Viele reden von Veränderung in der Kirche. Tia Pelz lebt sie. Über ihrem weißen Kollarkragen trägt sie am liebsten knallbunte Kleider, manchmal eine Glitzerjacke. Für sie ist das mehr als Mode, es ist ein Ausdruck von Freiheit:

"Ich bestimme, was ich tragen möchte."

Diese Haltung prägt sowohl ihre Arbeit als Pfarrerin als auch ihre Rolle als Influencerin oder wie manche sagen: Sinnfluencerin. Luthers Mut, nicht nur Machtstrukturen, sondern auch grundlegende Glaubenssätze herauszufordern, beeindruckt sie ebenso wie die spirituelle Tiefe der orthodoxen Tradition.

Sie sucht ständig nach neuen Inspirationsquellen – entdeckt in Disney-Filmen unerwartete religiöse Fragen und schöpft aus feministischen Theorien den Mut zur Veränderung.

Glaube ist Gefühl, weniger Kopfsache

In der Melanchthonkirche in Ziegelstein lebt sie ihre Vision von Kirche, die vielfältig, offen und zugänglich ist. Eine Kirche, die weniger predigt und mehr zuhört – gerade der Generation Z.

"Eigentlich bin ich ziemlich verkopft – eine echte Protestantin eben", sagt Pelz mit einem Lächeln.

Doch ihr Studienjahr in Rumänien rüttelte an diesem Selbstbild. Dort erlebte sie, dass Glaube mehr ist als ein intellektuelles Konzept. Glaube ist auch ein Gefühl. Diese Erkenntnis setzte sich jedoch erst später durch.

Als einzige Frau unter orthodoxen Theologiestudenten musste sie sich wiederholt den Vorwurf gefallen lassen, eine "Ketzerin" zu sein – und das meinten sie ernst. Dass sie nach dieser intensiven Auseinandersetzung mit der orthodoxen Tradition nicht konvertierte, verwirrte ihre Kommilitonen noch mehr als ihre bloße Anwesenheit.

Irgendwo zwischen orthodoxen Ikonen und Luther

Für Pelz bleibt die lutherische Theologie "die beste", die sie kennt. Und doch hat die orthodoxe Spiritualität tiefe Spuren hinterlassen. In den Stunden, in denen sie vor goldenen Ikonen saß, heilige Liturgie im Chor des Metropoliten Cluj sang und Weihrauch einatmete, bewegte sich ihr Glaube vom Kopf ins Herz.

"Ich bin eigentlich gar kein meditativer Typ", sagt sie, "aber inzwischen bete ich, wann immer ich kann – auf dem Fahrrad, beim Zahnarzt oder im Supermarkt."

Diese Erfahrung prägt auch ihre Arbeit. Ob mit den Studierenden der Nürnberger "musication", im Rock- und Pop-Gottesdienst oder in einer koreanischen Gemeinde – Pelz schafft Räume der Begegnung. Mit der PopUp-Church auf der Straße oder beim Glaubenskurs gemeinsam mit der Vineyard-Gemeinde.

"Ich möchte, dass das Reich Gottes spürbar wird. Am liebsten mit vielen anderen! Fröhlich, fromm und frei", sagt die gebürtige Rostockerin.

Disney-Filme, Instagram und Whatsapp

Dabei schöpft sie aus unerwarteten Quellen.

"Disney-Filme sind voller Lebensweisheit", sagt sie und erzählt von ‚Encanto‘: "Die scheinbar perfekte Familie Madrigal, ausgestattet mit vielen Talenten, zerbricht an ihren hohen Ansprüchen. Erst als sie sich von ihren hohen Erwartungen lösen, finden sie wieder zu sich selbst." Für Pelz ein treffendes Gleichnis für viele Gemeinden.

Die 39-Jährige weiß: Kirche findet heute überall statt – auch auf Instagram und WhatsApp. Mit knapp 1.641 Followern hat sie zwar eine kleinere Reichweite, aber ihre Videos werden von bis zu 15.000 Menschen gesehen. Im Vergleich zur Zahl ihrer Gemeindemitglieder ist das mehr als fünfmal so viel.

"Die Leute kommen nicht von selbst zu uns. Also gehe ich dahin, wo sie sind." Mal digital, mal mit der PopUpChurch in die Fußgängerzone, zwischen Sparkasse und Drogeriemarkt.

Pfarrerin Tia Pelz vor dem Altar in der Melanchthonkirche in Nürnberg.

Nähe, Glauben und Feminismus: "Pfarrerin von nebenan" auf Instagram

"Als ‚Pfarrerin von nebenan‘ auf Instagram schafft sie die Nähe, die der Kirche oft fehlt. Ein Post über ihren verlorenen Pfarramtsschlüssel gewährt einen fast schon befreienden, ungeschönten Einblick in ihren Alltag.

"Ich bin ich, nicht perfekt", sagt sie.

Für Terminabstimmungen bei Trauungen, Seelsorgeanfragen oder mit ihren Kolleginnen hat sie längst auf Whatsapp umgestellt. Ihre eiserne Regel: Jede Nachricht wird innerhalb von 24 Stunden beantwortet – auch die unangenehmen.

Pelz geht jedoch noch einen Schritt weiter: Sie nutzt ihre Reichweite, um Veränderungen in der Landeskirche anzustoßen, die sie selbst betreffen. Auf Instagram postet sie ein Foto: Sie steht mit Kolleginnen und dem Landesbischof vor einer verschlossenen Box. Die Box bleibt zu, bis Frauen die Hälfte der Kirchenleitung stellen.

"In der Kirche predigen wir Gleichheit vor Gott", sagt sie. "Aber in den Führungsetagen sitzen fast nur Männer. Das passt nicht zusammen."

Kalifornien: Prägende Jahre als Auslandspfarrerin

Ihre politische Haltung, die weit über feministische Themen hinausgeht, hat Pelz während ihrer dreieinhalb Jahre als lutherische Pfarrerin in Kalifornien geschärft. Inmitten der Black-Lives-Matter-Proteste und der Corona-Pandemie tauchte sie tief in die ‚Black Theology‘ und ‚Womenist Theology‘ ein – Strömungen der Befreiungstheologie, die den Widerstand schwarzer Menschen und Frauen gegen Unterdrückung in den Mittelpunkt stellen.

Dort lernte sie, im Gespräch zu bleiben – selbst mit Menschen verschiedenster politischer Überzeugungen – und ihnen als Seelsorgerin beizustehen. Um ihre Fähigkeiten weiter zu vertiefen, absolvierte sie eine Ausbildung zur klinischen Seelsorgerin, die sie bewusst in einem Krankenhaus für US-Kriegsveteranen durchlief.

"Dort begegnete ich viel Leid und Trauma – und auf eine tiefe Sehnsucht nach Heilung und Versöhnung."

Kollarbekenntnis und digitale Reformation

Pelz versteht sich als geistliche Begleiterin der Menschen, weit über die traditionellen Kirchenräume hinaus.

"Viele finden Trost darin, dass jemand für sie betet und Gottesdienst feiert – auch wenn sie selbst nicht in die Kirche gehen wollen oder können", sagt sie.

So wird der Kollar, den sie im Alltag trägt, zu einem sichtbaren Bekenntnis ihrer Berufung. Eine tägliche Erinnerung an ihren Auftrag, für die da zu sein, die sie brauchen. Denn:

"Wir Pfarrpersonen sind ein bisschen wie die Mönche der Neuzeit", sagt sie.

Mönche in rotem Kleid und weißem Kollar, zwischen Instagram-Feed und Fußgängerzone. Die Reformation ist für Pelz noch nicht abgeschlossen. Sie geht weiter, wo die Mönche von heute die Kirche aus ihren gewohnten Bahnen herausführt und Raum für Begegnung schafft.

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