"Schalom ist Grundbedingung allen glücklichen Lebens"

Der Begriff "Frieden" scheint eine wichtige Rolle in der Bibel zu spielen. In der Lutherbibel von 2017 wird das Wort "Frieden" wohl knapp 400 Mal erwähnt.

Janning Hoenen: Ja, Frieden – oder im Hebräischen "Schalom" – ist ein zentraler Begriff, besonders im Alten Testament. Schalom ist Grundbedingung allen glücklichen Lebens, ein absolut erstrebenswerter Zustand. Gleichzeitig spiegelt die Bibel die Erfahrung wider, dass dieser Frieden oft fehlt oder gestört ist. Eine große Linie im Alten Testament ist daher, wie man mit dieser Erfahrung umgeht. Dabei hat sich das theologische Verständnis von Frieden über die Jahrhunderte immer wieder verändert.

Können Sie uns erklären, wie sich das geändert hat?

Das hängt stark mit den jeweiligen geschichtlichen Umständen zusammen. In der vorexilischen Zeit war Frieden eng mit der Herrschaft der Könige verbunden. Die Könige galten als Garanten des Friedens, und das wurde kultisch begleitet – mit Gebeten, Opfern und Zeremonien. Doch dann kamen die Propheten, wie Amos oder Hosea, die die Könige scharf kritisierten und warnten: "Was ihr tut, entspricht nicht Gottes Willen. Wenn ihr so weitermacht, wird euch der Schalom entzogen."

Als Israel militärisch geschlagen, der Tempel zerstört und ein Teil der Bevölkerung deportiert wurde, begann ein Umdenken: Warum ist das alles passiert? Die Antwort war: "Weil ihr euch falsch verhalten habt." Die nachexilischen Propheten betonten, dass Frieden letztlich nur von Gott kommen könne – und nicht durch Gewalt. Hier tauchen die bekannten Bilder auf: Schwerter, die zu Pflugscharen geschmiedet werden, der Friedefürst, und der König, der arm auf einem Esel reitet.

Warum hat sich die Position der Theologen verändert?

Anfangs waren diejenigen, die Theologie betrieben, eng mit der Macht verbunden – etwa als Berater am Königshof. Doch im Lauf der Geschichte wurden sie oft zu Kritikern der Könige, und schließlich fanden sie sich in machtlosen Positionen wieder, etwa im Exil. Dort saßen sie mit den Vertriebenen oder in einem zerstörten Jerusalem und versuchten, ihren Mitmenschen neue Hoffnung zu geben.

"Jesus war stark pazifistisch geprägt, und die frühen Christengemeinden lehnten gewaltsamen Widerstand ab"

Verstehe. Und wie war das bei den Christen?

Bei den Christen sehen wir etwas Ähnliches, aber gewissermaßen in umgedrehter Reihenfolge. Jesus war stark pazifistisch geprägt, und die frühen Christengemeinden lehnten gewaltsamen Widerstand ab. Diese Gemeinden bestanden aus Menschen, die am Rand der Gesellschaft standen, ohne politische Macht. Auch Paulus kam aus der Unterschicht. Das änderte sich radikal, als das Christentum zur Staatsreligion wurde. Plötzlich mussten sich Christen mit den Herausforderungen der Herrschaft auseinandersetzen – und entwickelten Theologien, die Gewalt teilweise rechtfertigten, etwa seit Augustin.

Das Muster ist also ähnlich: Aus einer Position der Schwäche – wie die Israeliten im Exil oder die frühen Christen –wird Frieden anders verstanden als in Zeiten, in denen Theologen auch politischen Einfluss gewinnen. Das ist das Schwierige für uns heute: Das Christentum damals war keine Volkskirche, die die Bundesregierung beraten sollte, wie sie mit Krieg und Gewalt umgehen kann. Es war eine kleine Minderheit, die teilweise verfolgt, unterdrückt oder zumindest marginalisiert war.

Das heißt, da spielt auch die normative Kraft des Faktischen eine Rolle. Aus einer Machtposition heraus hat man eine andere Perspektive auf Gewalt und Frieden, als wenn man marginalisiert ist.

Genau. Deshalb ist es auch so schwierig, aus dem Neuen Testament direkte politische Maßgaben abzuleiten. Es war eine vollkommen andere Situation, und man muss schon einigen argumentativen Aufwand treiben, bevor man etwas anwendbar macht.

Würden Sie dennoch sagen, dass es möglich ist, aus der Bibel konkrete politische Handlungen abzuleiten? Oder kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen?

Historisch gesehen zeigt sich, dass man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Man kann verschiedene Maßgaben unterschiedlich interpretieren. Man könnte dem radikaleren Pazifismus folgen, der Jesus zugeschrieben wird – auch wenn wir nur die Berichte anderer darüber haben. Oder man könnte die spätere Version wählen und sagen: "Gut, es gibt einen Staat, wir müssen damit umgehen, und er hat das Recht, mit Gewalt zu agieren." Das ist bei Paulus bereits angelegt. Eine weitere Herausforderung ist, dass die damaligen Christen in akuter Naherwartung lebten: Sie dachten nicht, dass das Christentum 2000 Jahre bestehen würde. Sie erwarteten, dass Christus schnell wiederkommt, weshalb sich einige Fragen damals einfach nicht stellten.

"Schalom betrifft alle Dimensionen des Lebens"

Ich würde gerne noch näher auf den Begriff "Schalom" eingehen. Können Sie erklären, wie man den Begriff am besten übersetzen kann? Wir übersetzen ihn ja meistens mit "Frieden", aber es gibt sicherlich noch andere Nuancen.

Der Theologe Odil Hannes Steck beschreibt Schalom als die "lebensfördernde Geordnetheit der Welt". Es ist kein einfacher Gegensatz zu Krieg, sondern vielmehr ein Gegenbegriff zum Chaos. In der Schöpfungsgeschichte wird das Chaos als Urzustand beschrieben, und Gott tritt ordnend ein. Schalom betrifft alle Dimensionen des Lebens: das Zusammenleben in der Familie, die Gemeinschaft der Völker, das Verhältnis zur Natur und zur Schöpfung, und nicht zuletzt auch das gute Verhältnis zu Gott. Es ist ein sehr umfassender Begriff.

Ich finde es schön, dass dieser große Begriff gleichzeitig im Alltag eine einfache Bedeutung hat. Alle Grußformeln im Hebräischen drücken den Wunsch nach Frieden aus. "Friede sei mit dir" – das ist Schalom. Im Arabischen sagt man "Salam aleikum". Diese Begrüßung zeigt, wie tief der Wunsch nach Frieden in den alltäglichen Bedürfnissen der Menschen verwurzelt ist. Schalom findet als großer Begriff seinen Platz im Alltag.

Der Begriff geht also über die bloße Bedeutung von Krieg und Frieden deutlich hinaus.

Ja, Schalom ist sehr umfassend zu verstehen, als geordnetes Wohlergehen, immer in Verbindung mit Gott. Es ist ein erstrebenswerter Zustand, der letztendlich von Gott kommen muss. Viele Aussagen betonen, dass die Menschen das nicht allein erreichen können. Im Neuen Testament wird betont, dass der Frieden durch Christus kommt. Im Alten Testament spielt der politische Aspekt eine größere Rolle.

"Das Alte Testament erzählt, dass wir viel tun können, um den Frieden zu behindern, zu stören oder zu zerstören"

Das würde bedeuten, dass wir Menschen nichts tun können, um diesen Zustand zu erreichen, außer Gott gewähren zu lassen, oder?

Nun, das Alte Testament erzählt, dass wir viel tun können, um den Frieden zu behindern, zu stören oder zu zerstören. Aber um ihn wirklich zu erreichen, muss Gott handeln. Dieses Verständnis weist deutlich auf die Grenzen menschlicher Fähigkeiten hin. Das kann den Vorwurf hervorrufen, dass Christen sich zurückhalten, weil sie sagen: "Das muss Gott machen." Jesus sagt, wir sollen die andere Wange hinhalten. Also tragen wir Verantwortung, das unsrige dazu zu tun.

Und was würden Sie persönlich für einen Friedensbegriff ableiten aus dem, was die Bibel dazu sagt?

Mich hat beeindruckt, wie die Bibel aus der Sehnsucht nach Frieden agiert. Sie erkennt an, dass es sowohl Krieg als auch Frieden gibt. Der Prediger schreibt, es gibt eine Zeit des Streits und eine Zeit des Friedens. Das ist sehr realistisch; man kann das nicht einfach wegdefinieren. Wir müssen damit umgehen und leiden oft daran. Gerade als gläubige Menschen sollen wir aber an der Hoffnung auf Frieden festhalten und sie fruchtbar machen.

"Die Hoffnung ist, dass der Frieden gelingen kann"

Und dann kann der Frieden auch gelingen – oder müssen wir akzeptieren, dass es auch Zeiten des Krieges gibt?

Die Hoffnung ist, dass der Frieden gelingen kann. Oft höre ich, die Bibel spreche naiv von Hoffnung auf Frieden, gerade in unserer heutigen Zeit, die viel schlimmer erscheine. Aber die Menschen im Alten und Neuen Testament haben grauenhafte Erfahrungen von Krieg, Vertreibung und brutaler Verfolgung gemacht und dennoch an der Hoffnung festgehalten. Diese Hoffnung wurde so konzentriert, so eindrucksvoll verschriftlicht, dass sie bis zu uns reicht. Ich finde es wichtig, sich daran zu orientieren.

Predigtreihe "Frieden" der Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Was ist Frieden? Was versteht die Bibel unter Frieden? Was hat Gott mit Frieden zu tun?
Was können wir tun? Oder ist es nur hohles Gerede?

Am Sonntag, den 12. Januar beginnt die Predigtreihe der Augustana, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. An vier aufeinanderfolgenden Sonntagen beleuchten Theologieprofessor*innen
aus Bamberg, Erlangen und Neuendettelsau aus unterschiedlichen Perspektiven das Thema
"Frieden". Beginn ist jeweils um 11 Uhr in St. Laurentius, Neuendettelsau.

Mehr Infos hier

Ausstellung "Frieden schaffen" mieten

Die Ausstellung "Frieden schaffen" stellt berühmte und ungewöhnliche Persönlichkeiten vor, die sich für den Frieden engagieren oder stark gemacht haben. Vorgestellt werden historische und lebende Personen aus Politik, Gesellschaft, Kultur oder Wissenschaft.

Die Plakatausstellung ist ab 299 Euro in den Formaten A1, A2 und A3 erhältlich. Die Ausstellung eignet sich besonders für Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Schulen, Volkshochschulen, aber auch für Gemeinden, Kommunen oder Verbände. LeihnehmerInnen erhalten kostenloses Pressematerial sowie eine Plakatvorlage und Pressefotos für die Werbung. 

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Florian Meier am Mo, 13.01.2025 - 06:29 Link

Ein guter Text, der weltfremden Kitsch vermeidet ohne ins Gegenextrem zu verfallen. Gerade heute wird viel vom Frieden geseuselt, wenn eigentlich Unterwerfung gemeint ist und von Freiheit, wenn es eigentlich. um den Mammon und die Macht geht. Das traurige ist, dass der Idealismus junger Menschen immer wieder für Gewalt missbraucht wird.