Die evangelische Kirche hat im vergangenen Jahr erneut einen deutlichen Mitgliederverlust hinnehmen müssen. Wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am Dienstag in Hannover mitteilte, waren im Jahr 2022 rund 19,1 Millionen Deutsche evangelisch, das ist ein Anteil von 22,7 Prozent an der Bevölkerung.

Das waren rund 575.000 weniger Menschen als noch im Jahr zuvor und entsprach einem Rückgang von 2,9 Prozent. Damit erreichte der Mitgliederverlust einen neuen Rekordwert.

Das sind die Gründe für Mitgliederverlust

Grund für die starken Verluste sind vor allem Kirchenaustritte und Sterbefälle. In diesem Jahr übertraf die Zahl der Kirchenaustritte erstmals die Zahl der Sterbefälle. 380.000 Menschen traten aus der Kirche aus, 100.000 und damit gut 35,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Sterbefälle blieb mit 365.000 ungefähr auf dem Niveau des Vorjahrs.

Die Zahl der Kirchenaustritte überstieg die Zahl aus dem Jahr 2021 noch einmal um rund 40.000, damit lag die Austrittsquote bei 1,9 Prozent - ebenfalls ein Rekordwert. Zwar erreichte die Zahl der Taufen mit 165.000 wieder das Niveau vor der Corona-Pandemie, doch Taufen und Aufnahmen (19.000) konnten den Trend zum Austritt nicht aufhalten. Die Angaben beruhen auf aktuellen Berechnungen auf Basis der gemeldeten vorläufigen Zahlen zum Stichtag 31. Dezember 2022 aus den 20 Gliedkirchen der EKD.

Kurschus: Entwicklung "bedrückend"

Die jüngste Entwicklung der Mitgliedschaftszahlen sei "bedrückend" nicht zuletzt für alle, die sich haupt- und ehrenamtlich in der evangelischen Kirche engagierten, sagte die Ratsvorsitzende der EKD, Annette Kurschus. Der hohe Anstieg bei den Austritten bereite ihr Sorgen. Laut einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD aus dem vergangenen Jahr spielt die "Kosten-Nutzen-Abwägung" eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, aus der Kirche auszutreten. Einige Landeskirchen konnten im vergangenen Jahr auch einen Zusammenhang mit den gestiegenen Lebenshaltungs- und Energiekosten beobachten.

Im vergangenen Jahr waren evangelische und katholische Kirchenmitglieder erstmals in der Minderheit, ihr Anteil an der Bevölkerung sank unter die 50-Prozent-Marke. Mitgliederzahlen für die 27 katholischen Bistümer liegen noch nicht vor. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht ihre Statistik im Sommer.

Bedford-Strohm: Zahlen "ehrlicher als früher"

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) schrumpft ebenfalls weiter. Im vergangenen Jahr traten 48.542 Menschen aus der evangelischen Kirche aus - so viele wie nie zuvor in einem Jahr. Zum Vergleich: die Zahl der Ausgetretenen entspricht ziemlich genau der momentanen Einwohnerzahl der ganzen Stadt Freising. Die Mitgliederzahl der evangelischen Landeskirche sank zum Stichtag 31. Dezember 2022 auf 2,143 Millionen Menschen. In die ELKB eingetreten sind vergangenes Jahr 2.786 Menschen, 2021 waren es 2.330 Personen.

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sagte, die bayerische Landeskirche schaue angesichts dieser Zahlen nicht weg, sondern stelle sich der Realität: "Auch wenn es schmerzt." Studien zeigten der Kirche die Gründe für die Kirchenaustritte, sagte er.

So werde in der "heutigen ausdifferenzierten Gesellschaft" der christliche Glaube "in den Familien nicht mehr als Selbstverständlichkeit gelebt und weitergegeben". Weil Menschen heutzutage "allein aus Freiheit" Kirchenmitglied seien, seien die aktuellen Mitgliederzahlen "auch ehrlicher als früher".

Preidel: Kirche braucht Mut

Die Kirche reagiere auf diese Situation, sagte Bedford-Strohm. Man sei "mittendrin, die Kirche umzubauen", damit sie attraktiver wird für religiös ansprechbare Menschen: "Für Menschen, die nach dem Sinn in ihrem Leben suchen. Ein Patentrezept werde es aber nicht geben, sagte der Landesbischof.

Synodalpräsidentin Annekathrin Preidel sagte, die Kirche brauche "Mut, über zeitgemäßes Christsein nachzudenken und Neues auszuprobieren".

Die Kirche der Zukunft müsse eher ein flexibles Netzwerk als eine starre Organisation sein.

Ein erster Schritt sind die 40 kirchlichen Start-ups, für die die Landeskirche vor einem Jahr drei Millionen Euro in die Hand genommen hat, um neue Formen von Kirche auszutesten. Ein Beispiel für diese Start-ups ist die Aktion "einfach heiraten" am 23. März, wenn sich an mehr als zwölf Standorten in Bayern die Kirchen öffnen und die Menschen ohne aufwändige Vorbereitung und große Feier kirchlich heiraten können (sofern sie schon standesamtlich getraut sind) oder einen Segen für ihre Partnerschaft empfangen können, teilte die ELKB mit.

Erfolgreich sind die Radio- und Fernsehgottesdienste im Bayerischen Rundfunk (BR), teilte die Kirche mit. Rund 930.000 Menschen hörten sonntags die evangelische Morgenfeier im Radiosender Bayern 1. Die insgesamt sieben TV-Gottesdienste im BR-Fernsehen erreichten zwischen 500.000 Zuschauern in der Osternacht und ungefähr 120.000 an normalen Sonntagen. Darüber hinaus investiere die ELKB in neue Verkündigungsformen im digitalen Raum auf verschiedenen Social-Media-Plattformen wie Instagram, Youtube oder auch Tiktok.

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