Den Kirchengemeinden in Bayern geht es doch ganz gut. Warum gibt es einen Gemeindebund?
Wackerbarth: Man muss es ganz klar sagen: Betriebswirtschaftlich stehen viele Gemeinden kurz vor der Pleite. Die vergangenen Jahre hat man die Finanzierung der Gemeinden aus dem Blick verloren, die schmalen Zuwächse sind ja unter Inflationsniveau geblieben. Gleichzeitig wurde eine Vielzahl an Aufgaben in die Gemeinde verlagert. Wir haben den Eindruck, dass unser Anliegen noch nicht überall durchgedrungen ist. Manche meinen, das sei Jammern auf hohem Niveau oder man müsse doch mehr auf das Ganze schauen. Aber das ist es nicht.
Schoenauer: Die Gemeinden sind momentan die Verlierer. Die sogenannten Schlüsselzuweisungen, von denen sie alles bezahlen müssen, gingen von circa 38 Prozent der Kirchensteuereinnahmen auf 24 Prozent zurück.
Nimmt man jedoch die Gehälter und die Versorgung der Pfarrer und Diakone dazu, sind es 67 Prozent des Kirchensteueraufkommens, das in den Gemeinden ankommt. Dazu kommen Zuschüsse bei Baumaßnahmen.
Schoenauer: Das reicht nicht. Die Konsequenz ist, dass die Gemeinden überall reduzieren müssen, bei Bürostunden, beim Hausmeister, beim Mesner, beim Kirchenmusiker. Ausgerechnet bei den Menschen, die das Gemeindeleben am Laufen halten. Und das, obwohl die Kirchensteuereinnahmen stetig gestiegen sind. Da gab es Zuwächse um 30 Prozent.
Aber bald werden die Kirchensteuern zurückgehen.
Wackerbarth: Das hören wir nun schon seit 30 Jahren, es gab aber stets Zuwächse, im Rahmen von 50 bis 60 Millionen. Das Verrückte: Mehr als ein Drittel der Einnahmen werden an den Gemeinden vorbei verteilt. Und die Synodalen machen sich keine Gedanken darüber. Das ist bitter!
Wie sieht es konkret in Ihrer Gemeinde in Prien aus?
Wackerbarth: Von unseren 3000 Gemeindegliedern in Prien zahlen etwa 1000 Kirchensteuer. Nehmen wir einmal den bayernweiten Durchschnitt von rund 780 Euro pro Person, wären das - bezogen auf Prien - jährlich 780.000 Euro. Davon kommen aber nur 70.000 Euro in unsere Gemeinde zurück. Davon müssen wir - mit Ausnahme der beiden Pfarrer - das Personal und alles andere bezahlen: den Mesner, die Pfarramtssekretärin, den Hausmeister und den Kirchenmusiker. Dafür reichen die 70.000 Euro nicht.
Der Gemeindebund fordert nun 25 Prozent mehr Geld für die Gemeinden.
Wackerbarth: Das ist mal ein Pflock, den wir jetzt einschlagen, das ist viel, aber nicht genug. Aber wir müssen ja auch mal Tacheles reden. Die Arbeit ist mehr geworden und die Ansprüche sind gewachsen. Ein Gemeindebrief muss heute bunt und professionell gemacht sein, sonst wandert er in die Tonne. Die Versorgung von Flüchtlingen kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Dann sind Aufgaben in der Ökumene dazugekommen, die Zielgruppenarbeit, zum Beispiel in einer Vielfalt von Gottesdiensten, die es früher nicht gab.
Das sind Dinge, die auch Ehrenamtliche übernehmen können.
Schoenauer: Die Begleitung Ehrenamtlicher kostet aber auch Zeit und Geld.
Wackerbarth: Dann kommt ganz viel von der Landeskirche, wo es heißt: "Macht doch mal": Leitbildentwicklung, Gemeindeentwicklung. Alles toll, aber was wird da alles investiert? Man hat nicht bemerkt, was dies auf Dauer an Arbeits- und Personalaufwand bedeutet. Das geht alles zulasten der Präsenz in der Gemeinde. Dazu gibt es immer mehr Vorgaben, was mit den Zuweisungen geschehen soll. Wir müssen zum Beispiel Geld zurücklegen für die Immobiliensicherung.
Schoenauer: Was ja auch sinnvoll ist, aber die Gemeinde Lindenhardt in unserem Dekanat muss nach den Vorgaben die gesamte Zuweisung zurücklegen. Die haben ein großes Gemeindehaus, eine große Kirche, aber zum Leben nichts mehr. Wenn die nicht einen großen Wald hätten, von dem sie jedes Jahr was verkaufen könnten, dann könnten sie nicht mehr leben.
Wo soll das Geld herkommen, was ist verzichtbar?
Wackerbarth: Das ist uns egal. Wir verstehen uns als Anwalt der Ortsgemeinden, unsere Stimme muss gehört werden. Wir wollen, dass die Kirche vor Ort wieder lebensfähig wird.
Schoenauer: Darum geht es. Die Gemeinde Lindenhardt in unserem Dekanat Pegnitz muss nach den Vorgaben die gesamte Zuweisung zurücklegen. 14.000 Euro für den Gebäudeunterhalt, 4500 Euro Pfarrhausrücklage, und sie bekommen 17.000 Euro als Schlüsselzuweisung. Von was sollen sie den Kirchenmusiker, Mesner etc. bezahlen?
Die Landeskirche hat den Pfarrerbildprozess angestoßen, um die Pfarrer zu entlasten.
Schoenauer: Die Entlastung ist ernst gemeint, zum Beispiel bei der Weiterbildung der Pfarramtssekretärinnen zu Büroassistentinnen. Die können bald den Pfarrerinnen und Pfarrern viel mehr abnehmen. Da sind wir in Bewegung, aber die Aufgaben und Ansprüche nehmen weiter zu. Vor Ort brauchen wir auch die Mittel, um das umsetzen zu können.
Was muss sich ändern?
Schoenauer: Der Pfarrerberuf muss auch wieder Freude machen. Pfarrer haben ein Standbein, das sind Gottesdienst, Seelsorge, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen. Sie haben aber auch ein Spielbein, das sind ihre besonderen Fähigkeiten, die einfach oft zu kurz kommen. Ich habe einige Pfarrer im Dekanat, die am Rande ihrer Kraft sind. Und man sieht auch, dass der Nachwuchs ausbleibt.
Wackerbarth: Die Frage ist, wie wir unter dieser Belastung weiterhin die Verbundenheit zur Ortsgemeinde erhalten können. Wir müssen uns entscheiden, ob wir Volkskirche in der Fläche sein wollen oder Zentren im Sinne des Konzepts "Kirche der Freiheit" haben wollen. Beides geht nicht. Wir fühlen uns da von der Kirchenmitgliedschaftsstudie der EKD bestätigt. Da heißt es, dass die Bindung an die Kirche über die Ortsgemeinde geschieht.
Was erwarten Sie vom Landesstellenplan 2020?
Schoenauer: Nur 72 Prozent der Pfarrer sind momentan im Gemeindedienst, da darf es keine weitere Reduzierung der Pfarrstellen bei den Ortsgemeinden geben. Natürlich muss man schauen, wo wie viele Gemeindeglieder sind, aber in einer vernünftigen Art und Weise. Wir sind gegen Fusionen, befürworten dagegen Kooperationen, die die Arbeit erleichtern. Was für Folgen das Zusammenlegen von Gemeinden hat, sieht man in den Landeskirchen, die sogenannte Zentren geschaffen haben. Die haben die Leute verloren, die nicht mobil sind: die Alten und die Schwachen, die Armen. Die fahren nicht 20 Kilometer zum Pfarrer. Da können wir uns so fortschrittlich geben, wie wir wollen - im Sinne des Evangeliums haben wir unser Ziel verfehlt.
Was erwarten Sie noch?
Schoenauer: Dass auch die übergemeindlichen Angebote genau angeschaut werden. Der Stellenplan bei den Gemeinden orientiert sich ja an objektiven Fakten und Zahlen. Bei übergemeindlichen Angeboten findet das nicht statt.
Wackerbarth: Ein höchstes Ärgernis sind die Jugendkirchen. Leider wurden die Gemeinden nie so gut ausgestattet wie beispielsweise die Jugendkirche in Nürnberg. Wenn man die Schulgottesdienste abzieht, dann ist dort doch nicht mehr viel los, da sind an manchen Wochenenden weniger Gäste als Beteiligte da. Und ganz nebenbei geht die Jugendarbeit in den Nürnberger Gemeinden kaputt. Und weil keiner sich traut, das zu sagen, wird nun in München und Lindau derselbe Unsinn gemacht. Das darf doch nicht wahr sein!
Ist in anderen Landeskirchen nicht alles viel schlimmer?
Schoenauer: Wir sind froh, in Bayern zu sein. Das EKD-Programm "Kirche der Freiheit" wurde zwar auch in Bayern anfangs unterstützt. Die Gemeinden wurden als milieuverengend diffamiert, das empfanden wir als unfair. Auch deshalb wurde der Gemeindebund gegründet. Die neue Kirchenmitgliedschaftsstudie bestätigt unser Anliegen: Bindung an die Kirche geschieht im Wesentlichen über die Ortsgemeinde.
Sie haben als Protestbewegung "Aufbruch Gemeinde" begonnen, nun sind bei Ihren jährlichen Treffen regelmäßig auch Mitglieder des Landeskirchenrats beteiligt. Fühlen Sie sich vereinnahmt?
Schoenauer: Nein. Oberkirchenrat Hans-Peter Hübner als Verantwortlicher für die Gemeinden ist immer dabei. Dadurch konnte in der Vergangenheit so manche falsche Entscheidung verhindert werden. Wir bekommen viel positives Echo, aber die Schwelle zum Beitritt ist bei den Gemeinden hoch. Eine gewisse Ängstlichkeit ist bei manchen da.
Wie begeht der Gemeindebund 500 Jahre Reformation?
Wackerbarth: Für den 2. April planen wir einen Thesenanschlag an unsere Kirchentüren. Wir hoffen, dass unsere Anliegen diskutiert werden.