Osterspaziergänge – wie habe ich sie als Kind geliebt. Es riecht nach Frühling. Manchmal liegt noch Schnee an den Rändern des Weges. Ich bin als kleines Mädchen mit der ganzen Familie unterwegs. Alle reden munter miteinander. Nur ich suche mit meinen Augen die ganze Zeit das Gras und das Moos am Wegrand ab. Da glitzert ab und zu ein kleines Osterei in der Frühlingssonne. Mein Herz macht jedes Mal einen Freudensprung.  Den Osterhasen habe ich natürlich nie gesehen. Als ich dann älter werde, vielleicht so mit 7 Jahren fällt mir bei einem Osterspaziergang auf, wie meine Mutter heimlich in ihre Manteltasche greift und mit schneller Bewegung ein Osterei neben den Weg legt. Aha – so ist das also.

Die österliche Spur aus glitzernden Ostereiern zieht nicht der Osterhase, sondern meine Mutter. Ich weiß noch, dass ich darüber gar nicht so enttäuscht war, im Gegenteil: die Osterspur bleibt und glitzert ja weiter. Ganz anders als vorher: sie zeigt mir, dass meine Mutter mich liebt und sich herrlich an meiner Freude erfreut. Ostern bleibt für mich verknüpft mit diesem Gefühl: Überrascht werden und letztlich aus Liebe überrascht werden.

Überraschungen haben oft zwei Seiten. Manche Überraschung löst zuerst einmal Schrecken aus. Das eigentliche Osterereignis ist eine solche Überraschung.

Die Frauen finden ein leeres Grab. Unfassbar: der Leichnam ist verschwunden. Jesus, den sie suchen, ist nicht mehr da. Stattdessen sehen sie eine Lichtgestalt, einen Engel. Sie erschrecken. Dann hören sie, wie er zu ihnen spricht und das Unsichtbare in Worte fasst: "Auferstanden. Er ist auferstanden." 

Da wo du nichts findest, nichts siehst, wo alles leer und tot ist, da geschieht Überraschendes: neues Leben.

Und dann erscheint Jesus den Jüngern. Sie erkennen ihn erst nicht, jedenfalls nicht am Äußeren – das Erkennen kommt von innen her. Es braucht ein anderes Sehen für die Auferstehung. Die Bibel spricht ganz unterschiedlich davon. Jesus erscheint trotz verschlossener Türen – er steht plötzlich mitten im Raum. Und genauso schnell verschwindet er wieder. Dennoch ist er kein Gespenst, sondern er lässt sich von Thomas berühren und er isst mit den Jüngern gebratenen Fisch. Viele Berichte in der Bibel widersprechen einander, niemand hat sich darum bemüht, sie im Nachhinein zu vereinheitlichen, zu glätten. Ich finde das gerade gut, denn damit ist mir jeder Versuch unmöglich, es zu fassen, zu erfassen und in Griff zu kriegen. Es bleibt eine Überraschung, die mich selbst erfasst. Das kann sich keiner ausdenken. Dafür ist die Wirkung zu stark.

Ich spüre das als eine Gewissheit, die in mir wächst und in die ich hineinwachse.

Da ist jemand, der mich meint, der mir ein Gegenüber ist. Für mich ist das Gott. Ich führe da nicht einfach ein Selbstgespräch, denn das würde ja an meiner Situation nichts verändern. Denn oft höre ich Gott etwas überraschend Anderes sagen. Etwas ganz Anderes, als das, was ich mir selber sagen würde.

Auferstehung – Ein Bekenntnis

Die ältesten Worte, die über Jesu Auferstehung geschrieben wurden, sind recht kurz: es sind fünf Verse. Fast formelhaft. Ein Bekenntnis. Paulus hat es aufgeschrieben. Dabei hat er Jesus nur vom Hörensagen gekannt. Paulus hielt die ersten Christen für verblendet. Augenwischerei, sagt er, Irreführung.

Und dann trifft es ihn wie ein Blitz vor Damaskus. Paulus hat Jesus nicht gesucht.

Er wird von Jesus gefunden. Und das verändert alles. Für Paulus wird das zu seinem biographischen Auferstehungsereignis. Er fasst es in Worte und schreibt:

Ich erinnere euch aber, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet. Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Ob nun ich oder jene: So predigen wir, und so habt ihr geglaubt. (1. Kor. 15 Basisbibel)

Es geht ums Sehen. Immer wieder. Sie sehen den auferstandenen Jesus. Kephas soll ihn gesehen haben. Dann die zwölf Jünger, fünfhundert Jünger und Jüngerinnen, es werden immer mehr …

Und Paulus? Seine Begegnung mit dem Auferstandenen ist eher ein "Gesehen werden", als ein "Sehen". Paulus wird von einem starken Licht geblendet und erblindet daran. Das muss ein entsetzlicher Schreck sein. Du kannst nichts mehr sehen. Das macht unsicher. Du kannst deine Wirklichkeit nur noch ertasten: Worauf kann ich mich verlassen? Was ist noch da? Was ist wirklich?

Mit einem Mal öffnen sich Paulus innere Augen. Mit ihnen erkennt er, dass er mittendrin ist in Gottes Wirklichkeit. Da zählt nicht Erfolg oder Misserfolg. Da geht es nicht um äußere Anerkennung oder Ablehnung. In dieser Wirklichkeit bin ich, was ich bin, weil Gott mich liebevoll anschaut. So begreift Paulus sein Leben: "In Christus" – Als sei er in Gottes Wirklichkeit hinein aufgewacht. Auf einmal siehst Du alles wie zum ersten Mal.

Wenn das Ende ein Anfang ist

Überraschung – das klingt so glücklich, wahrscheinlich wegen des Ü. Das Ü sieht ja aus wie ein lächelndes Gesicht.

Dabei sind die Frauen am Ostermorgen erst einmal alles andere als glücklich. Und auch Paulus. Ihn wirft es erst mal aus der Bahn. Er verliert die Kontrolle, alle seine Pläne werden durchkreuzt. 

So viele Menschen nach ihm erleben genau das: alles wirbelt durcheinander, alles, was bisher sicher schien. Auf einmal ist nichts mehr sicher. Du hast es nicht mehr in der Hand. Und dann diese Erfahrung, dass sich Gott genau da zeigt. Wenn ich den Überblick verloren habe und nicht mehr weiter weiß. Manchmal sag ich dann ganz bewusst: Mach du, Gott! Bitte, zeig du's mir …

Vielleicht werden wir in solchen Momenten hellsichtiger, tief blickender oder weitschauender als sonst. Wir erkennen die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit.

Heute an diesem Ostersonntag denke ich ganz besonders an Dietrich Bonhoeffer. Genau vor 78 Jahren, am 9. April 1945 wurde er in den frühen Morgenstunden im Konzentrationslager Flossenbürg von den Nazis hingerichtet. Auf dem Weg zum Galgen wendet er sich zu einem britischen Mithäftling um und bittet ihn, einem Freund in England etwas auszurichten: "Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende, aber auch der Anfang ist."

So stirbt Dietrich Bonhoeffer - "für mich das Ende, aber auch der Anfang". Was für ein Satz: er geht auf sein eigenes Ende zu und spricht doch von Anfang! Hier geht es um Leben und Tod. Dietrich Bonhoeffer schaut da nicht weg, sondern er schaut hin und er schaut darüber hinaus.

Er bleibt ganz bei den Menschen, ist ganz in dieser Welt. Mit all ihrer grausamen Gewalt. Und gleichzeitig ist eine andere Wirklichkeit für ihn entscheidend. Gottes Wirklichkeit ist stärker. Und macht Menschen stark.

Dietrich Bonhoeffer schaut mit österlichem Blick auf sein Sterben. Für ihn ist es der Anfang – der Anfang vom ewigen Leben, davon, ganz ungetrennt bei Gott zu sein. In diesem Vorgefühl schreibt er:

"Der auferstandene Christus trägt die neue Menschheit in sich, das letzte herrliche Ja Gottes zum neuen Menschen. Zwar lebt die Menschheit noch im Alten, aber sie ist schon über das Alte hinaus. Zwar lebt sie noch in einer Welt des Todes, aber sie ist schon über den Tod hinaus.(…) Die Nacht ist noch nicht vorüber, aber es tagt schon."

Von dieser Wirklichkeit will ich mich überraschen lassen, liebe Gemeinde! Aus Liebe. Mit offenen Osteraugen erkennen: Die Nacht ist noch nicht vorüber, aber es tagt schon.

Amen

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