Für viele Menschen ist Einsamkeit ein großes Problem. Nicht nur an den Weihnachtsfeiertagen, aber gerade auch dann. Vielerorts gibt es bereits erste Projekte, die gegen die Einsamkeit ankämpfen. Auch in Bayern.

Sie möchte das, was ihr zur Gewohnheit geworden ist, nicht aufgeben. Möchte sich nicht in fremde Strukturen pressen lassen. "Deshalb geh' ich nicht ins Heim", sagt Elisabeth Schutte. An manchen Tagen ist der Preis der Freiheit hoch. Dann fühlt sich die 87-jährige Würzburgerin sehr alleine. Aus ihrer Wohnung kommt sie nicht mehr raus. Die liegt im vierten Stock. Der Aufzug reicht nur bis zur dritten Etage: "Er ist sowieso schon seit zwei Monaten kaputt und wird nicht repariert."

Früher, da vergingen die Tage wie im Fluge. Es war immer viel zu tun. Es gab eine Menge Menschen, mit denen sich mal kurz plaudern ließ. Heute ist Schutte auf Besuch angewiesen. Einen Besucher gibt es, der sie jede Woche glücklich macht. "Der Bub" nennt Schutte ihn liebevoll. "Der Bub" ist 15 Jahre alt, heißt Paul und engagiert sich ehrenamtlich in der Würzburger Pfarrei St. Johannis. Manchmal kauft er für Elisabeth Schutte ein. Doch meistens sitzt Paul bei der Seniorin und unterhält sich mit ihr. Schutte hat viel zu erzählen. Und sie redet gern.

Wenn sie noch die Treppe herunterlaufen könnte, wäre alles anderes. Aber das geht seit einigen Jahren schon nicht mehr, sie hat Arthrose. Meist sitzt sie in ihrem Zimmer auf dem Bett. Dann kuschelt sich Kater Pumuckel an sie. Auf dem Wohnzimmerschrank steht eine Marienfigur. Auch sie zählt zu Schuttes Ansprechpartnerinnen - obwohl Schutte evangelisch ist. Meist komme sie gut klar mit dem Alleinsein, sagt die Seniorin: "Aber es gibt Momente, da denke ich, der Himmel fällt mir auf den Kopf." Dann schließt sie die Augen. Und träumt von früher.

Hin und wieder kommt ein Pater, mit dem Schutte Erfahrungen austauschen kann: "Er stammt auch aus dem Odenwald, wo ich mit meinem Mann lange gelebt habe." Schuttes Mann starb 2006. Vier Jahre später erlag ihr einziger Sohn einem schweren Krebsleiden. Seitdem gibt es keine Angehörigen mehr, die sich um sie kümmern. Auch an Weihnachten wird Schutte alleine sein. Immerhin gibt es noch Menschen, die sich für sie interessieren. Allen voran Paul. Aber auch Inge Wollschläger von der Gemeinde St. Johannis.

Wenn Elisabeth Schutte eine ganz dunkle Stunde hat, dann ruft sie Wollschläger an. Als Seniorenreferentin kümmert sich Wollschläger um einsame alte Menschen in ihrer Gemeinde. Kürzlich wurde sie von einer 91-Jährigen kontaktiert, die sie bat, zu kommen. "Als ich kam, lagen vor ihr zwölf eng beschriebene Seiten", sagt Wollschläger. Die Frau sagte, dass sie seit Jahren schon nicht mehr besucht worden sei: "Sie hat sich alles notiert, was sie mir erzählen wollte, damit sie nichts vergisst."

Einsamkeit auch im hohen Alter

Im hohen Lebensalter sind Kontakte in vielen Fällen dünn gesät. Ehepartner, Freunde, Kollegen und Nachbarn starben. Neue Menschen kennenzulernen, ist bei eingeschränkter Mobilität fast unmöglich. Viele Senioren fühlen sich aus diesem Grund sozial isoliert. Laut Statistischem Bundesamt leben derzeit fast 75 Prozent aller Frauen ab 85 Jahre alleine. Die psychologische Forschung spreche inzwischen von einer regelrechten "Epidemie der Einsamkeit", sagt Karin Haist, Leiterin "Projekte demografische Zukunftschancen" der Körber-Stiftung.

Einsamkeit ist dabei kein Problem, das erst jenseits der 60 auftritt, sagt Anja Burkhardt, Architektin und CSU-Stadträtin aus München: "Jeder kann betroffen sein, auch junge Menschen." Vergangenes Jahr erregte sie Aufsehen mit der Forderung, eine "Fachstelle gegen Einsamkeit" in München einzurichten. In Großbritannien, sagt sie, gibt es seit 2018 ein eigenes Ministerium, das sich der "Einsamkeit" annimmt. Niemand soll in Großbritannien einsam sein müssen: "Und niemand in München, wo es 54 Prozent Ein-Personen-Haushalte gibt." Ihr Vorschlag wurde abgelehnt: "Für mich bleibt dies jedoch weiter ein Thema."

Manchmal ist es schön, alleine zu sein, ein bisschen zu chillen, nichts reden und sich auf niemanden konzentrieren zu müssen. "Doch das", sagt Burkhardt, "ist keine Einsamkeit". Einsamkeit sei ein Zustand, den man sich nicht selbst gewählt hat: "Und aus dem man nicht durch Freizeitangebote herauskommt." Vielen Einsamen sei jedoch gar nicht klar, dass ihr schlechtes Gefühl auf Einsamkeit zurückzuführen ist. Einsamkeit, fand Burkhardt in vielen Gesprächen heraus, ist außerdem schambesetzt: "Unsere Gesellschaft, und da ist München ein gutes Beispiel, erwartet, dass man erfolgreich und beliebt ist und überall mithalten kann". Wer gibt da schon freiwillig zu, einsam zu sein?

Projekte gegen Einsamkeit

In den letzten Jahren entstanden vielerorts Projekte gegen Einsamkeit. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) zeichnete im März besonders vorbildliche Initiativen aus. Darunter war das Projekt "Gemeinsam statt einsam" des Mehrgenerationenhauses (MGH) im unterfränkischen Haßfurt. Das Projekt bietet von Einsamkeit bedrohten Menschen die Chance, sich sinnstiftend zu engagieren, sagt Einrichtungsleiterin Gudrun Greger. Dadurch werde nicht nur Einsamkeit verhindert: "In unserer täglichen Arbeit merken wir, dass das Engagement auch einen positiven Einfluss auf die Gesundheit hat." Einsamkeit, ist Greger überzeugt, macht krank: "Sie ist eine potenzielle Gefahr für psychische und körperliche Einschränkungen."

Einsamkeit lähmt die Kreativität und den Willen. Kraft und Lebendigkeit schwinden in der sozialen Isolation. Eine Abwärtsspirale beginnt. Das bekommen auch die Telefon- und Onlineseelsorger in Bayern täglich mit. Viele Senioren leiden an Altersdepressionen, weiß Ingo Schurig, Seelsorge-Referent im Münchner Landeskirchenamt. Verschärft werde die Einsamkeit oftmals durch Altersarmut. seien doch arme Senioren nicht mal mehr in der Lage, sich einen geselligen Abend mit Getränken im Wirtshaus zu leisten.