansetzen? Sarstedt ist überzeugt, dass Aufklärung das Zauberwort ist. Aus dem Fashion-Bereich wisse man Folgendes:
"Es gibt einen signifikanten Anteil von Konsumenten, die zwar durchaus positiv gegenüber Themen der Nachhaltigkeit eingestellt ist, andererseits aber überhaupt nicht danach agieren."
Das hohe Ziel des Umweltschutzes sei eben abstrakt und für das konkrete Verhalten in einer bestimmten Situation sekundär. Sarstedt schlägt daher vor, es weniger über moralische Appelle als vielmehr durch die Etablierung sozialer Normen zu versuchen. "Man vermittelt: Andere Menschen konsumieren auch nachhaltig. Dadurch entsteht eine soziale Norm, denn die meisten Menschen möchte in einem sozialen Gefüge nicht ausscheren."
So wisse man aus der Forschung, dass es sehr gut funktioniere, Hotelbesucher*innen zu sagen: Andere Besucher in diesem Raum haben die Handtücher wiederverwendet und sie nicht jeden Tag reinigen lassen.
"Solch eine Ansprache funktioniert sehr viel besser, als den Leuten zu sagen: Schütz bitte die Umwelt, indem du das Handtuch wiederverwendest."
Verpackungen nicht per se schlecht
Aufklärung hält Tiefenbeck auch für geboten. Wichtig sei dabei, dass sie keinen negativen Ton habe. Stichwort Weltuntergangsszenarien. "Dafür sind die Leute in letzter Zeit nicht mehr empfänglich."
Sie nennt auch einen konkreten Ansatzpunkt:
"Die Verschwendung geht sehr, sehr vielen Leuten gegen den Strich."
Das psychologische Konzept der Loss Aversion, dass man ungern Dinge verliert oder wegwirft, sei gerade bei Lebensmitteln greifbar.
Außerdem hingen viele Konsument*innen vereinfachten Vorstellungen an. Beispiel: Verpackungen. Diese würden oft als etwas Negatives gesehen. Dabei spiele bei den Umweltauswirkungen der Produktionskette von Lebensmitteln die Verpackung kaum eine Rolle – verglichen mit der Produktion und dem Transport. Und überhaupt:
"Wenn ein bisschen mehr an Verpackung dafür sorgt, dass der Joghurt doppelt so lange hält, dann sieht dadurch die CO2-Bilanz viel, viel besser aus."
Tiefenbeck würde den Verbraucher*innen auch gerne beim Planen helfen – mit technischen Hilfsmitteln. Tools, die erkennen, dass wir noch genügend Joghurt im Kühlschrank stehen haben und uns beim Einkauf warnen. Für den Anfang reicht vielleicht auch schon, vor dem Einkauf eine Einkaufsliste zu schreiben – analog oder digital.
Daher kommt Lebensmittelverschwendung – und so bekämpfen wir sie
Wir sehen also: Eigentlich will niemand, dass Lebensmittel im Müll landen, weder die Hersteller*innen, noch die Verkäufer*innen, noch die Verbraucher*innen. Dass es dennoch passiert, hat mehrere Gründe: Wir planen schlecht. Wir überschätzen die Bedeutung des Mindesthaltbarkeitsdatums. Und wir entscheiden oft spontan, aufgrund von Heißhunger oder anderen nicht kontrollierbaren Beweggründen – was uns anschließend auf die Füße fällt.
Unsere Planungsfaulheit können wir mithilfe von Apps oder anderen technischen Hilfsmitteln bekämpfen. Die grundsätzliche Leichtfertigkeit beim Wegwerfen von Nahrung bedarf der Aufklärung – oder noch besser: der Etablierung einer sozialen Norm, die uns wirksam daran hindert.
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