Ob nach Santiago de Compostella oder vor der eigenen Haustür - der Pilgerboom ist ungebrochen. Der Religionspädagoge Michael Kaminski ist Autor des Buches "Pilgern mitten im Leben - Wie deine Seele laufen lernt". Er kennt das Pilgern schon lange und ist nun als der neue Pilgerreferent der evangelischen Landeskirche dafür hauptverantwortlich. Er betreut das Pilgerzentrum in der Nürnberger Jakobskirche und bildet jedes Jahr rund 20 neue Pilgerbegleiterinnen und -begleiter aus.

"Das Pilgern unter einem Motto kann Prozesse fördern."

Sie bieten spezielle Pilgertouren in der Gruppe an, die ein paar Tage dauern und begleitet sind. Will man aber beim Pilgern nicht eher für sich sein und sich selber finden?

Michael Kaminski: Am liebsten ist es mir, wenn die Menschen sich unbegleitet auf den Weg machen und dabei die treffen, die für sie heilsam sind. In den vier Wochen unterwegs in Spanien bekommen die Pilger Impulse vom Weg. Aber es gibt auch Leute, die sich den Weg nicht allein trauen oder nicht so viel Zeit haben. Für die bieten wir eine Essenz und wollen passende Impulse geben. Das Pilgern unter einem Motto kann Prozesse fördern, zum Beispiel in der Trauer oder um sich auf christliche Feste wie Weihnachten vorzubereiten.

Eines dieser Angebote lautet "Sehnsuchtspilgern". Was kann man sich denn darunter vorstellen?

Bei dieser Pilgertour steht am Anfang die Sehnsucht, die Sehnsucht nach einem neuen Aufbruch oder auch nach einem Abschied. Teilnehmer können etwa Menschen sein, deren erwachsene Kinder aus dem Haus gegangen sind. Am vierten Tag der Pilger-Reise gehen wir über eine Hängebrücke, die ganz schön wackelig ist. Ich sage den Pilgern, 'die steht für euren Aufbruch'. Sie können sich beim Gang über diese Brücke darauf fokussieren, dass sie etwas Neues wagen.

"Es gibt das Gehen zu Heiligen Orten in jeder Religion."

Bei den Merkmalen der Protestanten denken nicht viele Menschen gleich an das Pilgern. Aber es gibt überraschend viele Angebote von evangelischen Einrichtungen: Vom Trauer-Pilgern bis zu neuerdings "Pilgern mit dem Smartphone". Haben die Evangelischen denn das Pilgern von den Katholiken gekapert?

Die Katholiken haben das Pilgern gelebt, das stimmt schon, aber es gibt das Gehen zu Heiligen Orten in jeder Religion. In Bayern liegen etwa 360 Kirchengemeinden an Jakobswegen, sind sozusagen Gemeinden am Wegesrand. Sie wollen gastfreundlich sein, dort erhalten Pilger einen Segensspruch, manchmal einen Apfel oder eine Kerze. Die Patengeschichte für das christliche Pilgern steht für mich in der Bibel mit der Emmausgeschichte, wenn die Jünger entdecken, dass ihr Mitpilger Jesus ist.

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