Im Brotbrechen wussten sich die getauften Christen deshalb Gott besonders nahe.
Die Teilnahme am heiligen Mahl wurde so sehr als wesentlicher Ausdruck der Mitgliedschaft in der Gemeinschaft empfunden, dass allen, die durch Krankheit oder Kerkerhaft abwesend waren, Stücke des gebrochenen Brotes gebracht wurden. Ein ernsthaftes moralisches Vergehen hatte den Ausschluss vom Mahl zur Folge – für immer oder wenigstens für bestimmte Zeit.
Doch nahmen die solcherart Ausgeschlossenen zusammen mit den noch nicht Getauften weiter am ersten Teil des Gottesdienstes teil, der aus Psalmen, Lesungen und Gebeten bestand. Die Sakramente der Taufe und des Abendmahls hatten für den antiken Menschen eine hohe Anziehungskraft. Geheimnisvolle Weihehandlungen und Mysterien gab es allenthalben, die christlichen standen den heidnischen in nichts nach.
Es war nicht anstößig, dass die Einnahme von Brot und Wein "den Leib Christi essen" und "das Blut Christi trinken" genannt wurde.
An vielen Orten im römischen Reich wurden die Gottesdienste aus Furcht vor Verhaftungen heimlich gehalten. Es war zu Zeiten des staatlich verordneten Kaiserkults gefährlich, als Christ aufzufallen, und manchmal konnte einen schon der Geruch von einem Schluck mit zu wenig Wasser verdünnten Abendmahlsweines verraten.
Aus dem gemeinschaftlichen Brotbrechen des Sonntagsgottesdienstes wurde bald die "Danksagung" (eucharistia). Justin der Märtyrer beschrieb um das Jahr 150 eine solche Mahlfeier. Er wollte heidnische Leser davon überzeugen, dass es sich nicht um Zauberei oder ähnliches handelt. Nach Lesungen "aus den Erinnerungen der Apostel" und aus den Propheten hielt der Vorsteher eine Predigt, nach der sich jedermann zu einem feierlichen Gebet erhob, das mit dem Friedenskuss schloss.
Dem Vorsteher wurden daraufhin Brot und mit Wasser vermischter Wein gebracht, worüber er dann ein Dankgebet sprach, das von der Gemeinde mit Amen bestätigt wurde. Es folgte die Kommunion, bei der jeder von dem Brot und dem Wein empfing, die von Diakonen ausgeteilt wurden. Verbunden war das Dankgebet bemerkenswerterweise mit der Bitte um die Einheit der Christen in Brot und Wein.
Doch mit der einfach gestalteten Feier war es bald zu Ende.
Im dritten und vierten Jahrhundert bildeten sich verschiedene liturgische Formen der Eucharistiefeier heraus. Vor allem das Dankgebet und die liturgische Beteiligung der Gemeinde wurden streng ausformuliert, die Bitte um den Geist, die sogenannte Epiklese, bekam vor allem in den griechischen Gemeinden große Wichtigkeit. Jetzt wurde darum gebetet, "dass das göttliche Wort auf die Elemente herabkomme, damit das Brot zum Leib des Wortes werde und der Kelch zum Blut der Wahrheit" werden möge.
Bald wurde damit begonnen, das geweihte Brot und den geweihten Wein den Christen für den Hausgebrauch weiterzugeben, was mit der Forderung nach höchster Ehrfurcht vor der Eucharistie verbunden wurde. Sie sollte am frühen Morgen vor jeder anderen Speise empfangen werden, und mit größter Sorgfalt sollte darauf geachtet werden, dass nichts zu Boden fällt oder verschüttet wird.
Nichts durfte im Haus herumliegen, damit es kein Ungetaufter oder gar eine Maus zufällig verzehren konnte.
Der griechische Kirchenvater Kyrill gab ausführliche Anweisungen, wie ein Fallenlassen des Brotes vermieden werden kann: Die Kommunikanten wurden angewiesen, das Brot in die hohle Hand zu empfangen, wobei die linke Hand die rechte stützt. Kyrill spricht von der "furchtbaren" Gegenwart auf dem Altar; sein Nachfolger Johannes Chrysostomus nennt den Tisch des Herrn einen "Ort des Schreckens und Schauderns". Die Angst ging so weit, dass in der griechischen Kirche der Altar vor den Blicken der Gemeinde verhüllt wurde.
Im lateinischen Westen waren die Einsetzungsworte wichtiger als das Dankgebet. Kyrie eleison, Gloria in excelsis und Glaubensbekenntnis kamen im fünften und sechsten Jahrhundert hinzu.
Der lateinische Kirchenvater Ambrosius verbindet im vierten Jahrhundert mit den Einsetzungsworten die Wandlung von Brot und Wein in realen Leib und reales Blut Christi.
Dieser sogenannte Realismus des Ambrosius hat die Sakramentslehre des Mittelalters bestimmt. Daneben hatte aber auch die Meinung des Augustinus Gewicht, Brot und Wein seien nur als "Zeichen" von Leib und Blut Christi zu verstehen. Bahnbrechend war, dass Augustin die Wirksamkeit der Sakramente an das Wort koppelte – Martin Luther berief sich später nicht nur in dieser Frage auf Augustinus. Die Gewichtung des Wortes drängte das magische Moment im Abendmahlsritus zurück. Nun kam es nicht mehr nur auf den vorschriftsmäßigen Vollzug, sondern auch auf das innere Ergreifen der im Sakrament angebotenen Gnade an.
Auch Augustin vertrat die Ansicht, dass die Eucharistie die Gemeinschaft des Leibes Christi konstituiere.
Augustins symbolische Bedeutung der Elemente des Abendmahls fand Einzug in die römische Liturgie, die realistische Auffassung des Ambrosius in die gallische und spanische Gottesdienstordnung. Ende des 8. Jahrhunderts drang die augustinische Auffassung ins Frankenreich ein, wobei die von der Volksfrömmigkeit bestimmte kirchliche Praxis dem Realismus Vorschub leistete. Zur Zeit der Karolinger gab es keinen Zweifel daran, dass der Priester durch die Konsekration irgendwie Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandeln konnte. Das Brotbrechen der ersten Christen war nun mit einem strengen theologischen Lehrgebäude überhöht.
Zum ersten handfesten Abendmahlsstreit kam es im Mittelalter durch eine Schrift des Mönches Radbertus (gest. 859) aus dem Kloster Corbie. Er machte sich Gedanken über die Qualität des Leibes Christi. Radbertus meinte, Christi Fleisch sei keine körperliche, sondern eine geistliche oder göttliche Speise. Deshalb bleibe auch die Gestalt, die Farbe und der Geschmack der Elemente erhalten. Weil es sich aber doch um den realen fleischlichen Leib Christi handeln muss, den er auf Erden getragen hatte, ging Radbertus davon aus, dass die Substanz "innerlich verwandelt" sei – ein gegen die Ordnung der Natur vollzogenes Wunder, das die körperliche Einigung mit Christus garantiert.
Hrabanus, Abt von Fulda (gestorben 856), widersprach
Brot und Wein seien nur Symbole, die Wandlung mystisch und sakramental zu verstehen. Auch Ratramnus, ein anderer Mönch in Corbie, widersprach Radbertus. Das Messopfer diene lediglich dem Gedächtnis des Kreuzopfers Christi. Brot und Wein seien himmlische Bilder, Zeichen des Göttlichen. Reales Blut Christi oder zeichenhafte Erinnerung? Der Grundkonflikt aller nun folgenden Streitereien war gelegt.
Radbertus mit seiner fragwürdigen Sicht einer realen Wandlung hatte freilich die Volksfrömmigkeit auf seiner Seite. Zwei Jahrhunderte später entfachte der Theologe Berengar (gest. 1088), Leiter der Schule von Tours, den zweiten großen Abendmahlsstreit. Er hatte Probleme mit der "Wandlung der Substanz", wo doch Wein materiell Wein blieb und Brot Brot. Nein, eine Wandlung gab es nicht. Er half sich mit dem Gedanken, dass der himmlische Christus zu Wein und Brot dazukommt. Nicht leiblich, denn Christi Leib soll ja im Himmel bleiben, aber geistlich tritt sein Leib und Blut zu den Elementen hinzu.
Radbertus reale Vorstellung wies er zurück: es sei Unsinn, dass der Leib Christi zerstückelt werde und "Teilchen" desselben auf dem Altar lägen.
Im Mahl sei vielmehr der ganze Christus gegenwärtig – als geistliche Substanz. Eine Synode in Rom exkommunizierte Berengar 1050 wegen dieser Kritik. Er musste unterschreiben, dass "der wahre Leib unseres Herrn von den Gläubigen mit den Zähnen zermalmt" werde. Im Folgenden war es logisch, dass die gewandelte Hostie auch außerhalb der Kommunion verehrt und angebetet wurde – sie wurde ja als Christi realer Leib gesehen. Mit der Konsequenz, dass "Unwürdigen" vermehrt der Zugang zum "Leib Christi" verwehrt wurde. Eine Lehre, die keinen Anhaltspunkt im Neuen Testament hatte, wurde 1215 zum Dogma.
In der Abendmahlsvorstellung des Mittelalters hatten sich eine Reihe von unbiblischen Veränderungen eingeschlichen: Seit dem 13. Jahrhundert wurde den Laien der Kelch entzogen, das Konzil von Konstanz 1415 stellte den Laienkelch sogar unter Strafe. Das Abendmahl galt als Opferhandlung; darum hieß es auch Messopfer. Man glaubte, das Opfer Christi auf Golgatha auf unblutige Weise wiederholen und Gott darbringen zu müssen. Und das möglichst oft: In den Kirchen wurden Nebenaltäre eingerichtet, an denen die "Altaristen" ein Messopfer nach dem anderen feierten. Ende des 15. Jahrhunderts dienten in den beiden großen Kirchen Breslaus an 105 Altären 236 Altaristen. Jeder hundertste Einwohner der Stadt war Altarist. Mit der schlichten Mahlfeier Jesu hatten die Winkelmessen der Priesterkirche nicht mehr viel zu tun.
Das Abendmahl bedurfte der reformatorischen Erneuerung.
Martin Luther betonte gegen den Kelchentzug die "gebietenden" Einsetzungsworte Jesu: "Trinket alle daraus" (Matthäus 26,27). Er nahm die Einsetzungsworte Christi wörtlich, es genügte ihm jedoch, das unbegreifliche Miteinander von Brot und Leib Christi als göttliches Geheimnis zu glauben. Das unbiblische Messopfer geißelte Luther als "größtes Gräuel". Aus dem Geschenk Christi wird eine Tat der Kirche. Kirche als Leib Christi wird zur Heilsmittlerin, zur Heilsanstalt. Luther führte das Abendmahlsverständnis auf die biblischen Grundlagen zurück – es ist grotesk, wenn in den aktuellen römisch-katholischen Lehrschreiben behauptet wird, die Reformation habe das "eigentliche Mysterium der Eucharistie" nicht bewahrt.
Doch innerhalb der reformatorischen Bewegung gab es unterschiedliche Sichtweisen.
Luther sah im Abendmahl das Wort der göttlichen Verheißung, die der Christ gläubig zu ergreifen habe. Luther, wie man ihn kennt: Auf den Glauben kommt es an – und auf das Wort. Später ab 1523 betonte er mehr die Realpräsenz Christi im Wort. "Dies ist mein Leib" pflegte er vor allem gegen die Schwärmer zu unterstreichen, die den Glauben vergeistigen wollten.
Der Schweizer Reformator Huldreich Zwingli sprach davon, dass Christus, der zur Rechten Gottes sitzt, im Abendmahl auf die Erde herabsteige. Doch unter dem Einfluss des Humanismus rückte er von dieser Vorstellung ab: Christus bleibt oben, das Mahl erinnert lediglich an Christi Tod. Luther betonte dagegen das Sünden vergebende "für euch" in den Einsetzungsworten, weshalb er an der Realpräsenz festhalten musste. Zwingli hielt mit Johannes 6,63 dagegen: "Das Fleisch ist nichts nütze." Schließlich gehe es um den Geist des Menschen, nicht um den Leib.
Luther verwahrte sich dagegen, zwischen Christi Leib und Geist, Menschlichem und Göttlichem zu trennen.
Der Erhöhte sei immer auch der Gekreuzigte, beide gegenwärtig im Himmel und im Sakrament, ja überall und universal präsent. Zweifler fragten, ob man nun den Leib Christi spalte, wenn man ein Stück Holz hacke. Gespalten war jedoch vor allem die reformatorische Bewegung, die sich auch im Marburger Religionsgespräch 1529 nicht mehr einigen konnte.
Reformierte und Lutheraner bekämpften sich fortan in manchen Gegenden Europas und besonders in Deutschland bis aufs Blut. Erst viereinhalb Jahrhunderte später – 1973 in Leuenberg – wurden die Differenzen beseitigt und die Abendmahlsgemeinschaft zwischen reformierten und lutherischen Christen beschlossen. Das sollte Protestanten im aktuellen Abendmahlsstreit mit der römisch-katholischen Kirche vor Hochmut und Rechthaberei bewahren.
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