Der zuständige Gemeindekirchenrat hat beschlossen: Die als "Judensau" bekannte mittelalterliche Schmähplastik an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg wird nicht entfernt. 

Widerliche Schmähplastik

Nur zur Erinnerung, wovon wir reden: Das Relief in vier Metern Höhe zeigt ein Schwein, an dessen Zitzen Menschen saugen, die Juden darstellen sollen. Ja, genau. Widerlich. Seit 1290 befindet sich das Spottbild auf die jüdische Religion an der Stadtkirche Wittenberg. Seit 1988 gibt es vor der Kirche eine Bodenplatte (zum Holocaust, ohne jeden Bezug zur Schmähplastik) und eine Stele mit Erläuterungen.

Letzteres halten die Mitglieder des Gemeindekirchenrats offenbar für ausreichend. Man sei zu der Überzeugung gelangt, dass "die Stätte der Mahnung als Ganzes" erhalten werden solle. 

"Eine antisemitische Darstellung bleibt eine antisemitische Darstellung."

Antisemitismus hat im öffentlichen Raum nichts verloren

Ich halte das für die falsche Entscheidung. Eine antisemitische Darstellung bleibt eine antisemitische Darstellung – auch wenn man sich davon in einem Text distanziert. Und antisemitische Darstellungen haben im öffentlichen Raum einfach nichts verloren. Gar nichts – daran gibt es nichts zu relativieren. 

Wenn überhaupt, dann kann man die widerliche Plastik in ein Museum oder eine Ausstellung packen. Dort ist der richtige Ort, um sie in einen Kontext zu stellen und aufzuzeigen, wie tief antijüdische Überzeugungen in der DNA der deutschen Gesellschaft verwurzelt sind. Eine Kirche ist dafür nicht der angemessene Platz.

"Es ist keine Bilderstürmerei, wenn verlangt wird, herabsetzende, diskriminierende Darstellungen jetzt zu entfernen."

Schmähung anderer Religion gehört nicht an Kirche

Die Schmähung einer anderen Religion – hier ging es, im Gegensatz zum modernen Antisemitismus, dem es um jüdische Menschen als vermeintliche "Rasse" geht, tatsächlich noch um Religion – gehört nicht an eine Kirche. Es ist auch keine Bilderstürmerei oder ähnliches, wenn verlangt wird, herabsetzende, diskriminierende Darstellungen wenigstens jetzt zu entfernen.

Die deutsche Geistesgeschichte hat viele dunkle Kapitel. Rassismus, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit gehören dazu. Noch heute wirken diese in unserer Gesellschaft, und keineswegs nur an den Rändern oder gar "von außen", wie gerne zur Ablenkung behauptet wird.  Deshalb ist es unerträglich, wenn Abbilder dieser Ideologien weiter offen zur Schau gestellt werden. Auch ein Hinweis, den womöglich gar nicht jeder mitbekommt, ändert daran nichts. 

"...wie unsensibel die deutsche Mehrheitsgesellschaft weiter mit ihren dunklen Flecken umgeht."

Für mich zeigt der Vorgang, wie unsensibel die deutsche Mehrheitsgesellschaft weiter mit ihren dunklen Flecken umgeht, wie leichtfertig sie sich selbst alles verzeiht und noch nicht einmal echte Konsequenzen zieht. Man schafft es nicht einmal, sich von einer menschenverachtenden Plastik zu trennen und diese dorthin zu befördern, wo sie hingehört: Ins Museum – oder noch besser direkt auf den Müll.