Er hat gerade erst sein neues Amt angetreten und schon gibt es einen Extremfall: Karsten Schaller ist der Kasualienbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
In seinem Aufgabebereich fallen Trauungen, Taufen und Beerdigungen. Doch wie läuft das aktuell in Zeiten von Coronavirus? Immerhin sind Gottesdienste schon untersagt.
Was sind Ihre Empfehlungen an die Pfarrerinnen und Pfarrer wegen dem Coronaviurs?
Karsten Schaller: Meine Empfehlungen sind hier die gleichen wie die unseres Landesbischofs oder des Landeskirchenrates: Es ist ein Akt der Nächstenliebe und eine Form der Verantwortung füreinander, jetzt auf Menschen in den sogenannten Risikogruppen Rücksicht zu nehmen und deshalb keine Gottesdienste und auch keine Taufen, Trauungen und Konfirmationen zu halten.
Das ist sicherlich mit vielen Enttäuschungen verbunden, allein wenn man an die aufwändigen Hochzeitsvorbereitungen denkt, aber angesichts der augenblicklichen Situation normalerweise auch vermittelbar. Die klare Haltung unserer Kirche ist hier für uns alle in den Kirchengemeinden auf alle Fälle eine große Hilfe.
In unseren Fachstellen in Nord- und Südbayern kam außerdem der Gedanke auf, in den Kirchengemeinden nach dem Ende der Pandemie vielleicht einen größeren Gottesdienst für alle Verstorbenen zu halten, sodass auch andere Menschen die Möglichkeit haben, Abschied zu nehmen und sich an unsere Hoffnung erinnern zu lassen. Vielleicht ist das sogar auf einem Friedhof möglich, sodass man gemeinsam von Grab zu Grab gehen und dort an die Verstorbenen der letzten Wochen denken kann. In manchen Regionen gibt es bereits eine ähnliche Tradition am Johannis-Tag (24. Juni).
Was ist Ihre Botschaft an die Gläubigen?
Schaller: Grundsätzlich ist es meines Erachtens wichtig, deutlich zu machen, dass niemand aufgrund dieser Situation wie auch immer „verloren“ geht, weder die Täuflinge, die später getauft werden, noch die Brautleute, wenn ihre Trauung später erfolgt, noch unsere Verstorbenen. Als Kirche behalten wir sie im Blick und vertrauen wir darauf, dass jede und jeder von ihnen auch bei Gott gut aufgehoben ist. Hier sind wir Pfarrerinnen und Pfarrer jetzt auch besonders als Seelsorgerinnen und Seelsorger gefordert.
Der Wochenspruch über diese Woche hat mich übrigens sehr nachdenklich gemacht. Darin sagt Jesus: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ (Lk 9,62). Es bringt jetzt nichts, zurückzuschauen und zu klagen, was nicht mehr möglich ist, sondern es geht darum, mit Zuversicht und Vertrauen nach vorne zu blicken. Vielleicht entdecken wir ja jetzt wieder kleinere Formen von Kasualien, die uns genauso guttun, und wir merken, dass es auch nicht immer der große Event sein muss.
Und noch eine ganz große Empfehlung an uns alle als Pfarrerinnen und Pfarrer: Vernetzt euch untereinander! Tauscht eure Ideen und Erfahrungen aus! Einzelkämpfer helfen uns jetzt nicht weiter, sondern alle, die hier auch zusammenstehen und sich gegenseitig tragen.
Welche Anfragen erhalten Sie aktuell als Kasualienbeauftragter?
Schalller: Da wir gerade erst dabei sind, unsere Fachstellen für Kasualien in Nord- und Südbayern zu konzipieren und Ende April an die Öffentlichkeit gehen, erreichen mich vor allem die Anfragen von Trauungen und Taufen, die bei mir für die nächsten Wochen anstehen. In der Osternacht wollten eigentlich Konfirmandinnen getauft werden und bald nach Ostern beginnt die „Trausaison“.
Gerade bei den Trauungen gibt es große Ängste. Jetzt sind wir miteinander am Überlegen, welche Möglichkeiten es stattdessen gibt. Jedoch kann sich aktuell alles sehr schnell ändern, da sich jeden Tag eine neue Situation ergibt.
Wohin sollen sich Menschen wenden, die jetzt kirchlichen Beistand brauchen?
Schaller: Sie sollten sich auf alle Fälle telefonisch an ihre Ortspfarrerinnen und Ortspfarrer wenden und mit ihnen die Situation besprechen. Da es im Augenblick fast keine Veranstaltungen und keinen Schulunterricht in den Kirchengemeinden gibt, stehen viele Kolleginnen und Kollegen jetzt auch bewusst am Telefon zum Gespräch zur Verfügung.
Die alte Devise „Ruf doch mal an!“ hat da wieder eine neue Bedeutung gewonnen, auch wenn Gemeindeglieder untereinander anfangen, sich gegenseitig anzurufen. Gerade so ein Telefondienst und -netzwerk in Kirchengemeinden bewahrt auch vor der Vereinsamung.
Wer es weniger persönlich mag, kann sich die Webseiten vieler Kirchengemeinden ansehen. Dort gibt es oft sehr gute Gedanken, manchmal sogar die Predigttexte der Woche. Es ist großartig, was sich Kirchengemeinden hier einfallen lassen, jetzt virtuell das Gemeindeleben lebendig sein zu lassen.
Wie handhaben Sie persönlich als Pfarrer die Situation? Was tun Sie persönlich gegen die Einsamkeit? Was spendet Ihnen Trost?
Schaller: Mich verunsichert diese Situation genauso wie die meisten Menschen wohl auch. Jeder Tag bringt wieder eine neue Entwicklung und manchmal kommt mir das Ganze so unwirklich vor.
Außerdem möchte ich gerade auch jetzt die schwierige Lage in Nordsyrien und mit den Flüchtlingen nicht vergessen. Da hilft mir jetzt vor allem auch die Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen und der Austausch untereinander. Ich bin dankbar, über Mails und Social-Media- Kontakte mit vielen Menschen pflegen zu können oder einfach auch wieder mal lang zu telefonieren.
Mir tut natürlich ganz besonders meine Familie gut. Es ist die Pflege von Beziehungen, die einfach trägt, und dazu gehört für mich auch das Gebet. Und irgendwie vertraue ich auch darauf, dass sich trotz dieser schwierigen Situation doch vielleicht auch etwas Neues für uns auftut.
Ich bekomme so viele Mails mit Segenswünschen und finde es beeindruckend, wenn in Italien plötzlich die Menschen an den Fenstern stehen und gemeinsam singen. In dieser Solidarität ist eine Kraft lebendig, die für mich ganz viel mit unserem Gott zu tun hat, der uns Menschen verbindet und eins werden lässt. Das zu sehen, bewegt mich und macht mir Hoffnung.