Rund 6000 Gemeindemitglieder, Schulen, Kindergärten, Seniorenarbeit, Umweltkreis, Planungsausschuss, Weihnachtsmarkt mit Böllerschützen und jede Menge Geburtstagsbesuche – es klingt wie ganz normale Gemeindearbeit, was da bei Pfarrer Matthias Jokisch täglich auf dem Terminkalender steht. Ist es ja auch. Nur ist es die politische Gemeinde Brannenburg, um die sich der Theologe seit Mai 2014 als erster Bürgermeister kümmert.
»Es ist sehr vieles ähnlich«, sagt der gebürtige Erlangener, der als Pfarrerssohn in Markt Schwaben und Pullach aufgewachsen ist und seit 1993 in Brannenburg lebt. Doch an manches musste sich der Neuling im Rathaus erst gewöhnen: »Man muss viel schneller entscheiden, und man kann viel seltener Kompromisse finden.«
Salomonische Lösungen sind eben schlecht möglich, wenn jemand sein Haus aufstocken will, um die kranke Mutter bei sich aufzunehmen, dem Nachbarn dadurch aber der Bergblick versperrt wird. Sondergenehmigung: ja oder nein? Matthias Jokisch wiegt den Kopf. Sätze wie »Da könnt ja jeder kommen« gehen ihm nicht über die Lippen. Aber der Bürgermeister weiß genau, dass nach einer Ausnahme sofort die nächsten fünf Antragsteller mit dem gleichen Wunsch an seine Tür klopfen.
Jokisch: Parteiloser Kandidat, bestens vernetzt
Dass im hellen Brannenburger Bürgermeisterzimmer mit den Landschaftsgemälden an der Wand ein evangelischer Theologe sitzt, hat viel mit Jokischs langer Pfarrerszeit, seiner Präsenz und Vernetzung im Ort zu tun. Im Sommer 2013 bekam Jokisch, der seit 2011 Geschäftsführer der Evangelischen Jugendsozialarbeit in München war, die erste Anfrage. Jokisch sagte spontan Nein, doch seine Frau und die beiden Töchter ermutigten ihn. »Also dachte ich mir: Warum nicht?«, erinnert sich Jokisch. Am Ende stand er als parteiloser Kandidat auf der CSU-Liste und holte das Amt mit satten 64,9 Prozent der Stimmen.
Ein Hauptanliegen des Rathauschefs sind soziale Themen. Jokisch ist stolz, dass der Gemeinderat auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs ein Gemeindegrundstück für einen Containerkomplex für 62 Menschen mitten im Wohngebiet frei gemacht hat. Er freut sich, dass es bald mindestens 21 neue Sozialwohnungen in Brannenburg geben wird. Er macht sich Gedanken, wie die 750 neuen Einwohner, die im Neubaugebiet der ehemaligen Kaserne einziehen sollen, gut integriert werden. Ein erster Schritt ist getan: »Sägmühle« wird der Ortsteil heißen, damit kein Kind in der Schule sagen muss, es wohne in der Kaserne.
Pfarrer und Bürgermeister: »Man muss gut zuhören«
Auch in anderen Fällen hilft ihm seine Vergangenheit als Pfarrer. Er will mit den Menschen im Gespräch bleiben, gerade wenn es Streit gibt. Seine Erfahrung als Seelsorger hilft ihm dabei. »Man muss den Leuten gut zuhören, raushören, worum es geht und mit Vorwürfen gut umgehen«, zählt er auf.
Parteilos ist Matthias Jokisch seit Mai übrigens nicht mehr. Auch wenn er es ursprünglich nicht vorhatte, ist der Bürgermeister im Mai der CSU beigetreten. »Man kann sich nicht auf Dauer künstlich distanzieren«, findet er. Leichter gemacht hat ihm die Entscheidung, dass die zehn CSU-Mitglieder im Gemeinderat ihn nie bedrängt haben. »Das Vertrauen zum Gemeinderat ist unglaublich wichtig«, sagt der 57-Jährige. Und er spürt, dass der Dorftratsch jetzt ein Thema weniger hat.
CSU und Kirche vereinen: »Schlagworte zur Mitgliedergewinnung«
Ein linientreuer CSUler wird aus Jokisch aber wohl nicht mehr. Der Ansicht von Heimatminister Markus Söder, der gern die politische Einmischung der Kirchen kritisiert, folgt er nicht: »Jede Arbeit der Kirchen ist politisch«, sagt er. Soziale Fragen berührten immer politische Fragen. Auch mit der Dauerforderung nach einer Obergrenze beim Flüchtlingszuzug von CSU-Chef Seehofer kann Jokisch nichts anfangen. Die Obergrenze sei längst durch die aktuelle Politik unterschritten. »Das sind gesetzeswidrige Schlagworte, die der Mitgliedergewinnung dienen sollen«, sagt er.
Doch dem Bürgermeister gibt zu denken, dass die AfD bei der Bundestagswahl mit 12,3 Prozent auch in Brannenburg erheblichen Zulauf hatte. Jokisch glaubt, dass das zu tun hat mit der Angst vor Veränderung. »Aber dem Ort geht es gut, gerade weil er sich immer wieder verändert hat«, sagt Jokisch. Das möchte er gerne vermitteln: auch denen, die lieber alles beim Alten lassen wollen.