Frau Feder, Sie sind Projektleiterin des Programms "Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf" des Hildegardis-Vereins in Bonn. Das Programm möchte den Anteil von Frauen in Führungspositionen der katholischen Kirche steigern. Warum ist das aus Ihrer Sicht überhaupt wichtig?
Stephanie Feder: Als das Mentoring-Programm 2016 startete, war Kardinal Reinhard Marx Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Er sagte damals: "Wir wären doch verrückt, auf die Talente der Frauen zu verzichten". Eigentlich müsste man es umgekehrt begründen: Warum sollen Frauen nicht in Führungspositionen sein? Auch in der katholischen Kirche gibt es viele Führungspositionen, die mit Frauen besetzt werden könnten. Mit unserem Mentoring-Programm arbeiten wir intensiv daran, mindestens eine Quote von 30 Prozent zu erreichen, mehr wäre natürlich noch besser. Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat sich verpflichtet, eine Quote von 30 Prozent zu erreichen. Bei der letzten Erhebung 2018 lag der Frauenanteil in den Diözesanleitungen bei rund 19 Prozent, auf der mittleren Ebene bei 23 Prozent. Da ist noch Luft nach oben.
Um welche Führungspositionen geht es konkret?
In einem Generalvikariat oder Ordinariat (die zentrale Verwaltungsbehörde einer Diözese, Anm.d.Red.) nimmt der Generalvikar die höchste Führungsposition ein. Ein Generalvikar muss Priester sein. Uns geht es um alle Positionen, die ihm gleichgeordnet sind, beziehungsweise direkt unter ihm kommen. Das sind die Führungspositionen, von denen wir glauben, dass sie auf jeden Fall mit Frauen besetzt werden sollten. Hier sind bisher noch relativ wenige Frauen zu finden.
Führen Frauen anders? Haben sie andere Themen?
Ich glaube nicht, dass Frauen anders führen, aber ich glaube, dass wir als Frauen aufgrund unserer gesellschaftlichen Prägung einfach andere Themen mitbringen. Für Frauen ist zum Beispiel die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oft viel zentraler als für Männer.
Wenn das in der Stellenausschreibung nicht berücksichtigt wird und man sogar den Eindruck hat, dass man für diesen Job eher zwölf Stunden am Tag arbeiten muss und keine Möglichkeit hat, Privates unterzubringen, dann bewerben sich Frauen oft nicht auf eine solche Stelle.
Wenn Frauen dann in Führung kommen, denken sie diese Themen häufig stärker mit. Wir sehen, dass sich das dann positiv auswirkt und dass zum Beispiel Männer eher in Elternzeit gehen, wenn sie eine Führungskraft haben, die das schonmal thematisiert hat.
"Kirche im Mentoring - Frauen steigen auf"
"Kirche im Mentoring - Frauen steigen auf" hat die Steigerung des Anteils von Frauen in Führungspositionen der katholischen Kirche zum Ziel. Das bundesweite Mentoring-Programm wurde vom Hildegardis-Verein konzipiert und wird von ihm in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bischofskonferenz, den deutschen (Erz-)Diözesen und katholischen Organisationen durchgeführt.
"Kirche im Mentoring" bietet weiblichen Nachwuchskräften die Möglichkeit, sich in einem "Tandem" von berufserfahrenen Mentorinnen und Mentoren, die leitende Funktionen in der katholischen Kirche innehaben, beraten und auf Führungsaufgaben vorbereiten zu lassen. Jeweils eine Mentorin oder ein Mentor und eine "Mentee" arbeiten über die Dauer von 12 Monaten in einem Tandem zusammen.
Mentoring bedeutet Unterstützung, Beratung und Coaching durch Austausch über berufliche und persönliche Erfahrungen. Die Mentorin oder der Mentor ist eine beruflich erfahrene Fach- oder Führungskraft; die sogenannte "Mentee" eine Frau, die sich im professionellen Kontext und persönlich weiter entwickeln möchte.
Zentrale Veranstaltungen mit Trainings, Impulsen und geistlichen Angeboten wechseln ab mit individuellen Beratungsgesprächen und Möglichkeiten zum Aufbau von karriererelevanten Netzwerken und Einholen von Feedback. Weitere Programmelemente sind regionale Intervisionsgruppen und ein praxisbezogenes Mentee-Projekt.
Mit der fehlenden Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben Sie schon einen Punkt genannt, der Frauen davon abhalten könnte, sich auf eine Führungsposition zu bewerben. Was sind weitere Hindernisse?
Die größten Hindernisse sind im Grunde in unseren Köpfen. Wir müssen uns ehrlich fragen: Wenn wir an eine Führungskraft denken, welches innere Bild haben wir da? Sehen wir vielleicht zuerst einen Mann, selbst wenn wir Frauen sind? Dieses Phänomen nennt man "Think manager, think male". Dieses Bild vom männlichen Manager tradieren wir immer weiter - gleichzeitig gibt es keine Bilder davon, wie Frauen Führung ausüben könnten. Da fehlen oft die Vorbilder und das hat große Auswirkungen.
Wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie Frauen führen, dann sehe ich mich als Frau wahrscheinlich auch nicht in einer Führungsrolle. Oder ich sehe nur Führungsstile, die für mich nicht attraktiv sind oder in denen viele Dinge, die mir wichtig sind, nicht vorkommen. Wir haben zum Beispiel immer noch das Bild im Kopf, dass Führung ein Vollzeitjob sein muss, obwohl es auch möglich ist, in Teilzeit zu führen. Wir machen uns stark für das Thema Topsharing, also dass sich zwei oder mehrere Personen eine Führungsposition teilen.
Was sind die Punkte in Stellenausschreibungen, die Frauen davon abhalten, sich auf eine Führungsposition zu bewerben?
Das Bewerbungsverhalten von Frauen und Männern ist unterschiedlich. Frauen bewerben sich erst auf eine Stelle, wenn sie möglichst 100 Prozent der Anforderungen erfüllen. Männer sind viel toleranter: Sie bewerben sich schon, wenn sie etwas mehr als 50 Prozent der geforderten Kriterien erfüllen. Es ist wichtig, das in einer Ausschreibung zu berücksichtigen. Wir bekommen oft die Rückmeldung: "Bei uns bewerben sich keine Frauen". Dann muss man sich die Ausschreibung noch einmal sehr kritisch anschauen: Vielleicht gibt es bestimmte Begriffe, mit denen sich Frauen nicht identifizieren können, oder sie haben einfach das Gefühl, dass ihre Vorstellung von Führung nicht zu der Ausschreibung passt. Es lohnt sich also, viel Zeit in die Ausschreibung zu investieren, weil das eine große Wirkung hat.
Thematisieren Sie das auch im Mentoring-Programm?
Wir ermutigen Frauen, sich auch auf Stellen zu bewerben, von denen sie vielleicht erstmal denken, dass sie nicht passen. Aber es ist natürlich ein strukturelles Problem. Manchmal werden wir auch gefragt, was man in einer Ausschreibung vielleicht noch verbessern könnte. Und manchmal werden auch unsere Mentees gefragt, wie die Ausschreibung sein müsste, damit sie sich bewerben. Das finde ich einen guten Ansatz.
Warum ist ein Mentoring-Programm ein guter Weg, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen?
2013 gab es die sogenannte Trierer Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, da haben sich die Bischöfe dazu verpflichtet, den Anteil von Frauen in Führungspositionen in der katholischen Kirche zu erhöhen. Der Hildegardis-Verein, bei dem das Mentoring-Programm angesiedelt ist, hatte die Idee für diese konkrete Maßnahme. Die hat die Bischofskonferenz dankend angenommen.
Mentoring ist eine Maßnahme aus dem Kontext der Personalentwicklung, die besonders im Hinblick auf Führung als sehr wirksam beschrieben wird. Es ist eine sehr individuelle Begleitung: Die Frauen können alle ihre Fragen, die ja sehr unterschiedlich sind, an ihre Mentorinnen oder Mentoren richten. Häufig sind das Fragen wie: Kann ich überhaupt führen? Oder möchte ich überhaupt führen und wenn ja, in welchem Bereich? Was würde das für mich bedeuten? Woher nehme ich meine Kraft, um vielleicht auch gegen sehr viele Widerstände gut Führung ausüben zu können?
Wir machen damit sehr gute Erfahrungen. Wir haben noch weitere Bausteine in unserem Programm, aber dieses Tandem aus Mentee und Mentor oder Mentorin ist das Herzstück. Es geht vor allen Dingen um Ermutigung.
Unter den Mentoren sind auch Männer – warum?
Das ist für uns sehr wichtig. Unser Programm heißt "Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf". Da gibt es automatisch so ein Bild im Kopf, nämlich, dass das von Frauen für Frauen ist und dass Männer da quasi nichts zu suchen haben. Wenn wir Frauen aber nur unter uns bleiben, wird es schwierig. Es gibt auch Studien dazu, dass reine Frauen-Netzwerke nicht so erfolgreich sind. Wenn wir Männer für unser Anliegen gewinnen, können sie sich an den entscheidenden Stellen später auch dafür einsetzen, dass Frauen in Führungspositionen kommen und das hat große Auswirkungen in den Bistümern. Wir machen sehr gute Erfahrungen damit. Wenn man mal erfahren hat, womit so eine Mentee zu tun hat, dann verändert das schon nachhaltig die Perspektive.
Das Problem ist kein reines Frauenproblem, sondern ein gesamtgesellschaftliches oder gesamtkirchliches. Deshalb müssen wir die Männer mit ins Boot holen und ein Bewusstsein dafür bilden, welche Mechanismen hier wirken. Wir versuchen, die Kooperation in den Vordergrund zu stellen.
Wie groß ist die Nachfrage nach dem Programm?
Als das Mentoring-Programm 2016 gestartet hat, hatten wir pro Jahr eine Gruppe mit 20 Plätzen. Ab dem dritten Jahr hatten wir meistens zwei Gruppen, dieses Jahr ist es wieder nur eine, das schwankt immer etwas. Manche Bistümer beteiligen sich nur alle zwei Jahre, manche leider noch gar nicht. Insgesamt beteiligen sich 20 Bistümer, außerdem sechs Hilfswerke, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und acht Diözesancaritasverbände. Seit 2016 haben 210 Mentees das Mentoringprogramm durchlaufen.
Wie finden Sie die Frauen für das Programm?
Das wird in den Bistümern unterschiedlich gehandhabt. In den großen Bistümern wird das meistens ausgeschrieben, dann können sich potenzielle Mentees für das Programm bewerben. In kleinen Institutionen werden Frauen häufig direkt angesprochen. Beides hat Vor- und Nachteile. Eine persönliche Ansprache ist auf jeden Fall sehr hilfreich.
Im Moment funktioniert das Programm nur im Rahmen einer Organisation, also für Frauen, die bereits in der Kirche arbeiten. Das ist deshalb wichtig, weil das Programm ja auch in die Strukturen hineinwirken soll. Sie sind es, die verhindern, dass Frauen in Führung kommen.
Es gibt immer noch oft diese Mentalität: Wir doktern an den Frauen herum und nicht an den Strukturen. Aber die Frauen sind nicht das Problem. Es gibt den Spruch "Fix the System, Not the Women” (Titel eines 2022 erschienenen Buches der britischen Feministin und Publizistin Laura Bates, Anm. d. Red.). Das System muss repariert werden, und das ist die große Herausforderung, die häufig nicht gelingt.
Was sind die strukturellen Probleme?
Der Weg zu einer Führungsposition ist ein sehr komplexes Unterfangen. Wie sind Bewerbungsprozesse gestaltet? Gibt es eine Quote? Welches Interesse hat die Organisation, Frauen in Führung zu bringen? Wer entscheidet darüber – sind das zum Beispiel reine Männer-Gremien? Da wissen wir aus der Forschung, dass das alles Elemente sind, die begünstigen oder verhindern können, dass Frauen in Führung kommen.
Es gibt zum Beispiel den Thomas-Kreislauf, der besagt, dass ein männlicher Chef am Liebsten Menschen einstellt, die ihm besonders ähnlich sind, weil sie etwa auch Thomas heißen, am gleichen Ort oder das gleiche Fach studiert haben oder gleich alt sind wie er – und eben Männer sind.
Das sind so Mechanismen, die sehr stark mitwirken und von denen immer noch häufig behauptet wird, dass sie nicht existieren. Aber sie spielen eine maßgebliche Rolle bei der Besetzung von Führungspositionen.
Was müsste sich ändern?
Wir brauchen Männer, die sich darüber bewusst sind, dass man Bewerbungsgespräche nicht so gestaltet, dass es nur darum geht, wer einem sympathisch ist, sondern dass man beispielsweise einen Interview-Leitfaden hat, dass man eine Vergleichbarkeit hat.
In Ausschreibungen müsste etwa stehen, dass auch eine Tandem-Leitung denkbar ist, oder dass eine Führungsposition auch mit einer Stelle mit weniger als 100 Prozent möglich ist. Wir laden häufig Tandem-Führungen ein, damit die Mentees auch mal erleben, wie das so ist. Ich erinnere mich an Veranstaltungen, wo Frauen sich dann direkt verabredet haben, mit wem zusammen sie eine Führungsposition einnehmen möchten. Tandem-Führungen haben eine hohe Attraktivität.
Frauen sollten dann im Bewerbungsgespräch auch einfach mal nachfragen, ob die Verantwortlichen sich beispielsweise eine Tandemleitung vorstellen könnten. Nur so kommt es zu Veränderungen, wenn man sie auch einfordert. Irgendwann kommt man dann hinter einen bestimmten Punkt nicht mehr zurück, dann erwarten die Leute selbstverständlich, dass man auch mit 50 Prozent führen kann. Vielleicht profitiert man selbst nicht mehr davon, aber zumindest eine nachfolgende Generation.
Das Bistum Limburg besetzt mittlerweile alle Führungspositionen paritätisch mit einem Team aus einem Mann und einer Frau. Und man sieht, dass das zu anderen Ergebnissen führt.
Können Sie ein Beispiel nennen für diese guten Ergebnisse diverser Teams?
Wir wissen aus der Forschung, dass diverse Teams bessere Ergebnisse erzielen als homogene Teams – und bei Diversität spielt nicht nur das Geschlecht eine Rolle, da gibt es ja noch viel mehr Kategorien. Diese Teams sind effektiver, da kommen viel kreativere Ideen zusammen. Die Herausforderung ist, dass diese Teams auch eine höhere Konfliktanfälligkeit haben, weil man viel mehr darüber sprechen muss, was man eigentlich meint, weil man vielleicht unterschiedliche Werte hat. Alle wollen zwar diverse Teams, aber niemand will die Konflikte, die damit einhergehen. Da müssen wir noch eine Menge lernen.
Wie groß ist die Bereitschaft zu Veränderung in den Bistümern?
Viele Bistümer schicken uns Frauen um sicherlich etwas für die Frauenförderung zu tun. Aber die Frage ist, reicht das aus? Man kann es nicht delegieren. Man muss da selber dran arbeiten mit den Frauen, die aus dem Mentoringprogramm zurückkommen und häufig hochmotiviert sind. Die müsste man eigentlich danach fragen, was man im Bistum anders machen muss, damit mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Die haben häufig ein sehr gutes Gefühl dafür.
Ich habe so eine Vision davon, wie positiv sich das auf die Kirche auswirken würde, wenn diese Frauen in Führung kommen würden. Es geht darum, zu vertrauen, dass da ganz viel Potenzial ist. Das ist ein guter Bogen zu dem, was ich am Anfang zitiert habe von Kardinal Marx: Wir verzichten auf ganz viel Positives, wenn wir diese Frauen nicht in Führung kommen lassen.
In der bayerischen Landeskirche gibt es aktuell eine Debatte um eine Quote für Frauen in Führungspositionen. Was halten Sie generell von einer solchen Frauenquote?
Ich halte eine Quote für sehr wichtig. Wir arbeiten viel mit den Studien zu "Frauen in Leitungspositionen", die Andrea Qualbrink 2013 und 2018 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführt hat. Frau Qualbrink hat das Programm "Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf" mitkonzipiert.
In diesen Studien wird deutlich, dass die Quote ein sehr wichtiges Instrument ist, um zu den angestrebten 30 Prozent Frauen in Führungspositionen zu kommen. Bei den Vorständen börsennotierter Unternehmen der DAX-Indizes hat man ja auch lange auf Freiwilligkeit gesetzt und sein Ziel nicht erreicht. Seit es eine verpflichtende Quote gibt, sieht man sehr deutlich, wie die Zahl der Frauen steigt. Das macht einen riesengroßen Unterschied. Es ist wichtig, eine Quote zu haben, weil Gleichberechtigung eben nicht von allein kommt.
Auch die Zahl von 30 Prozent kommt nicht von ungefähr. Wenn nur eine von zehn Personen in Führungspositionen eine Frau ist, wird sie die Kultur einer Organisation nicht verändern. Wir brauchen mindestens drei von zehn, damit sich etwas ändert. Mit 30 Prozent sollten wir uns dann nicht zufriedengeben, aber sie sind ein gutes Zwischenziel.
Haben Sie bei ihrer Arbeit auch Berührungspunkte mit der evangelischen Kirche?
Leider viel zu wenig. Ich habe gehört, dass es in der evangelischen Kirche auch ein Mentoring-Programm für Frauen in Führungspositionen gibt, aber irgendwie hat sich bisher noch keine Zusammenarbeit ergeben. Es wäre schön, sich intensiver auszutauschen. Gerade Bischöfinnen wären gute Gesprächspartnerinnen für uns, denke ich.
Wir tagen häufig in evangelischen Häusern – das letzte Auftaktseminar hat beispielsweise im Evangelischen Augustinerkloster in Erfurt stattgefunden. Vielleicht können wir da nochmal stärker in den Kontakt gehen. Also, falls jemand Lust hat, uns zu kontaktieren, freuen wir uns!
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