Ein Sommertag im Juli 1942. Eine strahlende junge Frau hat ihre Arme ausgebreitet, in der rechten Hand hält sie eine weiße Blume. Die Jacke lässig umgehängt, balanciert sie auf der Grundmauer eines Zauns. Auf der anderen Seite stehen lachende junge Männer in Uniform. Es ist eine ausgelassene Stimmung.

Sophie Scholl mit (von links) Hubert Furtwängler (kein Widerstandskämpfer), Hans Scholl, Raymund Samiller und Alexander Schmorell.

Die Entstehung des Fotos

Das berühmte Bild zeigt eine Abschiedsszene. An jenem Sommertag verabschiedete Sophie Scholl am Münchner Ostbahnhof ihren Bruder Hans Scholl mit den Freunden Alexander Schmorell, Willi Graf und Hubert Furtwängler. Die Medizinstudenten brachen zu einem dreimonatigen Sanitätsdienst an die Ostfront auf. Ein anderes Bild der Serie zeigt Sophie Scholl mit ihrem Bruder Hans Scholl und Christoph Probst – alle drei mit sehr ernsten Gesichtern.

Die Aufnahmen des Medizinstudenten Jürgen Wittenstein vom 23. Juli 1942 gehören zu den wenigen Bildern, die mehrere Mitglieder der Weißen Rose zusammen zeigen. Wittenstein konnte an diesem Tag ausgiebig fotografieren, weil der Zug der Münchner Sanitätskompanie nicht freigegeben war und kriegswichtigeren Zügen den Vortritt lassen musste.

Die Bilder markieren außerdem einen wichtigen Moment in der Entwicklung der Weißen Rose. Durch die dreimonatige "Front-Famulatur" in Polen und Russland wurden Hans Scholl und Alexander Schmorell noch entschlossener in ihrer Haltung gegen das NS-Regime. Sie sahen das Leid im Warschauer Ghetto und die Gnadenlosigkeit des Kriegs an der Ostfront. In einem verschlüsselten Brief vom 17. August 1942 schrieb Hans Scholl, dass dieses Elend "auf alle einen sehr entschiedenen Eindruck gemacht" habe. Zurück in Deutschland im November 1942 verschärfte sich der Ton der Flugblätter. Nun ging es um eine "Widerstandsbewegung in Deutschland" und den "Kampf gegen die NSDAP".

Ein Zaun überdauert die Zeit

Nur Monate später waren die meisten der Abgebildeten nicht mehr am Leben. Doch der eiserne Zaun hat die Zeit überdauert. Angerostet, aber standhaft trennt er nördlich der Postfiliale die Orleansstraße vom Areal des ehemaligen Ostbahnhofs. Hier hat ein Autohändler seinen Platz gefunden, doch lange bleiben kann er nicht mehr. Auf der Brachfläche zwischen Ostbahnhof und Haidenauplatz baut die Münchner Immobilienfirma GVG bis 2030 die Orleanshöfe – insgesamt fünf Gebäudekomplexe mit Wohnungen, Läden und Büros. Der Zaun muss deshalb wohl weichen – erste Elemente wurden bereits im Zuge der DB-Baustelle am Haidenauplatz abgebaut und eingelagert.

Ein Stück Erinnerungskultur

Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung, hält es für undenkbar, dass der Zaun einfach verschwindet. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass zwei Elemente des Zauns im Münchner Stadtarchiv eingelagert werden. Und der Rest? Ihr gefällt die Vorstellung, dass Schulen, die nach Mitgliedern der Weißen Rose benannt wurden, Elemente des Zauns für ihre Erinnerungsarbeit verwenden können. Unabhängig davon wünscht sie sich zusammen mit vielen anderen, dass in den Orleanshöfen, die dort entstehen, ein Erinnerungsort eingerichtet wird. Der Zaun hat für sie in Verbindung mit den Fotos einen besonderen Wert, die Erinnerung weiterzutragen.

"In der Zusammenschau von Ort und Fotos wird die Erinnerung an die Weiße Rose mobilisiert und Empathie erzeugt",

sagt die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete. Die Bilder hätten ikonografischen Charakter:

"Es sind Meisterfotos, sie machen die Weiße Rose sichtbar."

In den Aufnahmen werde deutlich, dass Sophie Scholl in der Widerstandsgruppe eine besondere Stellung hatte. Sie hatte sich als selbstständige und verantwortungsbereite junge Frau im Widerstand eingebracht. Außerdem erinnern die Bilder an den Sanitätseinsatz an der Ostfront, den die Männer der Weißen Rose leisten mussten und der sie prägte.

Jörg Spengler (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Bezirksausschusses Haidhausen/Au, sieht derzeit gute Chancen für den Erhalt des Zauns. Der Geschichtslehrer an einer Realschule in Fürstenfeldbruck unterstützt die Idee, dass die übrigen rund 160 Zaunelemente an interessierte Bildungseinrichtungen und Schulen abgegeben werden. GVG-Geschäftsführer Thomas Schmid hat ihm versichert, dass die weitere Verwendung der Elemente "in enger Abstimmung mit und nach Maßgabe der befassten öffentlichen Stellen festgelegt wird". Interessenten gibt es bereits. Öffentlich bekannt ist die Anfrage des Hans-und-Sophie-Scholl-Gymnasiums in Ulm, die vom dortigen Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) persönlich unterstützt wird.

Das Bild zeigt die Gedenktafel der Münchner Wohnungsbaugenossenschaft Wogeno am Gebäude Orleansstraße 61 – geschmückt mit einer weißen Rose.

Werner Thiel kämpft seit fast 20 Jahren für den Erhalt des Zauns

Der ehemalige Münchner Werner Thiel (Greve) setzt sich seit 2003 für den Erhalt des Zauns ein. Auslöser war ein Treffen mit Jürgen Wittenstein. Thiel ist empört darüber, "dass der OB von München und die Gesamtheit der Stadträte nicht fähig und in der Lage sind, die 15 Meter Zaun, an denen die Fotos gemacht wurden, als Denkmal des deutschen Widerstands gegen Hitler zu erhalten.

"Ein größeres politischer Armutszeugnis kann man von der politischen Elite einer Landeshauptstadt wohl nicht erbringen",

sagte Thiel dem Bayerischen Rundfunk. Auch Thiel erhielt schon Anfragen von Schulen, sogar aus dem norddeutschen Raum. "Wenn erst die noch leben Zeugen dieser Zeit verstorben sind, wird man den Schaden der hier entsteht richtig bewerten können", sagt Thiel.

Der Bezirksausschuss befürwortet einen Erinnerungsort an der Orleansstraße in der Mitte des Areals. Dort sollen zwei Zaunelemente aufgestellt werden, flankiert von einer Stele mit den historischen Bildern und einem erklärenden Text. In den Aufnahmen von Mitgliedern der Weißen Rose am Zaun des Ostbahnhofs sieht Spengler etwas ganz Besonderes.

"Man sieht die jungen Menschen zum letzten Mal in einer Unbeschwertheit."

Danach wurde es ernst.