Was geht wohl in dem Esel vor, auf dem Jesus nach Jerusalem reitet? Was war Maria Magdalenas erster Gedanke, als sie den weggerollten Stein am Grab sah? Genau darum geht es beim Bibliolog: Eintauchen in die Gedanken- und Gefühlswelt biblischer Gestalten. Man leiht ihnen seine Stimme und lernt so die Bibel und ihre Geschichten ganz neu kennen.

Die Methode, deren Name sich aus den griechischen Wörtern "biblio" (Buch) und "logos" (Wort/Rede) zusammensetzt, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem beliebten Zugang in der religiösen Bildung entwickelt. Er erschließt biblische Texte für alle - ohne theologisches Vorwissen. So entsteht eine lebendige Brücke zwischen jahrtausendealten Geschichten und unserer heutigen Lebenswelt.

Die jüdischen Wurzeln: Eine Tradition neu entdeckt

Der Bibliolog ist keine völlig neue Erfindung, sondern greift auf die jüdische Tradition des Midrasch zurück. Im Midrasch (hebräisch für Auslegung, Erforschung) werden biblische Texte interpretiert, indem die weißen Feuer – die Lücken zwischen den Zeilen – kreativ ausgefüllt werden. Diese Tradition geht davon aus, dass der biblische Text wie schwarzes Feuer auf weißem Feuer ist.

Die Buchstaben sind das schwarze Feuer, die Leerstellen und unausgesprochenen Gedanken das weiße Feuer. Peter Pitzele griff diese Tradition auf und entwickelte in den 1980er Jahren aus dieser jüdischen Tradition das Konzept des Bibliologs. In Deutschland wurde der Bibliolog vor allem durch die Theologin Uta Pohl-Patalong bekannt.

Aufbau und Ablauf eines Bibliologs

Ein Bibliolog folgt immer einem strukturierten Ablauf. Der/die Leiter*in führt in die Methode ein und erklärt die Grundregeln. Anschließend gibt es eine kurze Kontexteinordnung, um die Teilnehmer*innen in die gegebene Situation zu versetzen, was fast wie eine Traumreise wirkt. Dann fängt der/die Leiter*in an, den biblischen Text vorzulesen. An der Stelle, an der eine Figur eine Entscheidung trifft oder in ein Dilemma gerät, wird die Erzählung unterbrochen und der eigentliche Bibliolog beginnt.

Die Teilnehmenden werden aufgefordert, sich in eine bestimmte biblische Figur hineinzuversetzen und ihre Gedanken, Gefühle oder Motive zu artikulieren. Der/die Leiter*in wiederholt die Beiträge der Teilnehmenden und verstärkt sie, um die Aussagen zu würdigen und zu vertiefen. Am Ende werden die Teilnehmenden aus ihren Rollen entlassen und der Bibliolog wird reflektiert.

Das besondere Setting eines Bibliologs zeichnet sich durch einen geschützten Raum aus, in dem alle Beiträge gewürdigt werden. Es gibt kein "richtig" oder "falsch" in der Interpretation, alles ist wichtig und wertvoll.

Bibliolog oder Bibliodrama?

Neben dem Bibliolog gibt es das Bibliodrama. Auch hier versetzt man sich in die Rolle einer biblischen Person, aber wie der Name schon sagt, ist das Bibliodrama eine szenische Darstellung einer biblischen Geschichte, während der Bibliolog auch ohne Bewegung auskommt.

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