Angela Jaime de Pablo ist unentschlossen. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, gehen wieder mehrere hunderttausend Frauen in den spanischen Städten auf die Straße. Doch welcher Demonstration sie sich anschließen soll, ist sich Frauenrechtlerin Jaime de Pablo vom feministischen Juristinnenverband Themis nicht sicher. Denn die Bewegung ist gespalten: In Feministinnen, die Transfrauen als Frauen in ihren Reihen akzeptieren, und solche, die damit Schwierigkeiten haben. In Madrid demonstrieren sie jetzt zum zweiten Mal getrennt.

Gleichstellung von Frauen: Viele Länder überholt

Dabei können die Spanierinnen stolz sein. In den vergangenen 30 Jahren haben sie viele andere Länder in der Europäischen Union in Gleichstellungsfragen überholt. Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist der sogenannte Gender Pay Gap, also die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, in Spanien mit neun Prozent nur halb so groß wie in Deutschland, wo Frauen im Schnitt 18 Prozent weniger verdienen als Männer.

Zum Weltfrauentag am 8. März hat Ministerpräsident Pedro Sánchez ein Gesetz angekündigt, das Frauenquoten in Politik und Unternehmen festlegen soll - 50 Prozent in den Parlamenten und 40 Prozent in Regierung und Verwaltungsräten der großen Unternehmen. Zurzeit sind in Spanien 33,3 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt, in Deutschland 29,2 Prozent. Im Gleichstellungsindex des European Institute for Gender Equality liegt Spanien bei 74,6 von 100 Punkten, Deutschland kommt auf 68,6 Punkte. 42,7 Prozent der Abgeordneten im spanischen Parlament sind gegenwärtig Frauen.

Femizid löste Debatte über Gewalt gegen Frauen aus

Für Angela Jaime de Pablo ist vor allem ein Name ausschlaggebend, wenn sie nach den Gründen für die starke Frauenbewegung und den ausgeprägten Feminismus in Spanien gefragt wird: Ana Orantes. Die verzweifelte Andalusierin suchte 1997 Hilfe im spanischen Fernsehen. Der Mann, von dem sie geschieden war, mit dem sie aber auf richterlichen Beschluss das Haus teilen musste, misshandele sie und bedrohe sie regelmäßig. Der Mann wurde zwar immer wieder deswegen verurteilt, durfte aber im gemeinsamen Haus weiter wohnen. Zwei Wochen nach ihrem Bericht im Fernsehen übergoss er sie mit Benzin und zündete sie an. Ana Orantes starb.

Der Fall entfachte eine landesweite Debatte über Gewalt gegen Frauen. Die Kundgebungen zum Frauentag wurden immer massiver, die damalige Regierung des Konservativen José María Aznar (PP) entwickelte den ersten Aktionsplan dagegen. Psychische Misshandlungen wurden in das Strafrecht aufgenommen, Näherungsverbote ermöglicht.

Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem anerkannt

2004 verabschiedete das Parlament das erste Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen. Damit wird Gewalt von Männern gegen Frauen als strukturelles Problem anerkannt und auch stärker bestraft als die Gewalt einer Frau gegen einen Mann. Sondergerichte wurden eingerichtet, auf den Polizeiwachen sind Beamtinnen und Beamte zum Schutz misshandelter Frauen abgestellt. Bei der Polizei ermittelt ein Algorithmus das Gefährdungspotential einer Frau. Trotzdem ist die Zahl der von Partnern und Ex-Partnern getöteten Frauen weiterhin hoch. Als diese Statistik 2004 eingeführt wurde, waren es 72, im letzten Jahr immer noch 49 tote Frauen.

Gleichstellungsministerin Irene Montero von der linksgerichteten Partei Podemos hat im Februar zudem noch die Verabschiedung weiterer Gesetze im Parlament gefeiert: Die bereits seit 2010 geltende Fristenlösung im Abtreibungsrecht, nach der Schwangere bis zur 15. Woche abtreiben dürfen, gilt nun auch für junge Frauen ab 16 Jahren. Frauen können sich zudem bei starken Regelschmerzen künftig krankschreiben lassen.

Nur ja heißt ja

Und das Gesetz über sexuelle Nötigung wurde reformiert. Seither gilt nicht mehr: "Nein heißt nein", sondern "Nur ja heißt ja": Ohne ausdrückliche Zustimmung werden sexuelle Übergriffe als Vergewaltigung betrachtet. Das gilt beispielsweise auch, wenn das Opfer eine Handlung aus Angst geschehen lässt.

Was für Diskussionen sorgt, ist das neue sogenannte "Trans-Gesetz". Denn seit zwei Wochen können auch in Spanien Transmenschen die Eintragung ihres Geschlechts im Standesamt ändern lassen, und zwar ohne die bislang dafür vorgeschriebene Hormonbehandlung, einen chirurgischen Eingriff oder einen ärztlichen Nachweis.

Diskussionen über Transfrauen und Sexarbeit

Manche Feministinnen sehen damit infrage gestellt, was eigentlich eine Frau sei. Juristin Angela Jaime de Pablo ist sich in dieser Frage unschlüssig: "Ich finde es unerträglich, dass Transfrauen wie bislang in Männergefängnisse kommen." Auf der anderen Seite könne es auch nicht sein, dass sich ein Vergewaltiger im Standesamt zur Frau erkläre und seine Strafe in einem Frauengefängnis verbüße. 

Auch über das Verhältnis zur Sexarbeit wird diskutiert: Während manche ein Verbot der Prostitution als eine Form von struktureller Gewalt gegen Frauen fordern, wollen andere die Rechte von Sexarbeiter*innen stärken. 

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