Den Schwachen eine Stimme geben: Wenn es ein Motto gibt, das über der Amtszeit des scheidenden Dekans Siegfried Stelzner stehen könnte, dann dieses. "Wir leben nach wie vor in einer Gesellschaft, in der eine große Anzahl von Menschen einfach nicht teilhaben kann an allgemeinen Entwicklungen", sagt der 65-Jährige. Fast 17 Jahre lang stand Stelzner dem Dekanatsbezirk Landshut vor. Am 16. Februar wird er vom Regensburger Regionalbischof Klaus Stiegler in der Christuskirche in Landshut von seinem Amt entpflichtet.

Stelzner initiierte zusammen mit der Stadt die Tafeln und den Sozialpass, mit dem Menschen kostenfrei kommunale Vergünstigungen in Anspruch nehmen können. Es gelang ihm, das Thema Armut in der Öffentlichkeit zu platzieren - auch mit spektakulären Aktionen, wie etwa der langen Tafel in der Altstadt, bei der an 100 aneinandergereihten Tischen Suppe für jeden ausgeschenkt wurde.

"Es war ein gesellschaftliches Ereignis in Landshut."

Bald wurde Stelzner zum Sprecher der Armutskonferenz gewählt; das Amt hat er bis heute inne und ist auch von Beginn seiner Amtszeit als Dekan im Jahr 2003 Chef des Diakonischen Werks. "Es bewegt mich wahnsinnig, wenn mir eine Frau erzählt, dass sie die Zutaten für den Kuchen im Kindergartenfest von der Tafel holen musste, weil sie selbst das Geld dafür nicht hatte", sagt er. Das Schlimmste an der Armut sei für ihn die Scham, die Menschen empfänden, "weil es doch eigentlich jede und jeden treffen kann; durch Scheidung, Krankheit, Arbeitslosigkeit geraten viele Menschen von heute auf morgen in so eine Situation".

Eine Verzahnung von Kirche und Gesellschaft ergab sich für Stelzner auch in den 1980er-Jahren, als er zum Beauftragten im Kirchenkreis für Kriegsdienstverweigerung ernannt wurde. Eine hochpolitische Zeit, in der es den Nato-Doppelbeschluss gab und die Friedensbewegung sich etablierte. "Da war es eine Art Bekenntnis, sich gegen den Kriegsdienst zu entscheiden", sagt Stelzner. Er begleitete die jungen Männer bei ihrer Gewissensentscheidung. "Es war eine Minderheit, die das getan hat, aber es war wie ein Gegen-den-Strom-Schwimmen." Mit Einführung der Berufsarmee im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht abgeschafft.

Stelzner stammt aus der Oberpfalz, wurde 1954 in Nabburg geboren und bekam seine erste Pfarrstelle in Schwandorf. In jene Zeit fiel auch der Bau der atomaren Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf. "Das Thema war ein Teil des Alltags, entweder war man dafür oder dagegen." Am Sonntag sei es nach dem Gottesdienst zum Marterl, einer Gebetsstätte in der Nähe des Bauzauns, gegangen. "Das war Ritual, um sich gegenseitig zu stärken." Das Aus für die WAA habe er im Pfarrbüro mit seinem Kollegen Pfarrer Gerhard Roth, einer Ikone des Widerstands, erlebt.

"Wir konnten es beide nicht fassen, waren überwältigt und sprachlos."

Stelzners letzter Arbeitstag als Dekan wird der 29. Februar 2020 sein. Doch dann ist für ihn noch nicht Schluss. Er will für ein Jahr als Ruhestandspfarrer ins europäische Ausland, "irgendwo am Mittelmeer", sagt er. "Da sind oft kleine, arme Gemeinden, in denen es auch häufig Konflikte gibt." Sein Interesse und seine Empathie für Menschen bleiben auch im Ruhestand bestehen. "Wie kommt man da zurecht, wenn man als Deutscher in eine spanische Familie eingeheiratet hat, wenn man für ein Industrieunternehmen in Lissabon tätig ist?", fragt er.

Als Ruhestandspfarrer kann sich Stelzner noch einmal selbst verwirklichen. Wenn er dann 2021 nach Deutschland zurückkehrt, will der Vater von drei erwachsenen Kindern zusammen mit seiner Frau nach Regensburg ziehen. "Ich bin in der Oberpfalz geboren, die Stadt war schon früher ein Bezugspunkt für mich."