Lange Zeit wurde in der evangelischen Kirche darum gerungen, wie das Reformationsjubiläum 2017 begangen werden soll. Vorangehende Jubiläen hatten jeweils ihre eigene Prägung. 1617 diente der konfessionellen Selbstvergewisserung, 1717 wurde Luther zum Frühaufklärer gegen mittelalterlichen Aberglauben stilisiert. 1817 war Luther deutscher Nationalheld im Nachgang zur Völkerschlacht bei Leipzig 1813. Im Kriegsjahr 1917 wurde er schließlich mit Hindenburg gemeinsam zum Retter der Deutschen in Zeiten großer Not erklärt. Alle Jubiläen verband jedoch das heimliche Hauptthema: die Abgrenzung vom Katholizismus.
Das Reformationsgedenkjahr 2017 sollte das erste ohne Heldenverehrung werden – und das erste ohne konfessionelle Abgrenzung. Eine ökumenische Ausrichtung war deswegen jedoch noch lange nicht angedacht. Zu Beginn der "Reformationsdekade" 2007 ging es noch allein darum, wie man die evangelische Kirche aufpolieren kann. Luther sollte herausgestellt werden als Begründer der freiheitlichen Gesellschaft, der Meinungsfreiheit und des aufklärerischen Gewissens, als Vorreiter von kritischem Denken und Bildung.
Doch irgendwann gewann die Einsicht die Oberhand, dass eine derartige Selbstbeweihräucherung bei der katholischen Schwesterkirche nicht gut ankommt. Von dort war auch zu vernehmen, man könne die Kirchenspaltung nicht feiern.
Die Reformation ist für Rom immer noch eine schmerzhafte Angelegenheit.
Man kam schließlich zusammen in der Sache, um die es Luther ging: die Wiederentdeckung des Evangeliums von Jesus Christus. Nach Jahrhunderten der gegenseitigen Verwerfungen begingen die beiden großen Kirchen in Deutschland das Luthergedenken unter dem Leitwort "Christusfest" in ökumenischer Gemeinschaft. Das gefiel nicht allen. Vor allem evangelische Theologieprofessoren sahen in diesem Ansatz eine Verwässerung des protestantischen Profils.
Doch bei den Katholiken kam die Idee gut an. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hob hervor, dass das ökumenische Bestreben, 2017 als Christusfest zu feiern, ganz der Person Martin Luthers entspreche: "Wir können heute auch als Katholiken unumwunden sagen, dass er eigentlich keine neue Kirche gründen wollte. Er wollte den Blick auf den gnädigen und barmherzigen Gott lenken und den Menschen seiner Zeit Mut machen, ihr Leben ohne Angst in diesem Gott festzumachen", so der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
EKD-Ratspräsident Heinrich Bedford-Strohm betonte, die religiösen Konflikte von damals würden heute beschämend wirken. Wegweisend für die Ökumene in Deutschland war deshalb der Buß- und Versöhnungsgottesdienst am 11. März 2017 in Hildesheim unter dem Stichwort "Healing of Memories". Protestanten und Katholiken erinnerten daran, was sie einander im Lauf der Jahrhunderte angetan haben, und baten gegenseitig um Vergebung. Ex-Bundespräsident Joachim Gauck drückte es in seinem dortigen Grußwort sehr emotional aus: Zu den vielen politischen Wundern, die er erlebt habe, sei nun ein "geistliches Wunder hinzugekommen". "Die Christen in unserem Land bekommt man nicht mehr auseinander", sagte Kardinal Marx, das Kreuz und Christus brächten die Christen zusammen, ergänzte Bedford-Strohm. Die Bischöfe, der eine im schwarzen Talar, der andere in Kardinalsrot mit lilafabener Stola, umarmten sich herzlich.
Ein weiteres ökumenisches Highlight: der feierliche Gottesdienst des Lutherischen Weltbunds im schwedischen Lund. Der Auftritt von Papst Franziskus kam einer Rehabilitierung Martin Luthers gleich. Man sei dankbar für die Gaben, die die Kirche von der Reformation erhalten habe, sagte er. Die Reformation habe dazu beigetragen, die Bibel ins Zentrum des Kirchenlebens zu stellen. Luther habe Abhilfe in einer schwierigen Situation schaffen wollen. Luther als Reformkatholik – die schwedische Erzbischöfin Antje Jackelén küsste Franziskus auf die Wange.
Kein gemeinsames Abendmahl
Doch die noch bestehende Trennung von Lutheranern und Katholiken wurde in Hildesheim wie in Lund deutlich: Es gab kein gemeinsames Abendmahl. Hier kommt die Ökumene nicht weiter, obwohl Christus zur Tischgemeinschaft einlädt und der Herr der Kirche im Johannesevangelium unmissverständlich fordert: "ut unum sint" (dass sie eins seien, Johannes 17,11).
In einer Erklärung von Papst Franziskus und dem Lutherischen Weltbund in Lund hieß es noch: "Viele Mitglieder unserer Gemeinschaften sehnen sich danach, die Eucharistie in einem Mahl zu empfangen als konkreten Ausdruck der vollen Einheit." Vatikan und Lutherischer Weltbund hätten eine "gemeinsame pastorale Verantwortung, dem geistlichen Hunger und Durst unserer Menschen, eins zu sein in Christus, zu begegnen".
Die Vatikan-Post brachte eine Luther-Briefmarke heraus, doch die Erklärung blieb folgenlos.
Kardinal Woelki mit dem dogmatischen Hammer
Wie geht es weiter? Nicht ganz unvernünftig klingt der Vorschlag des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Woelki, die Vorstellung einer "eucharistischen Gastfreundschaft" aufzugeben. Der Begriff wecke die Vorstellung, der Einladende sei nicht Christus, sondern eine Konfessionsgemeinschaft. Ziel sei dagegen die eucharistische Gemeinschaft. Wie sie zu erreichen ist? Woelki plädiert für eine Einheit im Christusbekenntnis. Evangelischen Christen leuchten hier die Augen, doch dann kommt der dogmatische Hammer: Wenn die Protestanten nur das Messopfer, das besondere Priestertum sowie die Lehre von der Apostolischen Sukzession als ewigen "Bestandteil der eigenen Tradition" anerkennen würden, wären die Gegensätze und Unterschiede kein Grund mehr zur Trennung. Woelki offenbart sich damit als Vertreter einer astreinen Rückkehrökumene, als ob die Protestanten die Errungenschaften der Reformation wie das "allein Christus" in der Erlösungslehre oder das Priestertum aller Gläubigen so einfach aufgeben könnten.
Für Irritationen sorgten auch die sieben katholischen Bischöfe, die in einem Brandbrief nach Rom einen Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz kritisierten, der konfessionsverschiedene Ehepartner in Einzelfällen zur Kommunion zulassen wollte. Der Papst ging völlig überraschend darauf ein. Kardinal Marx, der den Beschluss herbeigeführt hatte, war düpiert. Eine herbe Enttäuschung für die Ökumene auf Leitungsebene.
An der Basis brodelt es
Einer der Mitunterzeichner, der Bamberger katholische Erzbischof Ludwig Schick, hat unterdessen das gemeinsame Abendmahl als vorrangiges Ziel verabschiedet. Die Einheit im Herrenmahl sei für die "Alltagschristen" in Deutschland nicht das vorrangigste Problem und Ziel der Ökumene, schreibt der katholische Oberhirte auf seinem persönlichen Facebook-Profil. Die Eucharistie, das Abendmahl und die heilige Liturgie sind nach Schicks Worten "auch deshalb nicht so bedeutend, weil immer weniger Christen an ihnen teilnehmen". Neben der Feier des Herrenmahls gebe es auch viele anderen Formen von Gottesdiensten, die alle Christen aller Konfessionen gemeinsam ohne Probleme feiern und wo sie auch "Jesus Christus empfangen" könnten, merkte der Bischof an. Der Bamberger Bischof, lange Zeit ökumenischer Hoffnungsträger der Evangelischen in Bayern, wechselt damit auf die ökumenische Standspur. Und er aktiviert eine alte Idee: Vorrangiges Ziel der Ökumene solle stattdessen eine "Christentumsregierung" als verbindliche universale Kirchenleitung sein. "Ein Papst oder eine gemeinsame Kirchenregierung wären ein großer Vorteil für die Wirksamkeit des Christentums in unserer Welt", so Schick.
Aber auch an der Basis brodelt es. Vielerorts wird das Ökumene-Rad zurückgedreht. Geradezu ökumenefeindlich mutet beispielsweise das abrupte Ende der gemeinsamen Gottesdienste in Putzbrunn bei München an. Sieben Jahre lang feierten Katholiken und Lutheraner im dortigen ökumenischen Zentrum einmal im Monat einen gemeinsamen Wortgottesdienst am Sonntagvormittag. Ausgerechnet zum 25-jährigen Bestehen des Zentrums soll damit Schluss sein. Es wäre ein schmerzlicher Rückschritt für die Christen beider Konfessionen.
Wer hat die evangelische Kirche gegründet?
Fachtheologische Gespräche werden folgen. Papst Franziskus hat sich einmal über die Erfolgsaussichten fachtheologischer Gespräche im Bereich der Ökumene geäußert: "Wenn wir glauben, dass die Theologen sich einmal einig werden, werden wir die Einheit nach dem Jüngsten Gericht erreichen."
Vielleicht sollte die Einheit im Sinne einer wie auch immer gearteten "Rückkehrökumene" ja auch gar nicht das Ziel sein, denn dafür sind die Kirchen einfach zu unterschiedlich geprägt. Es gibt aber den gemeinsamen Grund: Die evangelische Kirche könnte durchaus selbstbewusst betonen, dass ihre Kirche nicht von Martin Luther gegründet wurde, sondern von Jesus Christus, vor 2000 Jahren. Auch die protestantischen Kirchen sind Erbinnen der Alten Kirche. Die versöhnte Verschiedenheit der von Jesus Christus begründeten Kirchen wäre dann erstrebenswert – als Ökumene-Modell für die Zeit vor dem Jüngsten Tag.