Mit bemerkenswerter Entschlossenheit hat die bayerische evangelische Landessynode bei ihrer Frühjahrstagung in Augsburg eine Zäsur in der kirchlichen Traupraxis vollzogen.
Mit überwältigender Mehrheit verabschiedeten die Synodalen eine tiefgreifende Reform, die künftig keine Unterscheidung mehr zwischen gleich- und gemischtgeschlechtlichen Paaren bei der kirchlichen Eheschließung vorsieht. Ein Paradigmenwechsel, der sich in der einheitlichen Bezeichnung "Trauung" für alle Eheschließungen ausdrückt.
Die Last der Vergangenheit anerkennen: Ein notwendiger Schritt zur Heilung
Die Entscheidung fußt auf einer gründlichen Aufarbeitung durch die Arbeitsgruppe Queer, die im Herbst 2023 von der Synode mit der Analyse historischer Diskriminierungsmuster und der Entwicklung zukunftsweisender Perspektiven beauftragt wurde. Die dokumentierten Erkenntnisse zeichnen ein bedrückendes Bild: Systematische Ungleichbehandlungen, berufliche Diskriminierungen und gravierende Eingriffe in die Privatsphäre queerer Menschen prägten die kirchliche Praxis über Jahrzehnte hinweg.
In einem Moment kollektiver Besinnung initiierte Synodalpräsidentin Annekathrin Preidel eine Schweigeminute – ein symbolischer Akt des Gedenkens an das verursachte Leid.
Mit eindringlichen Worten benannte sie die historischen Verfehlungen: "Dienstliche Ungleichbehandlungen, Behinderung von Karrieren, Durchgriff ins Privatleben und die Aufforderung zum Leben in Doppelmoral" seien zwar formal mit dem damaligen Regelwerk vereinbar gewesen, müssten jedoch als "unangemessen, ungerechtfertigt und diskriminierend" verurteilt werden. Die Formulierung "Die Kirche als Ganze ist schuldig geworden" markiert einen bemerkenswerten Moment institutioneller Selbstreflexion.
Kritische Stimmen vermerken gleichwohl, dass die bayerische Landeskirche – anders als einige Schwesterkirchen – von einem formellen Schuldbekenntnis absah. Stattdessen setzt die ELKB auf die Verbreitung dieser Einsicht in Gemeinden und Öffentlichkeit.
Bernhard Offenberger, Vertreter des lesbisch-schwulen Konvents Bayern, würdigte dennoch die Bedeutung dieses Schrittes: Die explizite Benennung vergangenen Unrechts schaffe erst die Voraussetzung für Heilungsprozesse.
Malte Scholz, der Vorsitzende der Evangelischen Jugend, hatte sich ursprünglich gegen den Gewissenschutz bei der Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren eingesetzt. Nun erkennt er an, dass die Landeskirche mit dem neuen Aktionsplan, der Einführung der "Trauung für alle" und der Aufarbeitung von Diskriminierung und Schuld einen wichtigen Schritt gehe. Und zwar in Richtung einer Kirche, die Vielfalt nicht nur anerkenne, sondern aktiv lebe und schütze.
Eine delikate Balance: Der "Gewissensschutz" als Brückenschlag
Als neuralgischer Punkt der Verhandlungen erwies sich die Frage des sogenannten "Gewissensschutzes". Die gefundene Lösung spiegelt das Bemühen um einen tragfähigen Kompromiss wider: Obwohl Pfarrer*innen weiterhin aus Gewissensgründen die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ablehnen dürfen, werden sie künftig in die Pflicht genommen, betroffenen Paaren Alternativen innerhalb der Landeskirche aufzuzeigen.
Landesbischof Christian Kopp würdigte diesen Ausgleich als "Meisterstück der Synode" und betonte den pluralistischen Charakter der kirchlichen Gemeinschaft:
"Wir sind verschieden, aber wir halten uns aus in unserer Verschiedenheit."
Zwischen Fortschritt und Kompromiss: Das Echo auf die synodale Entscheidung
Die Entscheidung rief ein vielstimmiges Echo hervor. Während eine deutliche Mehrheit den Beschluss als großen Fortschritt für die Inklusion queerer Menschen in der Kirche würdigt, gibt es auch kritische Perspektiven, die eine noch konsequentere Öffnung befürwortet hätten.
Der Erlanger Pfarrer Thomas Zeitler etwa positionierte sich skeptisch und charakterisierte die Entscheidung auf Instagram pointiert als "Sieg der Konservativen". Er bemängelte eine unzureichende Auseinandersetzung mit den Lebensrealitäten queerer Menschen.
Dieser Einschätzung widersprach Pfarrerin Yvonne Renner, die die nun etablierte "Trauung für alle" und das kirchliche Schuldeingeständnis als signifikante Wegmarken sieht. Vikar Johannes Göpffahrt wiederum verteidigt die Entscheidung als "Kompromiss im Rahmen einer Volkskirche".
Ein Wendepunkt mit Symbolkraft
Ungeachtet dieser unterschiedlichen Bewertungen markiert die Entscheidung der Synode einen entscheidenden Wandel in der kirchlichen Haltung zu queeren Menschen. Die offizielle Gleichstellung aller Trauungen und das unmissverständliche Eingeständnis historischer Verfehlungen stellen einen Paradigmenwechsel dar.
Ob man diesen Beschluss nun als mutigen Aufbruch oder als moderaten Kompromiss mit Luft nach oben versteht– seine historische Bedeutung ist unbestreitbar: Die bayerische Landeskirche hat einen Prozess eingeleitet, der die Würde und Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung im kirchlichen Leben verankert.
Die kommenden Jahre werden zeigen, wie dieser Neuansatz in der Praxis Gestalt annimmt und welche weiteren Entwicklungen er letztlich inspirieren wird.
Kommentare
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Die Kirche hat schon immer…
Die Kirche hat schon immer als moralische Instanz in das Privatleben der Menschen eingegriffen.
Viel Leid haben Frauen erfahren,die schwanger waren ohne Trauschein.
In früheren Generationen wo Kirche noch in jeder Familie zentral war.
Aber jetzt hat doch die Kirche diese moralische Instanz nicht mehr.
In der Bibel steht auch nirgendwo dass eine Trauung in einem Gotteshaus mit dem Segen eines Pfarrers stattfinden muss.
Queere Menschen leben ueberall und werden doch nicht staendig darauf angesprochen wie und wen sie lieben in der heutigen Zeit.
In der Synode wurde lange darüber diskutiert ,eigene Arbeitsgruppen braucht es,wozu.
Einfach machen,so wie ein katholischer Priester in Muenchen.
Ein historischer Wendepunkt…
Ein historischer Wendepunkt wäre eine Verschlankung der Synode ...