Vor einer Moschee in der Bronx steht Zohran Mamdani vor einer Menschenmenge. Seine Stimme bebt, als er von der Erniedrigung spricht, die viele New Yorker täglich erleben – Muslime ebenso wie andere marginalisierte Gruppen.

Der Hintergrund: Wenige Tage zuvor hatte sein Gegenkandidat, der ehemalige Gouverneur Andrew Cuomo, in einem Radiogespräch zustimmend gelacht, als ein Moderator behauptete, Mamdani würde "einen weiteren 11. September bejubeln".

Es ist Oktober 2025, mitten im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt von New York City. Und Mamdani trifft eine Entscheidung: Er wird seine muslimische Identität nicht verstecken. Trotz der Ratschläge seiner Berater:innen, trotz der islamfeindlichen Angriffe, trotz der Sorge vor noch mehr Hetze.

Statt sich klein zu machen geht er in die Offensive: "Islamophobie ist in New York eine der letzten akzeptierten Formen des Hasses", sagt er an diesem Abend vor der Moschee. 

Zwischen zwei Welten, zu Hause in beiden

Zohran Mamdani wurde 1991 in Kampala, Uganda, geboren. Beide Elternteile stammen aus Indien, seine Familie gehört zur Khoja-Twelver-Gemeinschaft – einem südasiatisch geprägten Zweig des Zwölferschia-Islam mit historischen Wurzeln in Indien und Pakistan. Als er sieben Jahre alt war, zog die Familie nach New York. Es war eine Kindheit zwischen den Welten.

Seine Mutter ist Hindu. In der Familie Mamdani wurden islamische Feste genauso selbstverständlich gefeiert wie Diwali, Holi oder Raksha Bandhan. Für den jungen Zohran war Religion keine Frage der Abgrenzung, sondern der Bereicherung. Diese interreligiöse Prägung sollte später zu einem Kernstück seiner politischen Identität werden.

"Diese religiöse und kulturelle Vielfalt hat meine Weltsicht fundamental geprägt", sagt Mamdani heute. Für ihn ist der Glaube keine Sammlung starrer Regeln, sondern eine ethische Grundlage – eine Quelle von Mitgefühl, Empathie und sozialem Engagement. 

Es ist diese Haltung, die ihn von vielen anderen Politikern unterscheidet, die entweder ihre religiöse Identität instrumentalisieren oder sie komplett aus dem öffentlichen Diskurs heraushalten. 

Die Kampagne der Angriffe

Der Wahlkampf 2025 war hart und teilweise unfair. Mamdanis Gegner hatten früh erkannt, dass seine muslimische Identität eine Angriffsfläche bot. Die Attacken waren nicht subtil: "Terroristenfreund", "Sympathisant des Dschihad", "Gefahr für New York" – die Schlagworte häuften sich in konservativen Medien und auf Social Media.

Das Radiogespräch mit Andrew Cuomo markierte einen Tiefpunkt. Als der Moderator die absurde Behauptung aufstellte, Mamdani würde einen weiteren 11. September begrüßen, widersprach Cuomo nicht. Er stimmte sogar zu. Die Botschaft war klar: Ein muslimischer Bürgermeister sei eine existenzielle Bedrohung für die Stadt.

Für viele Kandidat:innen wäre das der Moment gewesen, zurückzurudern, die religiöse Identität herunterzuspielen, sich als "nicht so muslimisch" zu präsentieren. Mamdani tat das Gegenteil. In der Bronx-Moschee, vor Hunderten von Gläubigen, sprach er über die Erniedrigung, die systematische Ausgrenzung, die alltägliche Diskriminierung. Er machte seine Verletzlichkeit öffentlich – und verwandelte sie in Stärke.

"Offen über meinen Glauben zu sprechen ist ein Akt der Selbstachtung und Ehrlichkeit", sagte er. 

Das jüdische New York: Gespalten, aber nicht zerbrochen

Mamdanis Haltung zu Israel und Palästina wurde zur zweiten großen Konfliktlinie des Wahlkampfs. Er ist bekannt für Solidarität mit den Palästinenser:innen und scharfer Kritik an der israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu. Diese Position brachte ihm in der jüdischen Community sowohl leidenschaftliche Unterstützung als auch vehemente Ablehnung ein.

Die Zahlen erzählen eine komplexe Geschichte: Laut CNN-Exit-Polls erhielt Mamdani bei der Bürgermeisterwahl etwa 30 Prozent der jüdischen Stimmen. Auf den ersten Blick mag das wie eine Niederlage aussehen – jüdische Wähler in den USA stimmen traditionell zu 70 bis 80 Prozent für Kandidaten der Demokratischen Partei. 

Für viele ältere jüdische New Yorker:innen war Mamdanis Kritik an Israel tatsächlich inakzeptabel. Führende Vertreter jüdischer Organisationen warnten öffentlich, er könne antisemitischen Tendenzen Vorschub leisten. Der Vorwurf wog schwer in einer Stadt, die historisch stark von Jüd:innen geprägt ist und in der antisemitische Übergriffe in den letzten Jahren zugenommen haben.

Doch für eine andere, vor allem jüngere und progressivere Gruppe jüdischer Wähler:innen war Mamdanis Wahlsieg ein Zeichen der Hoffnung. Sie sahen in ihm keinen Antisemiten, sondern einen Kritiker einer konkreten Politik. Viele unterstützten ihn gerade wegen seiner Haltung zu Israel, als Ausdruck eines moralischen Protests gegen eine Regierung, die sie selbst ablehnten.

Und dann gab es die dritte Gruppe: jüdische Politiker:innen wie Brad Lander, der New Yorker Comptroller, und Ruth Messinger, die ehemalige Bürgermeisterkandidatin. Sie unterstützten Mamdani öffentlich und betonten, dass jüdische und muslimische New Yorker:innen gemeinsam gegen Hass, Diskriminierung und soziale Ungerechtigkeit stehen müssten – auch wenn sie in Fragen der Nahostpolitik unterschiedlicher Meinung blieben.

In seiner Siegesrede fand Mamdani eine bemerkenswerte Balance. "Wir werden ein Rathaus schaffen, das fest an der Seite der jüdischen New Yorker:innen steht und im Kampf gegen die Geißel des Antisemitismus standhaft bleibt", sagte er, bevor er auf die Islamophobie einging, die er selbst erlebt hatte. Es war kein Entweder-oder. Es war ein Sowohl-als-auch.

Religion als politische Kraft – aber nicht als Waffe

Mamdanis Verhältnis zur Religion selbst unterscheidet ihn von vielen anderen religiösen Politikern. Er instrumentalisiert seinen Glauben nicht für politische Zwecke. Er nutzt ihn nicht, um eine bestimmte Wählergruppe anzusprechen oder sich als moralisch überlegen darzustellen.

Stattdessen versteht er Religion, wie er sagt, als ethische Grundlage – als Quelle von Werten wie Gerechtigkeit, Solidarität und Mitgefühl. Sein schiitischer Glaube, geprägt von der Geschichte einer verfolgten Minderheit, verbindet sich mit der hinduistischen Kultur seiner Mutter zu einem Weltbild, das Vielfalt nicht nur herablassend toleriert, sondern fordert und feiert.

Diese Haltung spiegelt sich in seiner Politik wider. Mamdani setzt sich für Minderheitenrechte ein – nicht nur für Muslime, sondern für alle marginalisierten Gruppen. Er spricht über strukturelle Ungerechtigkeit, über Rassismus, über Armut. 

Es ist ein Gegenentwurf zu jener Identitätspolitik, die auf Abgrenzung setzt. Und ein Versuch, Religion zurückzuholen aus den Händen derer, die sie zur Spaltung missbrauchen.

Ein New York ohne Grenzen

Zohran Mamdanis Wahl zum Bürgermeister von New York City im Jahr 2025 ist mehr als ein politischer Sieg. Sie richtet unseren Blick auf eine Stadt im Wandel – eine Stadt, die gerade lernt, dass religiöse Zugehörigkeit weder Ausschluss noch Privileg bedeuten muss.

Die Muslime, die in der Bronx-Moschee seine Rede hörten, sahen in ihm einen von ihnen, der es geschafft hatte, trotz aller Anfeindungen. Die jüdischen New Yorker, die ihn unterstützten, sahen in ihm einen Partner im Kampf gegen Hass und Diskriminierung. Und die vielen anderen New Yorker, unabhängig von ihrer Religion, sahen in ihm einen Politiker, der Religion nicht als Waffe benutzt, sondern als Brücke.

Ob Mamdani als Bürgermeister erfolgreich sein wird, wird die Zeit zeigen. Aber eines hat er bereits bewiesen: dass es möglich ist, offen über den eigenen Glauben zu sprechen, ohne andere auszuschließen. Dass es möglich ist, Religion als Kraft der Verbindung zu verstehen – nicht der Trennung.

In einer Zeit, in der religiöse Identität weltweit zur Waffe gemacht wird, ist das vielleicht die wichtigste Botschaft von allen.