Mirjam war nicht nur eine Nebengestalt in der Bibel, sondern eine bedeutende Persönlichkeit. Darauf deutet schon allein der Vers in Lutherbibel - 4. Mose 20,1 hin, wo beschrieben wird, wann und wo Mirjam begraben wurde. Und nur von wirklich wichtigen Personen der Bibel wurde beschrieben, wo sie begraben wurden.
Ein weiterer Hinweis, wie wichtig die Frau Mirjam für die Geschichte Israels war, ist der Satz aus dem Propheten Micha, der im 8. Jahrhundert vor Christus seine Hörer und Hörerinnen an die schützende Begleitung Gottes durch die Wüstenzeit folgendermaßen erinnert: "Ich habe dich doch aus Ägypten heraufgeführt und dich freigekauft aus dem Sklavenhaus. Ich habe Mose vor dir her gesandt und Aaron und Mirjam."
Mirjam als Beschützerin
Mirjam wird also als eine der drei Führungsgestalten aus der zentralen Befreiungsgeschichte des Volks Israel betrachtet und sieben Mal namentlich in der Bibel genannt. Außerdem wird sie in "Lutherbibel - 2. Mose 15,20-21" als Prophetin bezeichnet.
In 2. Mose 2,1-10 wird Mirjam als die Beschützerin ihres Bruders Mose beschrieben. In der jüdischen Tradition gibt es noch Legenden, wie Gott Mirjam im Traum erschien und die Geburt des Bruders, seine spätere Rolle und ihre Aufgabe als schwesterliche Beschützerin voraussagt.
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Mirjam als Lobpreis-Leiterin
Nach dem Wunder am Schilfmeer, das zur Geschichte von der Befreiung aus Ägypten gehört, wird erzählt, wie Mirjam die Pauke nahm und ein Loblied für Gott sang. Mit ihr sangen viele, sie leitete die Anbetung und den Lobpreis an. Dieses Mirjamlied in Lutherbibel 22017 - 2. Mose 15,20-21" gilt als einer der ältesten Texte des Alten Testaments. Mit diesem Lied deutet sie Geschichte: Sie ruft und singt es in die Seele Israels hinein, dass die Befreiung aus Ägypten Gottes gute Tat am Volk Israel war.
Mirjam wird als Prophetin bezeichnet. Aber es sind keine prophetischen Sprüche von ihr bekannt. Ihr Tanz und Gesang kann allerdings auch als ihre individuelle und die ihr eigene Weise des prophetischen Diensts verstanden werden. In Israel gab es eine Tradition, die Musik und Prophetie miteinander verbindet. Ein Beispiel steht im 1. Samuelbuch: Als der Prophet Samuel Saul zum ersten König in Israel salbt, gibt er ihm folgende Worte mit auf den Weg: "… und wenn du dort in die Stadt kommst, wird dir eine Schar von Propheten begegnen, die von der Höhe herabkommen, und vor ihnen her Harfe und Pauke und Flöte und Zither, und sie werden in Verzückung sein. Und der Geist des Herrn wird über dich kommen, dass du mit ihnen in Verzückung gerätst; da wirst du umgewandelt und ein anderer Mensch werden. Wenn bei dir nun diese Zeichen eintreffen, so tu, was dir vor die Hände kommt; denn Gott ist mit dir" Samuel+10,5-7
Mirjam als Prophetin
Diese Schilderung der Gruppe von Propheten verdeutlicht, was es heißt, Prophet oder Prophetin zu sein, nämlich unmittelbar von Gottes Geist berührt zu werden und zu tun, was in diesem Moment zu tun ist. Gottes Geist weht, wo er will, Gottes Geist lässt sich nicht in vorgeformte Strukturen einzwängen, Gottes Geist schenkt unerwartete neue Einsichten und Erkenntnisse. Vielleicht war Mirjam mit ihrer Pauke solch eine Prophetin: vom Geist Gottes berührt und verzückt.
In "Lutherbibel - 4. Mose 12,1-15" wird eine Geschichte erzählt, in der Mirjam und Aaron mit Mose einen Konflikt haben.
Schon der erste Vers ist verwirrend. Mirjam und Aaron wenden sich an Mose - es hat mit seiner kuschitischen Frau zu tun. Manche Bibelübersetzungen schreiben, dass sie gegen Mose sprachen "wegen seiner Frau" oder bei Luther "um seiner Frau willen". Dazu gibt es Erklärungen in der Auslegungsgeschichte, dass Mirjam und Aaron dagegen sind, dass Mose eine Ausländerin zur Frau genommen hat.
Gott spricht durch Mirjam und Aaron
In neuen Büchern wird betont, dass das hebräische Wort statt mit "wegen" auch mit "über" übersetzt werden kann. Aufgrund des folgenden Gesprächs liegt es nahe, dass sie nicht gegen seine Frau gesprochen haben, sondern mit Mose über seine Frau. Denn der Vater von Moses Frau Zippora hatte Mose in "Mose+18,1-27" den Rat gegeben, dass er nicht alle Macht und Aufgaben auf sich konzentrieren, sondern Aufgaben delegieren solle. Und genau darum ging es anscheinend Mirjam und Aaron: Dass Gott auch durch sie spricht und nicht nur exklusiv durch Mose.
Als Strafe bekommt Mirjam (auffälligerweise nicht Aaron!) einen Ausschlag. Das bedeutet gesellschaftliche Isolation, Ausschluss vom religiösen Leben und sicher auch Scham. In der Auslegungsgeschichte finden sich jedoch unterschiedliche Zugänge zu dieser Erzählung. Eine mögliche Erklärung für Miriams harte Bestrafung war, dass es in der Zeit der Niederschrift des Texts in Israel einen Konflikt gab zwischen Gesetz, Priestertum und Prophetie.
Prophetie gilt als Kritik
Als der Bibeltext niedergeschrieben wurde, kam ein Teil des Volks zurück aus dem Exil in Babylonien. Zwischen den "Daheimgebliebenen" und den "Zurückkehrenden" gab es Konflikte in Bezug auf die Wertung von Gesetz, Priestertum und Prophetie. Mose gilt als Vertreter des Gesetzes, weil er die Gesetzestafeln am Berg Sinai bekommen hatte. Aaron ist Vertreter der Priester und des Kults. Mirjam steht als Vertreterin der Prophetie da.
Und dieser Text will die prophetischen Kräfte unter das Gesetz stellen. Prophetisches ist oft gepaart mit Kritik, Aufruf zur Veränderung und damit auch mit Unsicherheit, Unberechenbarkeit und Ungewissheit. Propheten und Prophetinnen sind immer unbequem! Das Gesetz dagegen garantiert gerade in dieser Zeit der Rückkehr, der Unsicherheit und des Aufbaus Ordnung, es bringt Sicherheit. Mose steht eben für dieses Sicherheit gebende Gesetz.
Mirjam war sieben Tage krank
Eine andere Erklärung könnte sein, dass es in der patriarchalen Gesellschaft unangenehm war, dass eine Frau als so eine hohe Führungspersönlichkeit im Namen Gottes unterwegs war. So deutete man vielleicht eine Krankheit Mirjams als Strafe Gottes, um die Vormachtstellung des Patriarchats zu untermauern.
Letztlich war Mirjam dank des Gebets von Aaron und Mose nur sieben Tage krank. Sieben Tage in der Isolation - oder man könnte es als Auszeit sehen: sieben Tage Zeit, um sich zu sammeln und wieder zu Kräften zu kommen.
Am Ende ein schönes Zeichen der Solidarität: Das Volk hat sie nicht zurückgelassen, sondern man hat gewartet, bis Mirjam wieder gesund war und wieder mit den Israeliten mitziehen konnte.
Mirjam als Frau mit eigener Meinung
Wir haben zwar nur einzelne Mosaiksteine, die wir von Mirjams Leben in der Bibel finden, aber sie funkeln aus dem Raum der Zeit zu uns herüber und lassen eine intelligente, eigenwillige, glaubensstarke Frau erkennen. Die prophetische Tradition der Mirjam ließ sich aus der biblischen Botschaft nicht auslöschen. Ihr Lied klingt bis in unsere Zeit herein. Sie singt und tanzt uns voraus.
Mirjam ist Prophetin, eine Frau mit einer eigenständigen religiösen und politischen Meinung. Gemeinsam mit ihren Brüdern Aaron und Mose ist sie für das Schicksal des Volks Israel verantwortlich, das aus der ägyptischen Herrschaft befreit wird und unterwegs ist auf dem langen und mühsamen Weg durch die Wüste bis ins verheißene Land. Die Figur der Mirjam erinnert uns immer wieder daran, dass es eine Gemeinschaft von Männern und Frauen war, die das Volk leitete und in die Freiheit führte.
MIRJAM - ein Steckbrief
NAME: Nach jüdischer Tradition bedeutet der Name "bitteres Meer". Es gibt neben dieser Erklärung aber noch viele andere Übersetzungsversuche: die Erhabene, die Erhöhte, die Widerspenstige oder Ungezähmte, die Geschenkte, die Fruchtbare.
BERUF: Prophetin
HERKUNFT: Schwester Moses und Aarons
ZEIT: ca. 13. Jahrhundert vor Christus
WICHTIGE BIBELSTELLEN: 2. Mose 15, 20.21; 4. Mose 12, 1-15; 4. Mose 20, 1, 5. Mose 24, 9, Micha 6, 4
ZITAT: "Lasst uns dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan; Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt." (2. Mose 15, 21b)
ZUM WEITERLESEN: Ursula Rapp: Mirjam. Eine feministisch-rhetorische Lektüre der Mirjamtexte in der hebräischen Bibel. de Gruyter, Berlin 2002.
EXODUS - ein theologisches Stichwort
Der Auszug aus Ägypten oder Exodus ist die überlieferte Erzählung von der Rettung der Israeliten aus der Sklaverei des Pharaos, die im Buch Exodus in Kapitel 1-15 zu finden ist. Damit beginnt in der hebräischen Bibel die besondere Geschichte Israels mit seinem Gott Jahwe, durch die er sich seinem Volk bekannt macht und es zu seinem Bundespartner erwählt.
Diese theologische Ursprungsgeschichte Israels ist das zentrale Glaubensbekenntnis des Judentums. Belegt in ägyptischen Quellen sind die Zwangsarbeit von semitischen Nomaden (Hapiru genannt) für Bauprojekte von Pharaonen des Neuen Reichs (18. bis 20. Dynastie, etwa 1500-1000 v. Chr.) und gelegentliche Fluchten von Kleingruppen solcher semitischen Zwangsarbeiter. Die Exodustradition prägte viele weitere Überlieferungen Israels.
Griechische und römische Autoren der Antike reagierten darauf, zum Teil mit Gegenerzählungen. Eine Variante der Auszugsgeschichte wird im Koran überliefert.