Welche Rolle spielt Angst bei deinen Extremtouren? Bekommt man in der endlos hohen Eiskletterwand nicht so richtig Angst?

Thomas Huber: Angst ist ein Urgefühl des Menschen. Man hat Angst vor dem Unbekannten. Man hat Angst um sein Leben. Angst ist ein Gefühl, das einem sagt: Jetzt muss ich aufpassen, jetzt bin ich als Mensch dem nicht gewachsen. Dann kommt eben dieses Angstgefühl, das dir sagt, wenn ich jetzt weitergehe, muss ich 100-prozentig funktionieren. Beim Bergsteigen ist die Angst mein Beschützer, sie zeigt mir meine Grenzen.
 

Also ist Angst etwas Positives?

Thomas Huber: Ich sage immer: Angst ist ein Freund, aber Angst ist genauso ein Feind. Und eigentlich möchte ich ein angstbefreiter Mensch sein. Ich habe da einen Spruch kreiert: "Wenn die Angst vor dem Gipfel größer ist als der Mut, unten loszugehen." Das ist eine Metapher aus dem Bergsteigen. Wenn Bergsteiger unten stehen und immer auf den Gipfel schauen, und der Gipfel wird dann so übermächtig, dass du nicht mehr losgehen kannst, dann bleibst du unten, du hast nicht mehr den Mut, den ersten Schritt zu tun. Das gilt genauso fürs Leben. Wenn diese Geschichten, die Lebensaufgaben zu unbewältigbar werden, dann erdrückt dich das derartig, dass du dann am liebsten nur noch auf der Couch bleibst und in den Fernseher schaust. Aber dann habe ich wirklich Lebensangst.

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Wie schafft man es dann, aufzustehen?

Thomas Huber: Das habe ich aus dem Bergsteigen mit ins Leben genommen: Du schaust den Berg an, du schaust den Gipfel an, da möchte ich hinkommen, und ich weiß ganz genau, diese Wand ist unbezwingbar für mich in diesem Moment. Und dann erlebe ich, dass dieses Gefühl der Unbezwingbarkeit eine Dynamik entfalten kann. Irgendwann sagst du dann: Okay, jetzt mache ich einfach den ersten Schritt. Und plötzlich bist du Teil dieser Welt. Und das initiiert den zweiten Schritt, und der zweite Schritt hat wieder die Dynamik, dann der dritte Schritt – und irgendwann ist man in diesem Bergsteigerflow, man ist in diesem Aufsteigen drinnen, und plötzlich machst du oben die Tür auf und sagst: Jetzt bin ich oben, wie ist das gegangen?
 

Das passt gut für das Leben insgesamt.

Thomas Huber: Ja, das ist eigentlich ein wunderbares Beispiel, nicht nur im Bergsteigen, sondern auch im Leben. Es gibt kein Aufgeben, sondern du kannst immer positiv nach vorne schauen. Es gibt immer Wege und Möglichkeiten. Nur musst du wirklich mutig sein. Menschen, die mutig sind, die immer diese Neugier und diese Sehnsucht in sich tragen, sind glücklicher. Sehnsucht – da sind wir wirklich bei einem ganz wichtigen Wort. Ich glaube, ein Mensch, der sehnsüchtig ist, der fällt nicht in ein Angstsyndrom. Wer Träume und Sehnsüchte hat und neugierig ist, der will immer marschieren, der will immer nach vorne gehen, der findet immer Lösungen.
 

Was sind deine Sehnsüchte und Träume?

Thomas Huber: Eigentlich bin ich ein romantischer Abenteurer. Das ist jetzt sehr hoch gegriffen, aber ich sehe mich manchmal wie Christopher Columbus, der damals auch nicht gewusst hat, was ihn erwartet, oder wie ein Wikinger, der einfach gesagt hat: So, jetzt segeln wir los. Ich mag gerne entdecken, und dafür beiße ich mich manchmal auch an einem Projekt fest. Natürlich bereite ich mich vor; ich gehe nicht in eine unbekannte Wand, und wenn es nicht klappt, streiche ich die Segel. Ich möchte lernen, ich bin wissbegierig. Meine Sehnsüchte und Träume sind immer, etwas Geniales, etwas Schönes zu machen.

THOMAS HUBER LIVE

ANTENNE BAYERN: Am Sonntag, 8. Oktober ist Thomas Huber von 8 bis 9 Uhr im Interview der Evangelischen Funkagentur zu hören.

VORTRÄGE: Mit seinem aktuellen Vortrag "Sehnsucht Torre", einem 130-Minuten-Multivisionsvortrag, ist Thomas Huber auch in Bayern unterwegs:

Hauzenberg, Stifterhalle, 10. November, 20 Uhr, mehr unter www.kulturbrettl.de

Lohr am Main, Stadthalle, 24. November, 20 Uhr, mehr Informationen unter www.weltenbummlerfamilie.de

Thomas Huber: "Es sind 'bergeisternde' Geschichten über das Sehnen und Suchen nach Glück. Sehnsucht ist ein inniges Verlangen, es macht uns neugierig, es lässt uns suchen und finden. Sehnsucht Torre ist ein wilder Road Trip meiner Seele auf einer Reise an das andere Ende der Welt – nach Patagonien, in das Land des "Cerro Torre". Ein wilder Berg, der das Verlangen vieler Bergsteiger in sich trägt. Auch meine Sehnsucht findet sich in dieser steilen, von den patagonischen Winden gezeichneten, vereisten Granitnadel. Ein Berg, der einen Teil meiner Lebensgeschichte erzählt: Es sind Erfolge, Niederlagen, Verluste. Es ist die Trauer, scheinbar belanglos Erlebtes und es sind große Momente, es ist mein Tagebuch als Bergsteiger."

Thomas Huber von den Huaberbuam nach dem erfolgreichen freien Durchstieg der »Eternal Flame« am Nameless Tower in Pakistan.
THOMAS HUBER (geb. 1966 in Palling bei Traunstein) hat sich mit seinem jüngeren Bruder Alexander als »die Huberbuam« einen Namen als Extremkletterer gemacht. Seit 1992 sorgt er mit spektakulären Begehungen für Aufsehen. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Berchtesgaden. Das Bild zeigt ihn nach dem erfolgreichen freien Durchstieg der »Eternal Flame« am Nameless Tower in Pakistan.

Vor einem Jahr bist du am Brendlberg beim Klettern 16 Meter tief abgestürzt. Wie geht es dir heute?

Thomas Huber: Ich habe das sehr gut bewältigt, auch wenn ich im Moment vielleicht nicht ganz so mutig bin. Aber ich arbeite daran, konfrontiere mich laufend mit dieser Situation. Ich gehe genau dahin und stürze absichtlich ins Seil, damit ich wieder dieses Gefühl der Sicherheit habe. Um praktisch das wieder machen zu können, was ich leidenschaftlich gerne tue: klettern und bergsteigen.


Du gehst also zurück zur Absturzstelle und lässt dich bewusst ins Seil fallen?

Thomas Huber: Gehe dahin, wo es gruselig ist, um zu checken, wie es ist, wenn du in der Sonne stehst. Wenn ich nie mehr dahin gegangen wäre, hätte ich vielleicht sogar Albträume von diesem Fallen bekommen. Und so ist das Fallen eigentlich gar nicht mehr existent.


Wie war dieser Moment während des Sturzes? Denkt man da noch nach?

Thomas Huber: Nein, in dem Moment, wenn du stürzt, wenn du fällst, da gibt es keine Ängste mehr, du bist in einer anderen Welt. Jede Sekunde des Falls nimmst du bewusst wahr, und du sagt nur: Wow, wow, wow – und dann ist es schon vorbei. Du sitzt da und schaust nach links und sagst einfach nur: Ja Scheiße, was ist passiert – und dann bist du zurück im Leben. Ich war im Schockzustand – und ich bin – Gott sei Dank – sofort aufgestanden und abgestiegen. Das war mein großes Glück, dass ich selbst gleich abgestiegen bin. Wenn die Bergwacht gekommen wäre, wenn sie mich geborgen hätten, vielleicht mit Hubschrauber, hätten sie Bäume herausschneiden müssen, damit sie mich hätten bergen können; dann wäre ich viel später erst ins Krankenhaus gekommen. Und so war ich dann zweieinhalb Stunden nach dem Absturz auf dem OP-Tisch. Ich habe schon einen ziemlich brutalen Schädelbruch gehabt, der war zertrümmert auf einer Seite. Und dass ich keine Einblutung ins Gehirn gehabt habe, das war mein Glück.


Du bist ja damals nach einem Monat wieder losgeklettert, trotz Schädelbruchs.

Thomas Huber: Viele sagen, ich bin getrieben, ich bin wahnsinnig. Sie haben aber nur den Sinn meines Tuns nicht begriffen. Den hat nur meine Familie verstanden und einer meiner besten Freunde. Alle anderen haben mir eigentlich davon abgeraten, wieder loszuziehen. Der Sinn war ein anderer. In dem Moment, wenn du im Krankenhaus liegst, egal mit was, dann brauchst du ein Ziel, was dich wieder zurückholt ins Leben. Sich wirklich krank zu fühlen, ist der falsche Weg. Du musst nach vorne schauen. Ich hab mir damals gesagt: Ich habe das Flugticket, der Flieger nach Pakistan geht in fünf Wochen, und ich liege hier auf der Intensivstation. Das ist eigentlich eine Unmöglichkeit. Aber ich sage, ich fahre nach Pakistan zum Latok, auf diese Expedition. Jeder hat gesagt, da musst du wieder topfit sein, das geht nicht. Auch die Ärzte haben gesagt: Thomas, es ist fast unmöglich. Da habe ich gesagt, lasst mich diese Unmöglichkeit einfach nur angehen. Habt Vertrauen zu mir. Und dann war ich am Latok.

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Wo sind dann die Grenzen?

Thomas Huber: Ich habe ein sehr intensives Gefühl, bevor ich in eine große Wand einsteige. Ich bete da vorher und gehe wirklich in mich.


Was sind das für Gebete?

Thomas Huber: Das sind Gebete zu mir selber und zu dem, der mich auch irgendwo beschützt und der mir letztendlich die Intuition gibt, dass ich das Richtige tue.


Wer ist das für dich?

Thomas Huber: Ich bin gläubiger Christ und bin ganz normal katholisch aufgewachsen. Ich bin allen Religionen zugewandt. Also wenn in nach Pakistan gehe, dann heißt es Inschallah, all is God und Bismillah. In Pakistan heißt Gott Allah, bei uns heißt er Gott, und bei den Hindus ist es eben irgendwas anderes. Aber letztendlich glauben wir alle an dasselbe, nur haben wir eben verschiedene Sprachen der Religion. Wenn mir ein Christ sagt, nur der eine Weg ist der richtige, dann sage ich: Ja, das ist aber nicht der meine.


Wie denkst du denn über diese Gipfelkreuz-Diskussion in den Alpen?

Thomas Huber: Das ist totaler Blödsinn. Ich empfinde ein Gipfelkreuz als was total Schönes, und das ist unsere Kultur. Wenn wir ein Gipfelkreuz in Pakistan errichten würden, würde ich das katastrophal finden. Man hat schon früher auf dem Gipfel einen Eispickel oben gelassen oder einen Stab, einen Stecken. Das Kreuz ist der höchste Punkt, und es kann was Ästhetisches sein. Aber es gibt natürlich auch Kreuze, wo man wirklich sagt, das ist nur noch ein Prestigeobjekt des Alpenvereins oder einer Sektion, die sich da profilieren muss. Oder wenn am Gipfel fünf Kreuze oben stehen, da sage ich, irgendwo hört es auf. Ich finde es schön, wenn ein Gipfelkreuz oben steht. Und wenn keines da ist, ist es auch cool. Also man soll sich einfach nicht so wichtig nehmen. Ich finde es viel wichtiger, dass man die Alpen auch Alpen sein lässt und dass man sie nicht so verbaut und stilisiert und kaputt touristisiert. Das ist glaube ich das, was der Reinhold (Messner, die Red.) sagen möchte, wenn er Kritik übt.

Wenn du Angst hast vor dem Tod, hast du Angst vor dem Leben.

Thomas Huber

Du hast viele Grenzerfahrungen erlebt, setzt du dich auch mit dem Tod auseinander?

Thomas Huber: Beim Absturz am Brendlberg, da war der Tod ganz nah bei mir. Ich bin später zur Absturzstelle gegangen, gleich ums Eck bei uns. Zu meiner Frau habe ich gesagt: Da muss ich jetzt alleine hingehen, das muss ich ganz alleine erleben. Dann bin ich da hingegangen, und ich habe solches Herzklopfen gehabt. Ich bin genau an die Stelle hingegangen, wo ich gelandet bin. Dann habe ich mich hingesetzt, die Sonne hat reingeschaut, dann habe ich raufgeschaut, und dann hing noch das Seil dort, wo ich durchgeseilt bin, weil es ja zu kurz war. Ich bin dann auf der anderen Seite das Fixseil hoch, das ich damals ausgehängt hatte. Da habe ich Angst gehabt, da war ich ohne Mut. Da war noch dieses negative Gefühl da: Hoffentlich hält das Seil, ich will jetzt nicht, dass es wieder einfach so runtergeht. Und dann seile ich genau wieder an der Stelle, da habe ich mich ins Projekt wieder reingehangen, und genau an der Stelle vorbei, wo es passiert war. Ich hab nach unten geschaut und dann erst begriffen, was 16 Meter sind, Kopf voraus mit Salto, eigentlich dürfte ich jetzt nicht mehr leben. Ich glaube, dass in dem Moment jemand da war, der mich im Fallen geführt hat. So weit können mich nicht mal die Engel beschützen. Irgendwas wollte, dass ich noch lebe.


Was hat sich dann geändert?

Thomas Huber: Ich bin dann runtergegangen und habe gesagt: Thomas, bist du wirklich am Leben? Ja, ich lebe. Dann habe ich für mich etwas gemacht, und das ist das Allerwichtigste: Ich habe das alles dankbar angenommen. Und seitdem habe ich keine Albträume mehr von Stürzen, von gar nichts. Ich habe es einfach dankbar angenommen: Danke, dass ich leben darf und dass ich da bin. Ich habe auch eines gemerkt: dass sterben nicht schwer ist. Mir wurde wichtig: Lebe das Leben, denke nicht so sehr an den Tod.


Jeder muss sterben.

Thomas Huber: Aber das Entscheidende ist, dass du das Leben jetzt lebst. Der Tod kommt von selbst. Zu sterben ist, glaube ich, nicht schwer, das müssen wir alle mal, das machen wir mit Bravour. Wenn du Angst hast vor dem Tod, hast du Angst vor dem Leben. Also, der Tod kommt von selbst, so lebe das Leben und lebe es einfach jetzt und intensiv. Lerne aus der Vergangenheit für das jetzige Leben und habe vielleicht einen Plan für die Zukunft, aber lebe nicht für die Zukunft. Habe nur einen Plan. Aber wer ständig für die Zukunft lebt, der lebt in keiner Sekunde. Das ist das, was ich mir über das Ganze zurechtgelegt habe. Der Tod ist nur deshalb hart, weil du was hinterlässt. Bei mir sind es eine tolle Frau, drei unglaubliche Kinder und gute Freunde. Weil ich noch viele von ihnen gestellte Fragen zu beantworten habe. Es lohnt sich, noch da zu sein.