Ein Rucksack, Zitronenwasser, Leitungswasser und für den absoluten Notfall ein Müsliriegel. Mit nicht mehr als diesen wenigen Dingen ausgestattet mache ich mich auf den Weg zu einer langen Wanderung. Brotzeit brauche ich heute nicht. Warum? Ich gehe auf Fastenwanderschaft!
Das Konzept des Fastenwanderns gibt es bereits seit den 1950er Jahren. Der Schwede Lennart Edrén wagte damals einen Selbstversuch: Er marschierte täglich 50 Kilometer, ohne feste Nahrung zu sich zu nehmen – lediglich Quellwasser war erlaubt. Im Jahr darauf steigerte er seine Herausforderung: Ein 500 Kilometer langer Marsch von Göteborg nach Stockholm, nach demselben Prinzip. Das schwedische Fernsehen begleitete ihn auf seiner Reise, wodurch das Konzept international bekannt wurde.
Auch der deutsche Theologe, Soziologe und Politologe Jürgen Moltmann griff später die Idee des Fastenmarsches auf, allerdings mit einer erweiterten Bedeutung: Seine Märsche sollten nicht nur eine körperliche und geistige Herausforderung sein, sondern auch der Friedens- und Umweltbewegung eine Plattform bieten. Dabei veränderte sich das Konzept:
- Die Routen verlagerten sich von Straßen auf Naturwege.
- Die Tagesdistanzen wurden von 50 auf 20 Kilometer reduziert.
- Die Bezeichnung wechselte von "Fastenmarsch" zu "Fastenwanderung".
Warum Fastenwandern?
Fasten hat viele gesundheitliche und spirituelle Aspekte. Eine Studie aus dem Jahr 2014 belegte, dass übergewichtige Probanden durch Fastenwandern große Abnehmerfolge erzielten – und das ohne den gefürchteten Jojo-Effekt.
Doch für mich steht heute die persönliche Erfahrung im Vordergrund: Ich möchte testen, wie sich Körper und Geist auf eine Wanderung ohne feste Nahrung einstellen.
Der Start: Motiviert und optimistisch
Der Frühling ist endlich angekommen, die Temperaturen sind mild, und ich bin gesundheitlich fit – perfekte Bedingungen für mein Experiment. 20 Kilometer bin ich schon öfter gejoggt, daher gehe ich zunächst davon aus, dass es kein Problem sein sollte, dieselbe Strecke in gemütlichem Tempo zu bewältigen.
Inspiriert von Mahatma Gandhi, der 1946 in der indischen Hitze nur mit Zitronenwasser ausgestattet einen Fußmarsch unternahm, mische ich ebenfalls Zitronensaft in eine meiner Wasserflaschen. Beim Fastenwandern sind generell Wasser oder Brühe erlaubt, mehr nicht.
Ich starte meine Tour rund um meine Heimatstadt Amberg. Doch bereits nach wenigen Kilometern stelle ich fest: Gehen ist nicht gleich Joggen. Die Strecke zieht sich deutlich länger, als ich erwartet hatte.
Der erste Härtetest: Der Maria-Hilf-Berg
Nach vier Kilometern habe ich mir eine Herausforderung vorgenommen: Ich steige den Maria-Hilf-Berg hinauf. Der steile Anstieg bringt mich trotz der nur 16 Grad Außentemperatur ordentlich ins Schwitzen. Doch oben angekommen, genieße ich die Aussicht und belohne mich mit einem Schluck Zitronenwasser.
Ein erster Lerneffekt: Obwohl ich nicht gefrühstückt habe, verspüre ich bislang keinen starken Hunger. Nur mein üblicher Morgenkaffee fehlt mir.
Den steilen Abstieg laufe ich im Schnellschritt hinunter, wodurch ich rasch 6,5 Kilometer erreiche. Mein nächstes Ziel ist der Landesgartenschau-Park – eine größere Parkanlage, die sich ideal für eine längere Wanderstrecke eignet.
Halbzeit – und das erste Tief
Am Eingang des Parks zeigt meine Fitnessuhr 10 Kilometer an – die Hälfte ist geschafft! Körperlich geht es mir noch gut, aber mir wird bewusst: Ich muss dieselbe Distanz noch einmal zurücklegen.
Dieses Gefühl löst ein kleines mentales Tief aus. Plötzlich wirkt der Rückweg länger und mühsamer. Hier zeigt sich eine der großen Herausforderungen des Fastenwanderns: Die mentale Stärke ist ebenso wichtig wie die körperliche.
Doch Ablenkung hilft: Ich umrunde den Park viermal, jede Runde etwa 1,5 Kilometer lang. Dabei beobachte ich spielende Kinder auf dem Kindergarten-Gelände, eine betreute Erwachsenengruppe, die mich freundlich grüßt, und zahlreiche Spaziergänger, die die warme Frühlingsluft genießen. Diese positiven Begegnungen geben mir neue Energie.
Hunger und der Kampf gegen den Kopf
Nach 14 Kilometern meldet sich der Hunger. Bisher war er kaum spürbar, doch jetzt ist er plötzlich da – und zwar massiv. Ich trinke mehr Wasser, aber das hilft nicht wirklich.
Ein Trost: Ich habe in meiner Recherche gelesen, dass Hungerphasen beim Fasten kommen und gehen. Ich entscheide mich, einfach durchzuhalten.
Mit Kilometer 16 beginnt der Heimweg. Erstaunlicherweise setzt ein neues Hochgefühl ein, und der Hunger verschwindet wieder.
Die letzten Kilometer: Ein psychischer Drahtseilakt
Um mich abzulenken, gehe ich bewusst durch die Amberger Fußgängerzone. Die belebten Straßencafés, das bunte Treiben und ein wenig Schaufensterbummeln helfen, die letzte Strecke zu überbrücken.
Hinter dem historischen Ziegeltor zeigt meine Uhr 19 Kilometer an. Nur noch ein Kilometer – Endspurt!
Obwohl sich dieser letzte Kilometer in die Länge zieht, komme ich schließlich zu Hause an und beende mein "Workout" bei 20,5 Kilometern.
Fazit: Eine Reise in die eigenen Grenzen
Ich bin stolz – und gleichzeitig völlig erschöpft. Mein Fazit: Fastenwandern ist eine vor allem mentale Herausforderung. Ohne Musik in den Ohren hätte ich wohl nicht durchgehalten. Für eine mehrtägige Fastenwanderung fehlt mir momentan die Vorstellungskraft.
Wer tatsächlich vier bis sechs Tage fastenwandert – wie es in spezialisierten Fastenwander-Hotels angeboten wird – braucht enorm viel Durchhaltevermögen. Täglich 20 Kilometer marschieren, nur Wasser oder Brühe trinken – das ist eine echte Grenzerfahrung.
Für mich reicht ein einziger Fastentag vollkommen aus. Ich habe bereits mehrere dreitägige Saftkuren gemacht, aber das Fastenwandern war noch einmal eine andere Dimension. Dennoch: Es lohnt sich!
Wollt ihr es ausprobieren? Achtet auf eure Gesundheit!
Falls ihr euch an einem kommenden Wochenende selbst an einer Fastenwanderung versuchen wollt, beachtet unbedingt Folgendes:
- Seid ihr gesundheitlich fit? Falls nicht, klärt es vorher mit eurem Arzt.
- Startet mit einer kürzeren Strecke. 20 Kilometer sind nicht ohne.
- Achtet auf eure mentale Verfassung. Fastenwandern ist auch eine Kopfsache.
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Modische Trends, die…
Modische Trends, die spirituelle Erlebnisse versprechen, werden z.Zt. vom Sonntagsblatt öfters gepriesen. Dieser Artikel ist einigermaßen entlarvend: Ich möchte gar nicht zählen, wie oft das Wort „Ich“ vorkommt. Alles dreht sich ums Ich, das Durchhaltevermögen, die darin (vermeintlich) ausgedrückte Stärke. Gefährliche Vorlage für Essgestörte und völlig fremd von dem, was angeblich angestrebt wird: wo hier Gott „erfahren“ werden könnte, wird nicht mal mehr gefragt. Man beweist sich, was man selber kann - ohne Gott viel weniger als der Autor (und das Sonntagsblatt??) denkt!