Die Rolle der evangelischen Kirche in der NS-Zeit bleibt zwiespältig - zwischen individuellem Wiederstand und allgemeiner Anpassung. Diese Ambivalenz zeigt sich bis heute in der Person des damaligen Landesbischofs Hans Meiser (1881-1956). Dieser habe als "zutiefst religiöser Mann" seine Kirche mit Standhaftigkeit vor der Gleichschaltung durch die Nazis bewahrt, aber zugleich die "außerkirchlichen Opfer" des NS-Regimes, insbesondere die verfolgten jüdischen Mitbürger, im Stich gelassen, erläuterte Nora Andrea Schulze am Montagabend.

Debatte um Hans Meiser wird mit Biografie und Quellensammlung versachlicht

Schulze stellte bei einem Online-Symposium ihre neue Biographie "Hans Meiser: Lutheraner - Untertan - Opponent" vor. Mit ihrer Biographie wolle sie die Debatte um Meiser versachlichen, sagte die Wissenschaftlerin von der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte. Die biografische Darstellung von Schulze ergänzte der Historiker Karl-Heinz Fix mit seiner umfangreichen Quellensammlung "Zustimmung - Anpassung - Widerspruch" zur Geschichte des bayerischen Protestantismus in der Zeit den nationalsozialistischen Herrschaft.

Auch Fix kam zu der Erkenntnis, dass die evangelische Kirche auf die Herausforderungen der NS-Ideologie nicht vorbereitet war und dass die Verbindung von lutherischem Glauben mit Volk und Vaterland eine gesamtkirchliche Abwehrfront gegen die Nazi-Verbrecherstaat verhinderte.

Bewertung der Kirche in NS-Zeit nicht einfach

Wie die Zeithistorikerin Christiane Kuller bei den Buchvorstellungen sagte, sei Bischof Meiser "weder ein Nazi-Bischof noch ein Widerstandskämpfer" gewesen, sondern müsse differenziert gesehen werden. Die Quellensammlung von Karl-Heinz Fix bringe eine Fülle von Dokumenten aus dem "kirchlichen Leben in seiner ganzen Breite". Dadurch werde das alltägliche Handeln der Pfarrer und Gemeindeglieder in dieser Zeit deutlich. Die zentrale Frage bei der Bewertung der Kirche in der NS-Zeit sei, wann kirchlicher Opportunismus legitim, und wann es eine christliche Pflicht zum Widerstand gegeben hätte, resümierte Kirchenhistoriker Harry Oelke, der die Online-Veranstaltung moderierte.

Die Bedeutung der Erinnerungskultur für die Kirche hob Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hervor. Dazu gehöre auch ein "ehrliches Erschrecken" vor dem eigenen Versagen. Zugleich warb Bedford-Strohm für eine differenzierte Betrachtung. So sei beispielsweise Bischof Meiser wegen seiner angeblich judenfreundlichen Haltung von den Nazis heftig angefeindet worden. Bei jeder Bewertung sei deshalb auch eine historische Perspektive nötig.