Wie gut wurden die Bemühungen des Entjudungsinstituts und deren Publikationen eigentlich im deutschen Volk wahr- und angenommen?

Michael Weise: Die Wirkungsgeschichte des ‚Entjudungsinstituts‘ ist bislang noch kaum erforscht. Allerdings haben sich als Reaktion auf die Veröffentlichung der wichtigsten Institutspublikation – die "Botschaft Gottes" (1940) – viele Zuschriften erhalten, in denen das ‚entjudete‘ Volkstestament von den Lesern meist euphorisch gelobt wird. Die positive Publikumsreaktion lässt sich auch daran ablesen, dass die erste Auflage der "Botschaft Gottes" – übrigens ebenso wie die des ‚entjudeten‘ Gesangbuchs "Großer Gott wir loben dich" (1941) – schon bald vergriffen war. Für beide Werke waren Zweitauflagen geplant, die kriegsbedingt jedoch nicht mehr erscheinen konnten. Die Tagungen und Vorträge des Instituts waren gut besucht und zogen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem ganzen Reichsgebiet an. Es gibt also wichtige Indizien für die positive Wahrnehmung des Instituts und seiner Arbeit, eine umfassende Untersuchung dieses Thema steht indes noch aus.

Wie beurteilen Sie die Frage nach der "Schuld" an den Verbrechen an Juden, die Männer wie Walter Grundmann auf sich geladen haben?

Michael Weise: Uns geht es in der Sonderausstellung nicht so sehr um die Beurteilung der moralischen Schuld der Institutsmitarbeiter, sondern um eine sachliche Darstellung der Institutsaktivitäten, um damit auch eine Diskussionsgrundlage zu schaffen. Dennoch drängt sich die Schuldfrage bei diesem Thema zwangsläufig auf. Zentral ist in diesem Zusammenhang das theologische Gutachten "Zur Frage der Beteiligung der Judenchristen am christlichen Gottesdienst" aus dem Jahr 1941, das vom Jenaer Universitätsprofessor und damaligen Leiter des ‚Entjudungsinstituts‘ Heinz-Erich Eisenhuth verfasst wurde. Eisenhuth argumentiert darin für den Ausschluss aller sog. Judenchristen aus der Kirche und sieben ev. Landeskirchen folgten diesem Vorschlag Ende des Jahres 1941. Dieses Gutachten legitimierte ebenso wie die anderen Arbeiten des ‚Entjudungsinsituts‘ den Ausschluss der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus der Gesellschaft. Insofern kann man die Arbeit des Instituts durchaus als "Handlangerdienst für die von den Nationalsozialisten verübten Verbrechen am europäischen Judentum" (Oliver Arnhold) einordnen.

Wenn heute laut eine neue Überarbeitung der Bibel in geschlechtersensibler Sprache nachgedacht und erste Vorstöße dazu unternommen werden, welche Parallelen ziehen Sie zu den Sprachveränderern des Instituts?

Jochen Birkenmeier: Jede Übersetzung ist auch immer eine Form der Interpretation. Insbesondere wenn es darum geht, den biblischen Text für die jeweilige Gegenwart verständlich zu machen, ist jede Übertragung vor große Herausforderungen gestellt. Luther hat in manchen Fällen sehr frei übersetzt und um der größeren Verständlichkeit willen beispielsweise Tiere und Pflanzen des vorderen Orientes in mitteleuropäische Tiere und Pflanzen 'übertragen'. Aber auch vorsichtigere Übersetzer sind zwangsläufig "Sprachveränderer", wenn sie vom gewohnten Klang älterer Übersetzungen abweichen. Der entscheidende Unterschied zwischen der Fassung des "Entjudungsinstituts" und einer geschlechgergerechten Fassung besteht darin, dass die 'Entjuder' bewusst Teile der Bibel entfernt und verschwiegen haben, während es bei einer inklusiven Bibelübersetzung im Gegenteil darum geht, Elemente zu benennen, die in der Bibel mitgedacht, aber nicht ausgesprochen sind. Wir wissen, dass Jesus eine große Zahl weiblicher Anhänger hatte - sprachlich schlägt sich das aber im Bibeltext selten nieder. Wenn dort das Wort "brüderlich" verwendet wird, sind ja nicht nur Männer ("Brüder") gemeint, sondern auch Frauen. Insofern kann es sinnvoll sein, die Dinge so auszudrücken, wie wir es heute mit größerer Sensibiltät tun - also zum Beispiel "geschwisterlich" statt "brüderlich". Solche Übersetzungen mögen aus sprachlicher Sicht Geschmackssache sein, inhaltlich lassen sie sich gut begründen. Und das ist der Unterschied zur antisemitischen "Botschaft Gottes" des Instituts, die den Bibeltext so verfälscht hat, dass alle jüdischen Traditionen, ja selbst die Erwähnung des Judentums getilgt sind. Solche Änderungen sind sachlich nicht begründbar, sondern stellen eine ideologisch motivierte Verfälschung dar. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass das Institut seine vorgenommenen Änderungen nicht sichtbar gemacht, sondern stillschweigend vorgenommen hat - in der Hoffnung, dass niemand sich mehr an die ursprünglichen Texte erinnern würde. Moderne Übersetzungen, insbesondere geschlechergerechte, dokumentieren und diskutieren ihre Veränderungen - und häufig wollen sie sogar, dass man die Veränderungen als gegenwärtigen Zusätze bemerkt. Durch diese Offenheit wird eine mögliche Verfälschung vermieden und die Diskussion über den biblischen Text angeregt.

Mehr zum "Entjudungsinstitut" lesen Sie in der Nummer 2 / 2022 des Evangelischen Sonntagsblattes. Hier geht es zum Lutherhaus Eisenach.