Die amerikanische Bestsellerautorin Rebecca F. Kuang greift in ihrem Werk "Yellowface" schwierige Themen auf. Es geht um Rassismus, um kulturelle Aneignung, um die Dynamik von Debatten in den sozialen Medien, und das alles durch die Brille der Literatur. Und vor allem: All das, ohne zu langweilen oder vordergründig zu belehren. 

"Yellowface" wird aus der Perspektive der erfolglosen weißen Schriftstellerin June erzählt. Durch einen überraschenden (und tödlichen) Zufall kommt sie in den Besitz des neuen Manuskripts ihrer ungleich erfolgreicheren asiatisch-amerikanischen Freundin Athena. Kurzerhand beschließt sie, es als ihr eigenes auszugeben. 

So weit, so bekannt. Das Motiv des Hochstaplers oder Scharlatans gilt eigentlich als ausgelutscht. Doch Kuang gelingt es, eine neue Ebene hinzuzufügen. Denn in Athenas Manuskript geht es um die Geschichte chinesischer Zwangsarbeiter, die im Ersten Weltkrieg von der britischen und französischen Armee an die alliierte Front geschickt wurden. Eine Geschichte also, die bisher kaum bekannt war oder Beachtung fand, natürlich auch, weil die Betroffenen Asiaten waren. 

Ein klassischer Fall kultureller Aneignung

Doch dann kommt die junge weiße Amerikanerin, der das alles herzlich egal ist. Sie schreibt die Geschichte in vielen Punkten um, mildert den Rassismus der weißen Figuren ab, deutet kulturelle Anspielungen um, fügt eine Liebesgeschichte ein – alles im Dienste der Unterhaltung und alles ohne Respekt vor den eigentlichen Hauptfiguren der Geschichte. Noch dazu verwendet sie ihren vage asiatisch klingenden Zweitnamen anstatt ihres Nachnamens als Autorenname.

Ein klassischer Fall von herablassender kultureller Aneignung zum eigenen Vorteil also. Übrigens sehr erfolgreich, denn das Buch wird zum Bestseller und macht June quasi über Nacht berühmt und reich (Spoiler: nicht glücklich). Doch anstatt ihr Handeln von außen moralisch einzuordnen, schauen wir Leser*innen selbst durch Junes Augen auf die Angelegenheit, bekommen ihre Selbstgerechtigkeit, ihre Rechtfertigungen und Ausreden für ihr Handeln und ihre weitgehend unterdrückten Schamgefühle direkt mit. 

Eine Schlüsselszene ist, als June vom Chinese American Social Club eingeladen wird. Ihre Gastgeberin, Susan, erwartet eigentlich eine asiatisch-amerikanische Person (aufgrund des asiatisch anmutenden Namens). June fühlt sich immer unwohler bei dem Treffen, bis sie schließlich sogar einen Mann dort trifft, der selbst zu den chinesischen Zwangsarbeitern gehört hat. Erstmals überkommen sie Zweifel und Schuldgefühle für ihren mehrfachen Betrug – die sie im weiteren Verlauf der Geschichte jedoch erfolgreich verdrängt. 

Autorin lässt uns selbst urteilen

"Yellowface" ist an keiner Stelle eine Moralpredigt. Das Urteil über Junes Handeln überlässt die Autorin uns selbst. Wie einige Rezensionen aus dem deutschsprachigen Raum zeigen, führt das bei manchen Rezipienten dazu, dass sie sich sogar mit June identifizieren und ihr mühsam zusammengebasteltes Selbstbild überzeugend finden.

Besonders denkfaule Gemüter glauben sogar, Kuang würde in ihrem Buch die ach so gefährliche Cancel Culture anprangern oder sich über die Debatte um kulturelle Aneignung lustig machen. Tatsächlich bekommt June in den sozialen Medien schnell Gegenwind. Und natürlich wird auch grundsätzlich problematisiert, dass sie sich als weiße Autorin eine Geschichte über Asiat*innen angeeignet hat – auch wenn die meisten gar nicht ahnen, wie wortwörtlich sie sich diese tatsächlich angeeignet hat. 

Doch Kuangs "Yellowface" ist viel klüger als solche ungeschickten Versuche, es für den rechten Kulturkampf zu vereinnahmen. Es zeigt rassistische Strukturen sehr intelligent und differenziert auf, verzichtet auf plattes Schwarz-Weiß-Denken und spart auch Zwischentöne, Nuancen und Widersprüche in den jeweiligen Debatten nicht aus. Doch es lässt auch keinen Zweifel daran, dass kulturelle Aneignung kein Hirngespinst ist.

Die Handlung ist spannend erzählt und zieht ein in ihren Bann: Als Leser*in merkt man immer wieder, wie man sich gleichzeitig mit June identifiziert, ihr wünscht, dass sie mit ihrem Betrug durchkommt, aber auch angewidert ist von ihrer Dreistigkeit und Herablassung. Eine gute Gelegenheit nebenbei, auch eigene rassistische Denkmuster zu erkennen.

 

 

Yellowface. Rebecca F. Kuang. eichborn Verlag 2024. 384 Seiten. 

Hier im sozialen Buchhandel Buch7 bestellen

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden