Franz Schiel hat heute gleich zwei Gäste: Um 10 Uhr soll er zwei Damen aus dem Wohnstift Augustinum zu einer Fahrt zum Waldfriedhof abholen. "Ich bin lieber immer ein bisschen früher da", sagt der 70-Jährige, als er um 9.33 Uhr vor dem Eingang parkt und aus dem Wagen federt. "fahren und begleiten" prangt in großen Lettern an den Vordertüren des kleinen Kastenwagens. In den drei Worten steckt schon die ganze Idee des kostenlosen Angebots der Evangelischen Altenheimseelsorge: Denn die ehrenamtlichen Fahrer – sechs Männer und zwei Frauen – sind nicht nur Chauffeure, sondern auch Zuhörer, Gesprächspartner und Tröster.

Um 9.50 Uhr kommt Johanna Breiter ins Foyer und begrüßt Schiel wie einen alten Bekannten. Die 92-Jährige lebt seit 12 Jahren im Augustinum. Vor zwei Jahren ist ihr Mann gestorben, seither nutzt sie einmal im Monat den Bringservice. Natürlich könnte sie auch ein Taxi bezahlen, "aber der Waldfriedhof ist so groß, mit dem Rollator ist der Weg zu weit für mich", sagt die vierfache Uroma. Der Friedhofsfahrdienst hingegen fährt direkt bis ans Grab: "Unsere beiden Autos sind die einzigen in München, die eine dauerhafte Sondergenehmigung dafür haben", sagt Angelika Braner, die den Service leitet. Der neue Wagen verfügt sogar über einen schwenkbaren Beifahrersitz, mit dem auch gehbehinderte Menschen befördert werden können.

Johanna Breiter schätzt das: "Der alte Wagen war schwierig zum Einsteigen", sagt sie und plaudert mit Franz Schiel über Wetter, Familie und Gesundheit, bis Doris Harslem im Foyer eintrifft. Die 93-Jährige fährt zum ersten Mal mit. "Bis Weihnachten bin ich selbst mit meinem VW-Bus gefahren", erzählt sie. Vor drei Jahren war sie mit ihrem Bus sogar noch in Venedig - Bett im Auto inklusive. Aber seit Kurzem plagt Harslem ein Schwankschwindel. Nun ist sie also ohne Auto und klettert behände auf die Rückbank.

Franz Schiel entzündet für Doris Harslem eine Kerze auf dem Grab ihres Mannes.
Franz Schiel entzündet für Doris Harslem eine Kerze auf dem Grab ihres Mannes.

Schiel startet den Motor. Sicher kurvt er durch den Stadtverkehr; die Damen loben Fahrstil und Ortskenntnis ihres Chauffeurs, Schiel revanchiert sich mit kleinen Späßen und Anekdoten. Bevor er auf den Friedhof einbiegt und zielsicher die richtigen Grabfelder ansteuert, begleitet er Johanna Breiter noch in den Blumenladen, um ein Gesteck zu kaufen. Am Grab stellt er die Schale auf und entzündet die mitgebrachte Kerze. Für Doris Harslem kramt er im Kofferraum sogar noch eine Reservekerze hervor. Die staunt über so viel Service und fragt: "Und was kostet das jetzt?" Nichts, sagt Franz Schiel freundlich. Für die nicht ausbleibenden Spenden gibt es im Auto eine eigene Büchse, deren Inhalt für Benzinkosten und ein gemeinsames Essen der Helfer verwendet wird.

Seit fünf Jahren ist Franz Schiel etwa einmal pro Woche als Fahrer beim Friedhofsdienst dabei. Er nutzt das Ehrenamt für seine eigene geistige Fitness: "Ich fahre sonst viel mit dem Rad, aber es ist gut, als Autofahrer auch die andere Seite des Straßenverkehrs zu erleben – das hält frisch", sagt er. Außerdem barmt ihn die Situation vieler alter Menschen, die schlecht zu Fuß sind: "Die meisten trauen sich ja nicht, um Hilfe zu bitten, und dann stehen sie da am Friedhof und fallen fast um."

Seit fünf Jahren fährt Franz Schiel für den Friedhofsbesuchsdienst.
Seit fünf Jahren fährt Franz Schiel für den kostenlosen Friedhofsbesuchsdienst der Evangelischen Altenheimseelsorge.

Für die Schicksale seiner Gäste hat Schiel ein offenes Ohr – und ein ausreichend dickes Fell, um manchmal auch Unmut oder Ärger auszuhalten. "Ein alter Herr hat sich neulich so über meine Route beschwert, dass ich gesagt habe: ›Sagen Sie mir, wo ich fahren soll, dann mach ich’s!‹" Am Grab sei der Mann dann in Tränen ausgebrochen, und Schiel erfuhr, dass die Ehefrau erst vor zwei Wochen verstorben war. "So ist das bei uns Männern halt", sagt der Rentner trocken, startet den Wagen und bringt Johanna Breiter und Doris Harslem wieder nach Hause.

Service-Tipp

Kostenloser Friedhofsfahrdienst

Der Friedhofsfahrdienst der Evangelischen Altenheimseelsorge (Herzog-Wilhelm-Straße 24) kooperiert mit Seniorenheimen, Kirchengemeinden und Altenzentren. Leiterin Angelika Braner wünscht sich, dass noch mehr Senioren sich trauen, eine Fahrt zu buchen. "Der Service ist kostenlos, jeder kann ihn nutzen, egal ob er zuhause lebt oder im Heim". Interessenten für eine Fahrt melden sich werktags unter Tel. (089) 51 56 78 87.

Stiftung "Wort & Tat"

Barrierefreie Kirchen, Freizeitbegleitung für behinderte Menschen, ein Friedhofsfahrdienst für Senioren: Die Stiftung "Wort und Tat" des evangelischen Dekanatsbezirks München fördert seit Ende 2007 Projekte für alte, benachteiligte und behinderte Menschen. Mit 242.000 Euro hat die Stiftung bislang neun Projekte angestoßen. Am 21. Februar feiert "Wort und Tat" ihr 10-jähriges Jubiläum mit einem Empfang, an dem neben Stadtdekanin Barbara Kittelberger auch die Landtagsabgeordneten Diana Stachowitz (SPD) und Joachim Unterländer (CSU) teilnehmen.

Mit einem Vermögen von 2,2 Millionen Euro ist "Wort und Tat" die größte Stiftung des Dekanats. Das Grundkapital stammt aus zwei Erbschaften aus dem Bereich der Offenen Behindertenarbeit. Zwei weitere Stiftungen betreut das Dekanat München: Die kleine Walter-Pürckhauer-Stiftung, die das evangelische Gemeindeleben in Trudering unterstützt, sowie die Stiftung "Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau" mit 590.000 Euro Vermögen.