In dieser Woche hat der Instagram-Algorithmus mir einen Beitrag in den Newsfeed gespült, dessen Absender ich normalerweise wahrscheinlich nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Doch in diesem Fall war ich so empört, dass ich jetzt sogar einen Artikel darüber schreiben muss. Aber alles der Reihe nach.
Ins Auge gestochen ist mir zuerst der leuchtend pinkfarbene Hintergrund. Darauf abgebildet ist eine Frau mit weit ausgebreiteten Armen und strahlendem Lachen, darunter steht folgender Text: "Wir Frauen müssen einfach präsenter und lauter sein…" Absender des Postings ist das Bayerische Sozialministerium.
Ich habe Fragen
Spontan denke ich erstens: "Einfach???"
Und zweitens: "Was müssen wir (ich!) denn noch alles?"
Bei einem Blick auf den Untertitel des Beitrags erfahre ich, dass es sich bei der abgebildeten Frau um eine der sogenannten "Starken Frauen" des Bayerischen Sozialministerium handelt und der Text aus einem längeren Zitat von ihr herausgegriffen wurde. Aha.
Außerdem stechen mir die Hashtags "Frauenpower", "Gleichberechtigung" und "Empowerment" ins Auge und ich frage mich erschöpft, wieso mir wieder einmal suggeriert wird, dass ich als Frau (und müde Mutter eines kleinen Kindes) mehr leisten muss, "lauter" und "präsenter" sein muss, um "gleichberechtigt" zu sein mit den Männern dieses Landes.
Verdienen wir als Frauen durchschnittlich 18 Prozent weniger pro Stunde, weil wir zu leise sind?
Arbeiten nur 7,6 Prozent der Väter nach der Geburt ihres Kindes in Teilzeit - und haben damit Freiraum für ihre Familien - weil wir Mütter nicht "präsent" genug sind? (Was übrigens nicht pauschal heißen soll, dass der Rest der Männer kein Interesse an ihrer Familie hat.)
Fehlen in bayerischen Kitas im Jahr 2023 62.000 Kita-Plätze, die potenziell eine Entlastung für – hauptsächlich Mütter – sein könnten, weil wir Frauen sie einfach nicht genug wollen?
Bitte versteht mich nicht falsch: Das ist hier kein Plädoyer dafür, dass alle Mütter Vollzeit arbeiten sollen und ihre Kinder in Betreuung geben müssen.
Es ist ein Plädoyer dafür, Frauen gleichberechtigte Möglichkeiten zu garantieren. (Politische) Strukturen zu ändern, damit auch leise Frauen, die keine Zeit haben, außerhalb ihres eigenen Hauses präsent zu sein, weil sie mit Care-Arbeit überladen sind, gehört werden. Damit sie dieselben Chancen haben wie alle anderen Menschen (Männer).
"Das ist Verdrehung der Tatsachen"
Dass ich nicht die einzige bin, der das Posting sauer aufstößt, bestätigen mir die über 300 Kommentare (zum Vergleich: die anderen Instagram-Beiträge des Bayerischen Sozialministeriums haben selten über fünf Kommentare), die so gut wie alle inhaltlich in dieselbe Richtung gehen.
Einer davon scheint den Nerv der meisten Frauen zu treffen, denn er selbst wurde 1500 Mal gelikt (wieder ein Vergleich zur Einordnung: Der Beitrag an sich hat gut 300 zustimmende Herzen bekommen): Er stammt von der Autorin Alexandra Zykunov, die für ihren Spiegel-Besteller "Wir sind doch alle längst gleichberechtigt" bekannt ist.
Sie wendet sich direkt an das Bayerische Sozialministerium:
"Das ist Verdrehung der Tatsachen. Tatsache ist: Sind Frauen 'einfach lauter', werden sie für dieses 'einfach laute' Verhalten abgestraft. Weil sie sich nicht ihrem Geschlecht typisch verhalten."
Anstatt Frauen auf Social Media "mal wieder zu erzählen, sie sollten einfach ihr Verhalten ändern", würde das Ministerium verschleiern, dass "das Problem nicht bei den Frauen, sondern in den Strukturen liegt, in Strukturen, die u.a. Ihr Ministerium verändern sollte."
Konkret schlägt Zykunov vor: "Ministerien wie Ihre sollten lieber die hunderttausenden von fehlenden Kita- und Ganztagsschulplätze ausbauen und massiv in Erzieher*innen und Lehrkräfte investieren. Und massive Anreize schaffen, damit Väter mehr in Elternzeit gehen und Care-Arbeit übernehmen." Dann müsste keine Frau "einfach laut" sein, sondern würde "ganz selbstverständlich im Arbeitsmarkt vorankommen".
Ihr Fazit zum Schluss: "Das alles ist IHRE Aufgabe als Politiker*innen und nicht die Aufgabe der Frauen 'einfach lauter' zu sein."
Liebe Alexandra, du sagst es!
Weitere beliebte Kommentare von Frauen:
"Das Patriarchat hat angerufen, es möchte seinen Beitrag zurück."
Oder: "AB JETZT SCHREIBE ICH NUR NOCH IN GROSSBUCHSTABEN DAMIT ICH LAUTER BIN."
Und etwas ausführlicher und persönlicher: "Wann soll dieses ‚lauter werden‘ denn passieren? Während der Fürsorgearbeit? Der Teilzeit Lohnarbeit, die man ausüben muss, weil es für Vollzeit nicht genug Betreuung gibt? Während der spontanen Schließzeiten aufgrund von Personalmangel? Während der Jobsuche, die sich zieht, weil man entweder schwanger werden könnte oder schon Kinder hat?"
"Starke Frauen"
Hinter der Aktion "Starke Frauen" des Bayerischen Sozialministeriums steckt übrigens ein Programm samt Webseite der bayerischen Frauenministerin Carolina Trautner, das verschiedene "starke" Frauen aus Bayern vorstellt, die laut Eigendarstellung "ihrem Talent, ihren Interessen und ihrer Leidenschaft folgt auch gegen Widerstände. Eine Frau, die Mut macht durch ihren Weg, gerade wenn es kein einfacher war. Lassen Sie sich von starken Frauen und ihren Geschichten inspirieren."
Ich will nicht infrage stellen, dass die abgebildete Frau vor dem pinkfarbenen Hintergrund eine "starke Frau" ist. Im Gegenteil, eine kurze Recherche bestätigt, dass sie beeindruckend viel leistet.
Ich persönlich wünsche mir für meine und die Zukunft aller Frauen aber, dass wir künftig unseren Leidenschaften folgen können, ohne uns dafür erst gegen Widerstände durchsetzen zu müssen.
Dass unsere Wege gar nicht per se schwierig sein müssen.
Dass nicht immer wir diejenigen sind, die "einfach präsenter und lauter" sein müssen.
Die zahlreichen Kommentare unter dem Posting zeigen, dass zumindest wir Frauen bereits größtenteils in dieselbe Richtung denken. Und sicher auch einzelne Männer. Oder um es mit den Worten einer Nutzerin zu sagen: "Mich macht diese Kommentarspalte sehr glücklich."