Kommt man mit Intendant Moritz Puschke und Dramaturg Oliver Geisler ins Gespräch über das Internationale Festival für geistliche Musik in Nürnberg (ION), kommt man ins Philosophieren, driftet ab vom eigentlichen Gespräch über das Programm, sondern ist bald beim Wesentlichen.

Die beiden Musikenthusiasten sind vor fünf Jahren nicht angetreten, um dem traditionsreichsten Musikfestival Nürnbergs und seinen Fans noch ein paar weitere nette Jahre zu schenken. Sie wollen mehr: die ION als relevanten Motor für die Entwicklung der Musik in der Nürnberger Stadtgesellschaft vernetzen, mit Kulturschaffenden, Vertretern der Politik und Wirtschaft, Türöffner sein für den Nachwuchs.

Musikalische wie spirituelle Erfahrung

"Ich möchte für den Konzertbesucher der Möglichmacher für seine musikalische wie spirituelle Erfahrung sein. Wenn jemand glücklich aus der Kirche herausgeht, dann bin ich glücklich", sagt Puschke.

Das Motto "Halt" der diesjährigen ION bringt das auf den Punkt. Puschke schaffe dabei nur die Gelegenheiten - den Rahmen bilden die sakralen Bauwerke Nürnbergs mit ihrer jeweils so langen wie unterschiedlichen Geschichte und ihren individuellen Sounds.

Große Orchesterwerke wie Monteverdis Marienvesper (1. Juli in St. Lorenz) oder Mendelssohns "Elias" (24. Juni in St. Sebald) kommen in den beiden größten Kirchen Nürnbergs zur Geltung. Betörender A-cappella-Gesang wie der des Ensembles Sjaella, das am 24. Juni in St. Egidien solo und tags drauf zusammen mit der Jugendkantorei Nürnberg ebenfalls dort auftritt, klingt in der barockisierten, ältesten Pfarrkirche der Stadt am besten.

Die Akustik der vor wenigen Jahren nach dem verheerenden Brand von 2014 wieder eröffneten Marthakirche ist dagegen wie geschaffen für Überraschendes wie das Joni Project (30. Juni), bei dem Anne de Wolff, Iris Romen und Stefanie Hempel die Lieder des Albums "Blue" von Joni Mitchell interpretieren. In St. Egidien treten Metaklapa auf, die Iron-Maiden-Songs in kroatischem "Klapa"-Gesang, der zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe gehört, interpretieren.

Die heilige Musik

Puschke und Geisler gehen gerne an die Grenzen der Definition der "heiligen Musik", bestehen aber - trotz aller Leichtigkeit beim Zugang - auf die Ernsthaftigkeit der Umsetzung. Damit meinen sie die Haltung, mit der die Musikschaffenden an ihr Tun herangehen.

"Damit stehen wir in der Tradition des Festivals", meint Geisler und erklärt, dass allein in den ersten 25 Jahren des 1951 aus den Ruinen des zerbombten Nürnbergs als Internationale Orgelwoche Nürnberg - Musica Sacra (ION) entstandenen Musikfests über 40 Uraufführungen stattfanden. Mit Werken von Komponisten, die damals zur Avantgarde zählten und heute "klassisch" sind.

"Kirchengebäude verändern sich im Lauf der Jahrhunderte. Die Musik, die darin gespielt wird, ebenso", meint Geisler.

In der Musik jeder Kultur und jeder Generation spielten die Themen Glaube, Hoffnung und Liebe eine Rolle, meint Puschke. Das sei bei John Dowland im Mittelalter so gewesen, bei Bach in der Klassik, bei Brahms in der Romantik. Gleiches gelte in der Pop- und Rockmusik der vergangenen 50 Jahre, wie sie von Singer-Songwriterin Joni Mitchell oder den Metallern von Iron Maiden auch so unterschiedlich klingend geschrieben wurde.

Keine Unterscheidung in U- und E-Musik

Eine Unterscheidung von U- und E-Musik ist dem Intendanten der ION ohnehin zuwider. Dagegen sieht er eine Kontinuität in den Themen und der spirituellen Herangehensweise an die Musik. Oliver Geisler meint dazu:

"Wenn der Soundtrack des Lebens nicht auch im Gottesdienst erklingen kann, dann stimmt was nicht."

Puschke ergänzt, dass auch die Lieder Martin Luthers, die heute als ehernes protestantisches Kulturerbe gelten, zur Zeit ihrer Entstehung den Status christlicher Pop-Songs hatten, die auch auf der Straße gesungen wurden.

Pop-Kultur anno 2023 ist bei der 72. ION auch dabei: Wenn am 23. Juni Chorleiterin Friedhilde Trüün mit dem "SingBach"-Projekt das Musikfest gemeinsam mit rund 200 Schülerinnen und Schülern in St. Lorenz eröffnet, gibt es dort auch eine Station mit virtueller Realität. Hier kann man die 1774 abgebrannte Schlosskirche von Weimar noch einmal erleben, wie Johann Sebastian Bach sie von 1708 bis 1717 erlebt hat, als er dort wirkte.

Und die ION-Macher blicken jetzt schon auf das Jahr 2024. Dann dirigiert wieder Frieder Bernius, diesmal Johannes Brahms' "Deutsches Requiem". Und BAP-Chef Wolfgang Niedecken kommt mit einem Bob-Dylan-Programm.

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