Herr Bauer, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Bibelstellen auswendig zu rezitieren?

Bauer: Im Jahr 2000 habe ich in einer beruflichen Krise angefangen, Bibeltexte auswendig zu lernen. Irgendwann kam mir dann der Gedanke: Warum soll ich das eigentlich nur für mich machen und das Ganze nicht auch nach außen tragen? Im Lutherjahr 2017 habe ich mir schließlich bestimmte Textpassagen eingeprägt, um diese dann gezielt in der Öffentlichkeit vorzutragen. Im Augenblick beschäftige ich mich mit dem Markusevangelium.

Sie glauben also, dass Bedarf an solchen Veranstaltungen besteht?

Bauer: Ich denke schon, dass solche Bibelrezitationen Zukunft haben können. Da wird eben deutlich, dass der Text allein schon Predigt ist. Mir haben auch schon Teilnehmer bestätigt, dass ihnen die Bibel noch nie so lebendig geworden ist wie bei der Bibelrezitation.

Brauchen denn die Leute nicht oft auch eine Auslegung, um die Bibeltexte verstehen zu können?

Bauer: Das darf man meiner Meinung nach nicht als ausschließendes Kriterium sehen. Natürlich sind Auslegungen oft wichtig. Aber hier geht es im Grunde genommen um ein Aha-Erlebnis. Das ist, als würde man sich einen Jesusfilm ansehen, in dem ein Text in Szene gesetzt wird. Man wird nie alles verstehen, das ist aber bei jeder Kommunikation so. Aber es kommt in jedem Fall viel rüber.

Sie wollen die Rezitationen weiter bekannt machen und rufen auf Ihrer Homepage zur "Inwendigen Schriftlesung" dazu auf, Bibelstellen auswendig zu lernen. Haben Sie den Eindruck, dass viele Menschen nur noch wenig von der Bibel wissen?

Bauer: Das glaube ich eigentlich nicht. Ich habe nicht die Absicht, den Leuten etwas zu sagen, das sie noch nicht wissen. Ich will ihnen vielmehr zeigen, was für ein faszinierendes Buch die Bibel ist. Mein unausgesprochenes Ziel ist, dass sich viele Menschen erwärmen lassen, selbst einen Abschnitt aus der Bibel auswendig zu lernen und merken, dass eine Geschichte Teil ihrer selbst werden kann.

Wie läuft denn eine solche Bibelrezitation ab und welche Rolle spielt dabei die Musik?

Bauer: Im Unterschied zu den Bibellesungen im Gottesdienst bewege ich mich bei den Rezitationen frei im Raum und stehe auch mal direkt vor den Zuhörern. Das heißt, der Raum selbst ist das Geschehen und das Wort kommt auf die Zuhörer zu.

Als Bibelübersetzung nehme ich die Lutherbibel von 1545, das ist die letzte Ausgabe, die Luther selbst nochmal durchgesehen hat. Zum einen heißt es, dass man sich die alte Luthersprache besser einprägen kann und zum anderen habe ich dadurch das Gefühl, näher an der Quelle zu sein.

Zunächst habe ich die Abende als kleine Gottesdienste ohne Predigt konzipiert, habe aber dann gemerkt, dass das zu viel ist und die Rezitationen auf Wort und Musik beschränkt. Wort und Musik haben ja auch die gleichen Funktionen. Sie rühren Bereiche an, die tiefer sind als der Verstand. Mein Wunsch ist, das in Zukunft nicht nur mit der Orgel, sondern auch mal mit anderen Instrumenten zu machen.

Wie ist die Resonanz auf die Bibelrezitationen und wie nehmen Ihre Kolleginnen und Kollegen die Aktion auf?

Bauer: Die Besucher sind meist beeindruckt und wundern sich, dass ich die Texte auswendig gelernt habe. Meist merken sie auch, dass da irgendetwas mit ihnen passiert, dass sie eben nicht einfach nur passive Zuhörer, sondern selbst Teil des Geschehens sind. Bei den Pfarrerinnen und Pfarrern ist die Resonanz durchaus unterschiedlich, das Ganze ist eben noch ein Nischenprojekt.

Herr Bauer, was bedeutet Ihnen persönlich die Bibel?

Bauer: Wenn es mich einmal auf eine einsame Insel verschlagen sollte und ich dürfte irgendein Buch mitnehmen, wäre es in jedem Fall die Bibel. Durch die Beschäftigung mit der Bibel bin ich heiler geworden. Die Bibel deckt alle meine Probleme auf und trägt viel zur Heilung bei.