Allein die Liste der Musiker, die auf "Blue" mitgespielt oder die Mitchell zum Schreiben inspiriert haben, liest sich wie die Crème de la Crème des Folk und Pop der ausgehenden 1960er-Jahre: Stephen Stills und James Taylor spielen auf dem Album Gitarre. Letzterem sollte Graham Nash als Liebhaber Mitchells folgen. Dem "N" in "Crosby, Stills & Nash" sind einige der Lieder von Liebe und Verlust gewidmet.

Liebe wie Abendmahl feiern

Ebenso dem Songbarden Leonard Cohen, mit dem die kanadische Sängerin ebenfalls eine Liaison hatte. Er stand Pate für den Text von "A case of you", das später unter anderem von Prince gecovert wurde, der ebenso wie zahlreiche Musiker von der immer fragil wirkenden, lyrisch und musikalisch vielfältigen Künstlerin inspiriert wurde. Jazzer Herbie Hancock sollte ihr sogar ein ganzes Album widmen.

"A case of you" ist auch das Lieblingslied auf dem Lieblings- album von Stefanie Hempel. In dem Stück singt Mitchell in ihrer mit leichter Ironie versetzten Einfühlsamkeit von einer verflossenen Liebe, von der sie immer noch "eine ganze Kiste voll" trinken würde. Die Erzählerin trifft im Text eine Frau, die dem Mann ähnlich sieht und sie warnt, mit ihm zu bluten, falls sie sich mit ihm einlasse. Szenarien, die an die Eucharistie ebenso erinnern wie an eine Muttergottes.

"Joni spielte damit auf Leonard Cohen an, der immer wieder christliche Motive in seinen Texten aufgriff", meint Hempel. Die Hamburgerin ist beim "Joni Project" für Gesang, Gitarre und Klavier zuständig und hat in den letzten Jahren vor allem für ihre Interpretationen von Beatles-Songs und damit verbundene Projekte einiges an Aufsehen erregt.

Seien die "Fab Four" unschlagbar in ihrer eigenen Komplexität an musikalischem Ideenreichtum mit immer positiver Ausstrahlung, sei der Mix aus lyrischen Melodien mit musikalischer Komplexität, den Joni Mitchell auf ihrem vierten Album erstmals in dieser Dichte darbot, absolut gleichwertig – wenn auch in ihrer eigenen Prägung mit Texten, die so bildreich und rätselhaft erscheinen, dass sie eine tiefer gehende Auseinandersetzung erfordern.

ION-Reihe "Nightflight"

Vor allem in den Songs auf "Blue" scheine immer wieder die tief spirituelle Herangehensweise Mitchells an ihre Texte durch. Nicht nur deswegen, sondern auch weil die Musik tief in die Seele gehe, sei sie genau richtig für den Kirchenraum. Dass der Auftritt in der ION-Reihe "Nightflight" stattfindet, sei noch besser. "›Blue‹ ist ein Nachtalbum". Nicht zuletzt ist darauf auch der Song "This flight tonight" enthalten, mit dem die schottische Hardrockband "Nazareth" einen ihrer größten Hits haben sollte.

Zusammen mit Anne de Wolff (Gesang, Streichinstrumente, Vibrafon, Harmonium, Lap-Steel-Gitarre, Saz) und Iris Romen (Gesang, Kontrabass, E-Bass, Vibrafon) hat Stephanie Hempel die meist schlicht gehaltenen Original-Arrangements behutsam um Satzgesänge und einfühlsame Instrumentalbegleitung erweitert. "Wir sind uns durchaus bewusst, dass man diese Songs nicht einfach so covern kann, sondern ihren Charakter bewahren muss", versichert Hempel. "Sie haben nicht nur für uns etwas Heiliges."

Idee zur Corona-Zeit geboren

Zustande kam das Projekt 2020 in der für Musikschaffende trostlosen Zeit der Corona-Einschränkungen. Stephanie Hempel überlegte sich, was man in diesen Monaten ohne Auftritte und regelmäßige Proben denn sinnvolles angehen könnte, und kontaktierte Anne de Wolff.
Bei der oft mit BAP live reisenden Musikerin habe sie mit der Idee, "Blue" neu zu arrangieren, offene Türen eingerannt. Durch einen Tipp kam man in Kontakt mit der in Berlin lebenden niederländischen Sängerin Iris Romen, deren Sopran dem von Joni Mitchell sehr nahe kommt.

Die ersten Beschnupperungs-Proben fanden per Zoom statt – als es dann endlich wieder so weit war, sich persönlich treffen zu können, sei schnell eine "Magie" da gewesen. Diese will das Trio nun auch bei der ION entfachen. "Wir freuen uns auf die Marthakirche und werden den Raum nutzen, um die Lieder strahlen zu lassen", sagt Hempel. Zwischen den Stücken wird sie die Geschichte der Entstehung des Albums und der Songs erzählen, dazu gibt’s noch ein paar Zugaben.

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