"Struktureller Rassismus stellt in Deutschland ein sehr ernsthaftes Problem dar."

Viele Menschen in Deutschland erfahren jeden Tag Rassismus. Wie groß schätzen Sie die Dimension des Problems ein?

Katharina Masoud: Es ist klar erkennbar, dass struktureller Rassismus in Deutschland ein sehr ernsthaftes Problem darstellt. Dies ist nicht allein meine persönliche Meinung, sondern wird auch durch den Bericht des Antirassismus-Ausschusses der Vereinten Nationen bestätigt.

Welches Zeugnis stellen die Vereinten Nationen Deutschland aus?

Sie äußern deutliche Besorgnis über das Fortbestehen strukturellen Rassismus in Deutschland. Diese Besorgnis erstreckt sich über verschiedene Bereiche, darunter Benachteiligung beim Zugang zur Beschäftigung, unzureichender Wohnraum, sowie mangelnde angemessene Gesundheitsdienstleistungen. Es besteht auch Sorge über die mangelnde politische Vertretung von Minderheiten in staatlichen Institutionen wie dem Parlament und die unzureichende Auseinandersetzung mit Deutschlands kolonialer Vergangenheit.

Es ist offensichtlich, dass diese nicht aufgearbeiteten Probleme weiterhin rassistische Ungleichheiten fördern. Die Vereinten Nationen fordern Deutschland daher dringend auf, mehr Maßnahmen zu ergreifen, um diese bestehenden strukturellen Ungerechtigkeiten anzuerkennen und zu bekämpfen. Es ist ein äußerst wichtiges Anliegen, das jedoch nicht ausreichend bekannt ist.

"Rassistisches Verhalten kann auch unbeabsichtigt geschehen."

Warum ist es nicht ausreichend bekannt?

Ich denke, dass die Dimension und Tragweite von Rassismus teilweise unterschätzt wird, sei es aus Unkenntnis oder sogar aus dem Wunsch heraus, es nicht wissen zu wollen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir aus unserer Vergangenheit gelernt haben, dass Rassismus inakzeptabel ist und wir nicht in rassistischer Weise handeln wollen. Doch oft gehen wir davon aus, dass nur Personen, die absichtlich rassistisch handeln, auch tatsächlich rassistische Auswirkungen erzielen. Das ist jedoch nicht immer der Fall. Rassistisches Verhalten kann auch unbeabsichtigt geschehen. Es ist meiner Meinung nach noch nicht ausreichend bekannt, dass viele Strukturen unbewusst zu rassistischer Diskriminierung führen können, ohne dass individuelle Absichten dahinterstehen.

Inwiefern kann der Tag gegen Rassismus helfen, etwas daran zu ändern?

Der Internationale Tag gegen Rassismus ist zweifellos eine wichtige Gelegenheit, um Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Allerdings sollte es nicht bei einem einzelnen Tag im Jahr bleiben. Rassismus muss täglich, 365 Tage im Jahr, thematisiert werden. Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder fragen, warum es diesen Tag gegen Rassismus überhaupt gibt.

Historisch gesehen bezieht sich dieser Tag auf das Sharpeville-Massaker in Südafrika unter dem Apartheid-Regime, ein deutliches Beispiel für extreme rassistische Diskriminierung. Dieser Tag ruft uns dazu auf, uns heute und hier, unter allen Umständen und in allen Ländern, aktiv gegen Rassismus einzusetzen. Jeder einzelne von uns kann an seinem eigenen Platz und in seiner eigenen Rolle dazu beitragen, rassistische Strukturen zu erkennen, zu hinterfragen und zu bekämpfen. Ob im privaten Leben oder in politischer Verantwortung, es gibt zahlreiche Möglichkeiten, aktiv gegen Rassismus vorzugehen und bestehende Strukturen aufzubrechen.

Internationaler Tag gegen Rassismus

Der Internationale Tag gegen Rassismus erinnert an das Massaker von Sharpeville (Südafrika), bei dem am 21. März 1960 insgesamt 69 Menschen getötet und über 180 Personen teilweise schwer verletzt wurden, die friedlich gegen die diskriminierenden Passgesetze des Apartheid-Regimes demonstriert hatten.

Die Vereinten Nationen riefen, in Erinnerung an das Massaker an der Schwarzen Bevölkerung, sechs Jahre später den 21. März zum "Internationalen Tag zur Überwindung von rassistischer Diskriminierung" aus, der sich in Deutschland zu den zweiwöchigen Internationalen Wochen gegen Rassismus erweiterte. Seit 2016 werden diese von der Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus bundesweit koordiniert.

"Die Vorstellung, dass bestimmte Menschen aufgrund des Systems privilegiert sind, während andere benachteiligt werden, steht im Widerspruch zu unserem Selbstbild."

Auf öffentliche Kritik an rassistischen Aussagen oder Praktiken gibt es oft heftige Gegenreaktionen. Wie erklären Sie sich das?

Also, ich denke, die Gründe dafür kommen wahrscheinlich aus verschiedenen Richtungen. Ein Aspekt, den wir bereits berührt haben, ist die Vorstellung, dass nur extrem rechte Personen Rassismus ausüben, während wir selbst davon überzeugt sind, dass wir gut sind und andere nicht. Es ist diese Annahme, dass rassistisches Verhalten oder Äußerungen nur von anderen kommen können, nicht von uns selbst. Dieses Denkmuster ist stark in unseren Köpfen verankert, obwohl es, wie ich bereits erwähnt habe, nicht der Realität entspricht.

Ein weiterer Grund für die Abwehrhaltung könnte sein, dass die Auseinandersetzung mit Rassismus einen dazu zwingt, die eigenen Privilegien als weiße Menschen zu hinterfragen. In einer Gesellschaft, die oft als Leistungsgesellschaft betrachtet wird, neigen wir dazu anzunehmen, dass alles, was wir erreicht haben, aufgrund unserer eigenen Fähigkeiten und Bemühungen beruht. Die Vorstellung, dass bestimmte Menschen aufgrund des Systems privilegiert sind, während andere benachteiligt werden – sei es in der Schule, bei Vorstellungsgesprächen, Wohnungssuchen oder Polizeikontrollen – steht im Widerspruch zu diesem Selbstbild.

Es erfordert eine Auseinandersetzung damit, dass der eigene Erfolg nicht allein auf unsere Leistungen zurückzuführen ist, sondern auch auf strukturelle Ungerechtigkeiten im rassistischen System, in dem wir leben. Diese Erkenntnis kann Widerstand hervorrufen, da sie unser Selbstbild und unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit infrage stellt.

Und mit welcher Strategie lässt sich diese Abwehrhaltung am besten überwinden?

Es gibt viele Aktivist*innen im Bereich Anti-Rassismus, die verschiedene Strategien entwickelt haben, um Menschen für das Thema zu sensibilisieren und aufzuzeigen, wo überall Rassismus existiert und was als diskriminierend empfunden wird. Es hängt oft davon ab, ob eine Person bereit ist, sich zu verändern und rassistische Vorurteile abzulegen. Einige sind motiviert, dies zu tun, während andere kein Interesse daran haben, sich zu ändern.

Für diejenigen, die nicht absichtlich rassistisch handeln möchten, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich zu informieren, mit Menschen zu sprechen, die Rassismuserfahrungen machen, Filme anzusehen und vieles mehr. Es ist wichtig, mehr Verständnis zu entwickeln, besonders wenn man als weißer Mensch selbst keine Rassismuserfahrungen macht. Es erfordert Reflexion, Aktivismus und die Bereitschaft, nicht immer im Mittelpunkt zu stehen, sondern denjenigen Raum zu geben, die direkt von Rassismus betroffen sind.

Es ist normal, Fehler zu machen, aber entscheidend ist es, daraus zu lernen und Kritik konstruktiv anzunehmen. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und Privilegien verantwortungsbewusst zu nutzen. Letztendlich sollten weiße Menschen nicht vergessen, dass es nicht um sie und ihre Abwehrmechanismen geht, sondern um diejenigen, die unter Rassismus leiden. Es ist wichtig, sich dies bewusst zu machen und dranzubleiben, um echte Veränderungen zu bewirken.

Sehen Sie denn auch Erfolge im Kampf gegen Rassismus?

Der Einsatz von Menschen, die negativ von Rassismus betroffen sind, hat zweifellos viel bewirkt. Durch ihren Aktivismus haben sie es geschafft, das Thema sichtbarer zu machen und stärker in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Es gibt mittlerweile eine Fülle von Literatur, Podcasts, Websites und anderen Ressourcen, die es vorher vielleicht nicht in diesem Umfang gab. Diese Vorreiter haben einen enormen Beitrag dazu geleistet, das Problem des Rassismus stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Es ist auch erkennbar, dass politische Reaktionen auf schreckliche Ereignisse, wie beispielsweise der Mord an George Floyd in den USA oder der rassistischen Anschlag in Hanau, zu weiteren politischen Maßnahmen geführt haben. Die Einrichtung von Kommissionen und die Ernennung von Anti-Rassismus- und Antiziganismusbeauftragten sind Beispiele dafür. Diese extreme Gewalt hat die Öffentlichkeit sensibilisiert und zu politischen Veränderungen angeregt.

Dennoch müssen wir feststellen, dass diese Fortschritte zwar wichtige erste Schritte sind, aber nicht ausreichen, um das Problem des Rassismus vollständig anzugehen. Es bedarf weiterer Maßnahmen und Anstrengungen, um echten Wandel zu bewirken.

"Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Menschenrechte aller Menschen, insbesondere derjenigen, die von Rassismus betroffen sind, im Vordergrund stehen."

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus?

Ich denke, es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Zivilgesellschaft aufwacht und aktiv wird, indem sie auf die Straße geht, sich äußert und Probleme benennt. Viele Antirassismus-Aktivist*innen haben betont, dass die Enthüllungen aus den "Correctiv"-Recherchen sie nicht überrascht haben, und das aus gutem Grund. Denn dies ist keine neue Entwicklung, sondern ein langjähriges Problem mit Kontinuität. Es ist wichtig, dass diejenigen, die nun erstmals mit diesen Problemen konfrontiert werden, Empörung zeigen. Gleichzeitig müssen wir aber auch erkennen, dass für viele Menschen dies keine neue Erfahrung ist, sondern eine jahrzehntelange Realität.

Daher ist es besonders wichtig, diesen Stimmen zuzuhören und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Menschenrechte aller Menschen, insbesondere derjenigen, die von Rassismus betroffen sind, im Vordergrund stehen. Wenn dies zu konkreten Maßnahmen führt, wäre das natürlich äußerst positiv.

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