Vom 6. bis 9. November kamen in Magdeburg die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu ihrer Jahrestagung zusammen, erstmals seit 2019 in Präsenz. Viele Mitglieder des Kirchenparlaments, das sich im Mai 2021 unter Corona-Bedingungen digital neu konstituiert hat, dürften sich erstmals von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. Auch den neuen Rat der EKD hat das Kirchenparlament im vergangenen Jahr digital gewählt.

Parallel zur EKD-Synode berieten auch die Delegierten der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Vollkonferenz der Union Evangelischer Kirchen (UEK) zusammen. Seit 2009 tagen die Kirchenparlamente von Lutheranern und Unierten sowie die EKD-Synode örtlich und zeitlich verbunden sowie personell verzahnt.

Alle Entwicklungen könnt ihr hier im Newsticker nachlesen.

Das sind die Beschlüsse der EKD-Synode 2022

Am letzten Tag der Beratungen haben die Delegierten des Kirchenparlamentes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Magdeburg zahlreiche Beschlüsse zu gesellschaftlichen Themen gefasst, darunter ein Appell für ein Tempolimit, Beschlüsse zur weiteren Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Haushalt und Finanzen:

Der Etat der EKD, der sich wesentlich aus Umlagen der 20 Landeskirchen speist, soll im nächsten Jahr rund 247 Millionen Euro umfassen, nach 246,1 Millionen im laufenden Jahr. Das beschloss die Synode am Mittwoch einstimmig.

Beteiligungsforum:

Die Synode hat sich in einem einstimmig angenommenen Antrag selbst verpflichtet, dass alle kirchenpolitischen Beschlüsse auf Ebene der EKD zum Umgang mit sexualisierter Gewalt zunächst im Beteiligungsforum beraten werden. Zudem soll eine dauerhafte und angemessene Finanzierung des Beteiligungsforums sichergestellt werden.

Sexualisierte Gewalt:

Das Kirchenamt der EKD soll auf einstimmigen Wunsch der Synode das Disziplinargesetz der EKD so ändern, dass Betroffene mehr Rechte in den Disziplinarverfahren gegen Täter erhalten. Betroffene sollen etwa rechtliche Beratung und ein Informationsrecht erhalten.

Ukraine:

In einem einstimmig beschlossenen Antrag hat die Synode zwar ihre Solidarität mit der Ukraine bekundet, hielt aber zugleich fest, dass innerkirchlich kontrovers darüber gestritten wird, „welche konkreten Mittel zur Unterstützung der Ukraine geeignet und ethisch zu rechtfertigen sind“. Eine Positionierung zu deutschen Waffenlieferungen vermied das Kirchenparlament.

Migration:

Die Synode hat den Rat der EKD beauftragt, sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass das Bundesprogramm zur Aufnahme gefährdeter Afghanen ausreichend und langfristig finanziert wird, weitere alternative Fluchtwege aus Afghanistan geschaffen werden sowie ein großes Aufnahmekontingent für Deutschland über das UNHCR-Resettlement-Programm aufgebaut wird. Auch Hürden im Familiennachzug für afghanische Familienmitglieder müssten abgebaut werden.

Geflüchtete:

Die Synode warnt laut einem einstimmig beschlossenen Antrag davor, die Situation der geflüchteten ukrainischen Staatsbürger gegen die Situation anderer Geflüchteter auszuspielen. Sie bittet den Rat der EKD, sich gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, im Rahmen einer humanitären Flüchtlingspolitik Asylverfahren zu beschleunigen, damit Menschen schneller einen Aufenthaltstitel erhalten. Außerdem spricht sich die Synode für einen „Spurwechsel“ von Geflüchteten aus, wenn sie einen Arbeitsplatz haben und dauerhaft in Deutschland bleiben wollen. Zudem appellierte das Kirchenparlament, dass die völkerrechtswidrige Praxis der Pushbacks von Geflüchteten zurück an die libysche Küste oder von den ägäischen Inseln zurück in türkische Gewässer öffentlich skandalisiert und unterbunden wird und dass die italienische Regierung Geflüchteten, deren Schiffe an den Küstenstädten angelegt haben, Aufnahme und die Beantragung eines Asylverfahrens gewährt.

Klimaschutz

Die Synode hat in einem Beschluss die 20 evangelischen Landeskirchen dazu aufgefordert, bis 2035 Klimaneutralität zu erreichen. Zudem soll der Synode jährlich über Fortschritte berichtet werden. Die Delegierten erwarten laut dem einstimmigen Beschluss, dass die Fortschrittsberichte konkrete Maßnahmen benennen, wie mögliche Umsetzungsrückstände zeitnah aufgeholt werden können.

Tempolimit:

Die Synode stellt sich hinter politische Bemühungen um ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Straßen. Dieses solle höchstens 120 km/h betragen, heißt es in dem Beschluss, der bei einer Nein-Stimme und wenigen Enthaltungen angenommen wurde. Zugleich soll bei Fahrten im kirchlichen Kontext ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen eingehalten werden. Auf der nächsten Synodentagung im November 2023 soll das Thema Klimaschutz und Mobilität auf die Agenda.

Ernährung:

Die Synode hat den Rat der EKD durch einen Beschluss beauftragt, sich gegenüber der Bundesregierung und den EU-Institutionen für eine gerechte Verteilung von Nahrungsmitteln weltweit einzusetzen. So sollen agrarökologische Ansätze gefördert werden, die Abhängigkeiten von Energie, Düngemitteln und Pestiziden reduzieren.

Armut:

Die Synode hat die Politik aufgefordert, ein Instrument wie das Bürgergeld zu entwickeln, durch das soziale Teilhabe gesichert werden soll. Es soll Qualifizierung und dadurch nachhaltige Vermittlung in Arbeit stärken und alle bisherigen Bezieher von Grundsicherung aus Altersgründen oder Erwerbsunfähigkeit einschließen. Zudem soll es den sozialen Arbeitsmarkt langfristig sichern und das Recht auf bezahlbaren und sicheren Wohnraum verwirklichen.

 

Mittwoch, 9. November 2022

15.07 Uhr: Mit einer Solidaritätsbekundung für die Ukraine ist am Mittwoch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu Ende gegangen. Zum Abschluss seiner Jahrestagung vermied das Kirchenparlament allerdings eine Festlegung zu den innerkirchlich umstrittenen deutschen Waffenlieferungen. Die Synode stellte sich zudem hinter politische Bemühungen um ein Tempolimit auf deutschen Straßen, vermied aber auch hier eine konkrete Positionierung. Die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, zog ein positives Fazit der viertägigen Beratungen.

In einem Beschluss hielten die 128 Synodalen fest, dass innerkirchlich kontrovers darüber gestritten wird, "welche konkreten Mittel zur Unterstützung der Ukraine geeignet und ethisch zu rechtfertigen sind".

"Uns eint dabei das Bewusstsein, dass dieser Krieg so schnell wie möglich über Verhandlungen beendet werden muss",

erklärte die Synode. Am Ende müssten Verhandlungen stehen, "die einen Rückzug der russischen Truppen und die Wiederherstellung der Souveränität der Ukraine zum Ziel haben".

Tempolimit für kirchliche Fahrten

Nach kontroverser Debatte verabschiedete die Synode eine Entschließung, wonach sie politische Bemühungen um ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Straßen unterstützt. Dieses solle höchstens 120 km/h betragen, hieß es. Zugleich soll bei Fahrten im kirchlichen Kontext ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen eingehalten werden. Im ursprünglichen Antrag war noch ein allgemeines Tempolimit von 100 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen gefordert worden.

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus warnte davor, dass die evangelische Kirche "zu sehr mit einem moralischen Ton" auftritt. "Das geht nach hinten los", sagte sie. "Dann sind wir wieder die, die als Moralisten dastehen", fügte die westfälische Präses hinzu. Sie empfahl daher, die Selbstverpflichtung für Dienstfahrten zu betonen und beim allgemeinen Tempolimit auf die politischen Bemühungen zu verweisen.

Die Synode verpflichtete sich zum Abschluss ihrer Jahrestagung in einem einstimmig angenommenen Antrag selbst, dass alle kirchenpolitischen Beschlüsse auf Ebene der EKD zum Umgang mit sexualisierter Gewalt zunächst im neuen Beteiligungsforum beraten werden, in dem Missbrauchsbetroffene zusammen mit Kirchenvertretern beraten. Zudem soll eine dauerhafte und angemessene Finanzierung des Beteiligungsforums sichergestellt werden.

Dienstag, 8. November 2022 – Betroffene: Aufarbeitung sexualisierter Gewalt muss Topthema bleiben

18.20 Uhr: In der evangelischen Kirche sollen Betroffene sexualisierter Gewalt künftig mehr Rechte in Disziplinarverfahren gegen Täter erhalten. Dazu plant das neue Beteiligungsforum zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt Änderungen im Disziplinarrecht.

Veränderungen soll es in vier Bereichen geben, wie aus dem Bericht des Beteiligungsforums hervorgeht. Betroffene sollen besser informiert werden und dafür schon vor Beginn eines Disziplinarverfahrens Recht auf juristischen Beistand haben. Zudem sollen Betroffene sexualisierter Gewalt auch während des Verfahrens ein Informationsrecht erhalten.

Betroffene sollen außerdem Recht auf Begleitpersonen haben. Das können je nach Wunsch bis zu drei verschiedene Personen sein: eine Vertrauensperson, eine Begleitperson entweder aus einer externen Beratungsstelle oder einer kircheninternen Anlaufstelle und ein Bevollmächtigter als rechtlicher Beistand.

Geplant ist auch, dass Betroffenenrechte in gerichtlichen Verhandlungen in Disziplinarsachen gestärkt werden. Sie sollen etwa in Verhandlungen anwesend sein dürfen und unter Umständen sogar ein Fragerecht erhalten. Wichtig sei dabei, dass die kirchlichen Gerichtshöfe in die Beratungen zu den geplanten Änderungen einbezogen würden, betonte der Sprecher der EKD-Beauftragten im Beteiligungsforum, Christoph Meyns.

16.36 Uhr: Am Nachmittag geht es um das Thema Missbrauch. Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt muss nach Meinung von Betroffenen zum Topthema in der evangelischen Kirche werden. Das neu gegründete Beteiligungsforum sei "die letzte Chance" für die evangelische Kirche, gemeinsam mit Betroffenen die Verbrechen unter ihrem Dach aufzuklären und aufzuarbeiten, sagte der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Detlev Zander, am Dienstag vor den 128 Delegierten der Synode in Magdeburg.

Zander berichtete dem Kirchenparlament über die Arbeit des Beteiligungsforums. Das Forum hatte im Juli seine Arbeit aufgenommen, nachdem die EKD im vergangenen Jahr den kurz zuvor gegründeten Betroffenenbeirat ausgesetzt hatte. Grund dafür waren Streitigkeiten über Rolle und Ausstattung des Gremiums. Daran hatte es viel Kritik gegeben. In dem neuen Forum sitzen 17 Mitglieder, darunter 9 Kirchenvertreter und 8 Betroffene. Für Beschlüsse bedarf es einer doppelten Mehrheit beider Gruppen.

Gestritten worden sei in der Vergangenheit genug, betonte Zander. Nun sei es an der Zeit, dass gemeinsam etwas erreicht werde. Man arbeite im Beteiligungsforum mit den Verantwortlichen der EKD und Diakonie gut zusammen, sagte Zander: "Hart in der Sache, aber fair im Umgang."

Der Sprecher der Beauftragten im Beteiligungsforum, Landesbischof Christoph Meyns, der seine Funktion zum 1. Dezember an die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst abgeben wird, kündigte an, dass die Ergebnisse der Aufarbeitungsstudie, die seit 2019 läuft, im kommenden Herbst vorliegen sollen. Zudem soll es eine Online-Vernetzungsplattform für Betroffene geben.

Auch eine Grundlage für eine Gemeinsame Erklärung mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus, solle "rasch" geschaffen werden, sagte Meyns.

Präses Heinrich ruft zum Dialog mit "Letzter Generation" auf

14.53 Uhr: Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, ruft Politiker*innen zum Gespräch mit den Klimaaktivsten der "Letzten Generation" auf.

Die "Letzte Generation" dürfe nicht in eine kriminelle Ecke gestellt werden, wo sie einfach nicht hingehöre, sagte Heinrich am Dienstag am Rande der EKD-Synodentagung vor Journalisten in Magdeburg. Ihre Anliegen müssten ernst genommen werden. Zuvor hatte die Klimaaktivistin Aimée van Baalen zu den 128 Delegierten des Kirchenparlaments gesprochen und die umstrittenen Proteste der Bewegung "Letzte Generation" verteidigt.

Menschen setzten ihre körperliche Unversehrtheit, ihre berufliche und familiäre Zukunft sowie ihren Alltag aufs Spiel, "weil alle anderen Protestformen erschöpft wurden", sagte Baalen als Vertreterin der Bewegung, die mit Straßenblockaden und Lebensmittelattacken auf Kunstwerke für Kritik sorgt. Man greife zu diesen Protestformen, weil warnende Stimmen weiterhin ignoriert würden und "weil wir Zuversicht und Nächstenliebe im Herzen tragen".

Aktivistin von "Letzte Generation" fordert Hilfe der Kirche

12.44 Uhr: Die Klimaaktivistin Aimée von Baalen von "Letzte Generation" am Dienstag an die evangelische Kirche appelliert, die Klimabewegung intensiver zu unterstützen. Mit Solidarität, mit Wortmeldungen, mit Geld. Wenn Politik nicht endlich ihren Kurs ändere, komme es zu unumkehrbaren Kettenreaktionen des Klimas, sagte die 23-jährige von Baalen.

"Wir brauchen die evangelische Kirche an unserer Seite",

sagt die Aktivistin. Die Institution hätte die Möglichkeit zu helfen, eine Verhandlungsposition zu erhalten. Sie ermunterte die Kirchenmitglieder sich öffentlich über ihr Unverständnis zu äußern, dass die Klimaziele nicht eingehalten würden. Die Kirche könne Kontakte vermitteln oder Unterkünfte bereitstellen. Es brauche jetzt eine gesellschaftliche Transformation, die ohne die Hilfe der Kirche nicht stattfinden werde.

"Wir brauchen Sie als Institution Kirche, als Einzelperson – brechen Sie Ihr Schweigen." 

Für die Blockade von Autobahnen entscheide sich die "Letzte Generation" nicht leichtfertig, sagte Baalen und betonte, dabei werde die Sicherheit aller Beteiligten gewährleistet. "Wir haben immer und ausnahmslos eine Rettungsgasse", sagte sie.

Baalen sagte,Vertreter*innen der Bewegung bekämen täglich Morddrohungen. So schlimm wie in der vergangenen Woche sei es aber noch nie gewesen. Sie erhielt nach ihrer Rede langanhaltenden Applaus von den Synodalen. 

Synode diskutiert über Klimaschutz

10.54 Uhr: Der Menschheit fehle es nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel und Beschlüssen zu dessen Bekämpfung, sagte die Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Schöpfungsverantwortung am Dienstag bei der EKD-Synode in Magdeburg. Was aber fehle, sei der Wille zu verantwortlichem Handeln.

Seit Jahren gebe es ambitionierte Klimaziele, sagte Kühnbaum-Schmidt auch mit Blick auf die derzeit stattfindende UN-Klimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich. Der CO2-Ausstoß gehe aber nicht zurück, sondern steige sogar - "nicht, weil Ziele nicht ambitioniert genug sind, sondern weil die Umsetzung nicht gelingt", sagte die Bischöfin der Nordkirche. Sie vermisst nach eigenen Worten einen "globalen Gemeinsinn" bei dem Thema.

Der katholische Sozialethiker Markus Vogt plädierte auf der EKD-Synode für einen "aufgeklärten Katastrophismus" als Basis für eine große Transformation im Hinblick auf den Klimawandel.

"Wir brauchen Demut, intelligente Selbstbeschränkung",

sagte er und eine Haltung der Achtung. So müsse der Technik neue Richtung gegeben werden, das sei ein Überlebensprogramm der Zivilisation.

Nach der im Oktober in Kraft getretenen Richtlinie zum Klimaschutz will die EKD - analog zum deutschen Klimaziel - im Jahr 2045 Treibhausgasneutralität erreichen. Bis 2035 sollen bereits 90 Prozent der Emissionen reduziert werden. Bezugspunkt ist dafür der 1. Januar 2023. Um das Ziel zu erreichen, soll für kirchliche Gebäude und Anlagen künftig ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien genutzt werden.

Heute geht's ums Klima

09.43 Uhr: Nach der gestrigen Debatte über die Friedensethik der Evangelischen Kirche sowie Waffenlieferungen an die Ukraine steht heute erneut ein Thema an, bei dem unterschiedliche Standpunkte zu erwarten sind: Das Klima. 

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hatte gesagt, sie habe ein gespaltenes Verhältnis zu den Klima-Protesten der "Letzten Generation". Sie sei natürlich erschüttert, wenn Protestaktionen Menschen gefährdeten, sagte sie. Aber sie frage sich auch, wie verzweifelt diese jungen Menschen sein müssten, um solche radikalen Formen zu wählen. "Dass solche Aktionen jetzt gewählt werden, müsste uns als Gesellschaft aufrütteln", sagte die westfälische Präses.

Die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, kündigte an, dass die Klimaaktivisten Aimée van Baalen von der "Letzten Generation" heute Raum für einen Redebeitrag bekommen werde. 

Die "Letzte Generation" hatte zuletzt mit Farbattacken auf Parteizentralen, Verkehrsblockaden durch Festkleben an Asphalt und Brei-Würfe auf durch Glas geschützte Kunstwerke für Schlagzeilen gesorgt. Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Kurschus Amtsvorgänger ist, hatte die Proteste als "komplett kontraproduktiv" abgelehnt. 

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister sagte, wenn man die Phänomene einer Menschheitskrise sehe und die Stimme der jüngeren Generation höre, wisse man, dass sie das Recht für sich in Anspruch nehme, was auch andere Generationen für sich beansprucht hätten, als sie jung waren und Gewohnheiten des Systems radikal infrage stellten. Die junge Generation tue das heute wieder - in einer "radikalen Form der Anfrage, die adäquat ist zu den Herausforderungen, in der wir nicht nur als Gesellschaft, sondern als Menschheit stehen."

Vergleiche von Aktivisten der "Letzten Generation" mit der linksterroristischen RAF seien nicht hilfreich, sagte Meister. Sie leisteten einer möglichen Radikalisierung sogar Vorschub, betonte er.

Am Nachmittag werden sich die Synodalen dann mit dem Thema sexualisierte Gewalt befassen. Das neu eingerichtete "Beteiligungsforum" (BeFo) berichtet von der Bearbeitung des Skandals des sexuellen Missbrauchs auf Ebene der EKD. 

Montag, 7. November 2022 – Kirche will Friedensethik überdenken

17.19 Uhr: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine ihre friedensethischen Positionen überdenken. Wie der EKD-Friedensbeauftragte Friedrich Kramer am Montag bei der EKD-Synode in Magdeburg sagte, soll eine sogenannte Friedenswerkstatt ins Leben gerufen werden. Sie soll die Denkschrift aus dem Jahr 2007, die bislang Grundlage für die friedensethische Haltung der evangelischen Kirche ist, überprüfen und gegebenenfalls ergänzen oder gänzlich neu fassen.

Die Weiterentwicklung oder auch neue Grundlegung der evangelischen Friedensethik habe besondere Dringlichkeit erlangt, sagte Kramer vor den 128 Delegierten des evangelischen Kirchenparlaments, das noch bis Mittwoch in Magdeburg tagt. Es sei ein breiter Prozess der Verständigung nötig.

In der evangelischen Kirche gibt es seit Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar eine heftige Debatte über ethische Fragen, etwa über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Der EKD-Friedensbeauftragte Kramer hat von Beginn an Waffenlieferungen abgelehnt, andere wie etwa die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, oder auch der frühere EKD-Ratsvorsitzende und Ethiker Wolfgang Huber befürworten Waffenlieferungen. Die Kontroverse ist ein Schwerpunkt der derzeitigen Synodentagung in Magdeburg.

Kramers pazifistische Haltung stößt innerhalb der evangelischen Kirche angesichts des Kriegs in der Ukraine auf viel Kritik. Bei der Synode erntete der mitteldeutsche Bischof für seinen Bericht verhaltenen Applaus, in Redebeiträgen sowohl Dank für die Arbeit als auch Kritik von den Mitgliedern des Kirchenparlaments. Der Journalist Arnd Henze sagte, er fürchte, dass die evangelische Kirche die Anschlussfähigkeit an die Realität verliere,

"wenn wir in einem schmutzigen Krieg an der Sehnsucht nach einer sauberen Ethik festhalten".

Die neue Friedenswerkstatt soll Kramer zufolge in drei Stufen die Friedensdenkschrift von 2007 überprüfen. In der ersten Stufe sollen rund 30 Expertinnen und Experten gehört werden. Ein redaktionelles Team soll dann einen neuen Grundlagentext erstellen und entscheiden, ob die Friedensdenkschrift ergänzt oder neu verfasst werden soll. Dieser Prozess sei auf zwei Jahre angelegt, heißt es im schriftlichen Bericht des Friedensbeauftragten. Geplant sei, dass der neue Grundlagentext möglichst bis Ende 2024 vorliegt.

Kurschus sieht Klima-Proteste zwiespältig

15.31 Uhr: Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sieht die Klima-Protestaktionen von Aktivisten der "Letzten Generation" zwiespältig. Sie sei natürlich erschüttert, wenn Protestaktionen Menschen gefährdeten, sagte sie am Sonntag in Magdeburg am Rande der Synodentagung der EKD. Aber sie frage sich auch, wie verzweifelt diese jungen Menschen sein müssten, um solche radikalen Formen des Protests zu wählen.

"Dass solche Aktionen jetzt gewählt werden, müsste uns als Gesellschaft aufrütteln",

sagte die westfälische Präses. So sehr sie Brei-Attacken auf Kunstwerke oder Verkehrsblockaden als kontraproduktiv ablehne, so sehr frage sie sich auch, was da los sei.

Die Klimaaktivisten Aimée van Baalen von der "Letzten Generation" soll im Lauf der Synodentagung bis Mittwoch Raum für einen Redebeitrag erhalten, wie die Präses der Synode der EKD, Anna-Nicole Heinrich, ankündigte. Am Sonntag begann auch die Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich.

Die "Letzte Generation" hatte zuletzt mit Farbattacken auf Parteizentralen, Verkehrsblockaden durch Festkleben an Asphalt und Brei-Würfe auf Kunstwerke für Schlagzeilen gesorgt. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hatte am Samstag gesagt, die Kirche schulde der Klimabewegung moralische Unterstützung. Er bezog sich dabei auch auf Gespräche mit Mitgliedern der "Letzten Generation". Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Kurschus Amtsvorgänger als EKD-Ratschef ist, hatte die Proteste als "komplett kontraproduktiv" abgelehnt.

Weiter Streit um Waffenlieferungen an Ukraine

10.33 Uhr: In der evangelischen Kirche gehen die Meinungen über Waffenlieferungen an die Ukraine weiter auseinander. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus bezeichnete sie am Sonntag zu Beginn der Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Magdeburg als richtig und lebensrettend.

Der EKD-Friedensbeauftragte und mitteldeutsche Bischof Friedrich Kramer bekräftigte seine ablehnende Haltung. "Ich sage Nein", sagte er zu dem Thema im Eröffnungsgottesdienst der Synode. Die friedensethische Debatte gehört zu den Schwerpunkten der Synodentagung.

Kurschus wiederholte in Magdeburg auch ihre Forderung, Wege zu einem Waffenstillstand zu suchen.

"Waffen helfen, sich zu wehren und zu verteidigen, sie können Leben retten, das ist sehr viel",

sagte Kurschus in ihrem Bericht an das Kirchenparlament. Waffen allein schüfen aber keinen Frieden:

"Frieden kann erst werden, wenn die Waffen schweigen und Gespräche möglich sind."

Kurschus führte vor den 128 Synodalen aus, diplomatische Bemühungen, um einen Waffenstillstand zu ermöglichen, müssten zwingend hinzukommen zur Solidarität mit der Ukraine und deren militärischer Unterstützung. Leider stoppe Wladimir Putin die Angriffe nicht dadurch, dass man es fordere. Darum habe sie am Reformationstag dafür geworben, das Gespräch nicht zu verachten und dem geistesgegenwärtigen Wort etwas zuzutrauen, sagte die oberste Repräsentantin der rund 19,7 Millionen deutschen Protestanten.

Kurschus' Predigt zum Reformationstag hatte Kritik unter anderem beim ehemaligen ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hervorgerufen. Forderungen, Wege zu Gesprächen über einen Waffenstillstand zu suchen, seien herzlos. Für die Ukraine ist es aus seiner Sicht zu früh, Gespräche mit Russland zu führen.

Sonntag, 6. November 2022

14.52 Uhr: In ihrem ersten Bericht als Ratsvorsitzende vor der EKD-Synode nahm Präses Annette Kurschus Stellung zu den großen Herausforderungen unserer Zeit: "Es sind die tiefen Krisen, die unsere Gegenwart schütteln." Konkret ging sie auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die Klimakrise sowie das Problem sexualisierter Gewalt an. Bei all dem sei die Kirche

"nicht von Sorge und Angst getrieben, sondern von Gottes Verheißung beflügelt."

Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sagte Kurschus:"Wir sind nicht Kriegspartei, aber wir sind parteilich für die unendlich leidenden Menschen in der Ukraine. Wir helfen den Geflüchteten, die zu uns kommen, froh, dass die Bundesregierung zumindest ihnen die Türen weit öffnet, und mit dem Wunsch, dass auch Geflüchtete aus anderen Regionen der Welt solche Erleichterungen bekommen."

Kurschus bekräftigte ihre Forderung nach einem Waffenstillstand. Wer, wenn nicht die Kirchen, habe die Freiheit zu fordern, was unmöglich scheine und doch notwendig sei, fragte sie rhetorisch. Diesbezügliche Bemühungen seien weder herzlos noch ignorant gegenüber den Menschen in der Ukraine. 

Zum Thema sexualisierte Gewalt versprach Kurschus, die evangelische Kirche werde aktiv Sorge dafür tragen, Verbrechen an menschlicher Würde zu verhindern.

"Der Rat hat dieses leidvolle und schuldbeladene Thema ganz vorne auf die Agenda seiner Leitungsverantwortung gestellt."

Das neue Format des Beteiligungsforums bezeichnete sie als "wichtigen und zukunftsweisenden Schritt".

 09.40 Uhr: Mit einem Gottesdienst zum Thema "Gute Entscheidungen treffen" ist  in Magdeburg die 3. Tagung der 13. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eröffnet worden. In seiner Predigt zu den Seligpreisungen aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 5) ermutigte der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, die Synodalen dazu, verantwortliche Entscheidungen zu treffen.

"Es geht um Frieden und Gerechtigkeit, um nichts Geringeres",

so Kramer, der zugleich der Friedenbeauftragte des Rates der EKD ist: "Ist Gewaltverzicht nur eine individuelle Option und keine der Kirche mehr und waren wir nicht gestern noch unterwegs eine Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens zu werden? Andererseits: Müssen wir nicht um der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe willen helfen, gerade auch mit Waffen? Könnten wir einem ungerechten Frieden zustimmen? Wir spüren, dass die Antworten uns zerreißen und unglücklich machen."

Auch Präses Anna-Nicole Heinrich ging in ihrem Präsidiumsbericht zum Auftakt der Plenumssitzung auf aktuelle Krisen ein: Ukraine-Krieg oder die Klimakrise lösten ein Gefühl der Angst, der Verlorenheit und der Überforderung aus. Aufgabe der Kirche sei es, bei aller Verzagtheit in der Welt "Halt in aller Unsicherheit" zu geben. 

Zweite Plenumssitzung

Erste Plenumssitzung

Tagung beginnt mit einem Fernseh-Gottesdienst im Dom

Samstag, 5. November 2022: Mit einem ZDF-Fernsehgottesdienst im Magdeburger Dom am Sonntag, 6. November 2022, um 9.30 Uhr, beginnt die 3. Tagung der 13. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Predigt hält Landesbischof Friedrich Kramer aus der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Der Gottesdienst kann im ZDF verfolgt werden, die weitere Tagung im Livestream.

Evangelische Kirche sucht nach dem Push

Donnerstag, 3. November 2022: Vom 6. bis 9. November treffen sich die 128 EKD-Synodalen in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt Magdeburg, und das sei "superwichtig", sagt die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich. Bei allem Guten an digitalen Formaten habe das persönliche Kennenlernen doch gefehlt, sagt sie.

Die 26-Jährige führt seit Frühjahr 2021 das Kirchenparlament, neben dem Rat der EKD und der Kirchenkonferenz mit Vertretern und Vertreterinnen aus allen 20 Landeskirchen eines der drei Leitungsorgane der evangelischen Kirche. Die Synode verabschiedet Kirchengesetze, entscheidet über den Haushalt der EKD und gibt mit ihren Beschlüssen auch inhaltliche Richtungen vor.

Zuletzt haben die Synodalen 2020 mit einem Reformpaket wesentliche Wegmarken für die Zukunft gesetzt. Dazu gehörten ein Grundsatzpapier zu Auftrag und Aufgaben der evangelischen Kirche sowie eine langfristige Finanz- und Digitalstrategie. Geprägt sind alle Überlegungen vom Verlust an Kirchenmitgliedern. 2021 sank der Anteil der Bevölkerung, der evangelischer oder katholischer Kirche angehört, auf knapp unter 50 Prozent. 19,7 Millionen Deutsche gehören der jüngsten Statistik zufolge noch der evangelischen Kirche an.

Hinter den von der vergangenen Synode beschlossenen Reformkurs stellt sich auch Heinrich. Die Strategien und Leitsätze dürften nicht aus dem Blick geraten, sagte sie dem epd. Noch einen "Push" könnte nach ihren Worten die Kommunikation der Kirche mit ihren Mitgliedern bekommen. "Das fängt bei unserer gemeinsamen Erkennbarkeit an und hört bei Datenbanksystemen noch nicht auf", sagte Heinrich. Eine Rundmail an Mitglieder einer Kirchengemeinde ist heute nicht nur Seltenheit, sie ist wegen nicht vorhandener Daten vielerorts gar nicht möglich. Dort gebe es Nachholbedarf:

"Wir müssen besser darin werden, zielgenau und erkennbar auf unterschiedlichsten digitalen Kanälen mit unseren Mitgliedern zu kommunizieren."

Vor der Synode wird in diesem Jahr erstmals die im November 2021 gewählte EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus ihren Bericht abgeben. Nach ihrer Wahl zur höchsten Repräsentantin der deutschen Protestanten hatte die westfälische Präses das auch für die evangelische Kirche schmerzhafte Thema sexualisierte Gewalt zur Chefinnensache erklärt. Ein halbes Jahr davor scheiterte das Gremium zur Beteiligung Betroffener an Aufklärung und Prävention von Missbrauch und brachte die Kirche in negative Schlagzeilen.

Seit diesem Jahr gibt es das Beteiligungsforum als neues Format, in dem Menschen, die in der evangelischen Kirche oder Diakonie Missbrauch erlitten haben, auf Augenhöhe in Entscheidungen eingebunden werden sollen. Das gilt laut Heinrich, die dem Forum angehört, auch für die Synode. "Wir werden die dazugehörigen Tagesordnungspunkte jetzt immer gemeinsam vorbereiten", sagt sie. Auch jede Entscheidung des Kirchenparlaments müsse im Beteiligungsforum vorbesprochen werden, womit die Synode wie andere Gremien der EKD auch Macht abgibt. Heinrich erwartet, dass das nicht immer einfach sein wird.

"Wir werden viel aushalten müssen", sagt sie. Aber das sei richtig und wichtig:

"Ich stehe zu diesem Ansatz, der unsere demokratischen Entscheidungswege mit der direkten Beteiligung Betroffener zusammenbringt."

Auf der Tagesordnung der Synode in Magdeburg steht auch der kirchliche Klimaschutz.

"Die Synode fordert hier schon ein, dass die Kirche auch selbst Maßnahmen für mehr Klimaschutz ergreift",

sagt Heinrich und verweist auf die kürzlich von EKD und Kirchenkonferenz verabschiedete Klimaschutzrichtline. Eine Maßnahme wird für die mehrtägige Synode selbst neu sein: Die Delegierten werden zum Mittag weiter zwischen zwei Essen wählen können. Beide werden aber vegetarisch sein.