Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die Nürnberger ein Problem: Einer Umfrage zufolge wurde die Stadt mit Attributen wie Reichsparteitage, Nürnberger Prozesse, Meistersinger und Lebkuchen assoziiert. "An Dürer dachte keiner", weiß Stadtführerin Susanne Rieger. Selbst den Nürnbergern fielen zu dem größten Sohn der Stadt nur die "betenden Hände" und der "Hase" ein.

Provokante Werbekampagne 1971 zum 500. Dürer-Jahr

Deshalb, so berichtet Rieger im Schatten des Albrecht-Dürer-Hauses am Tiergärtnertorplatz, wurden zur Vorbereitung des 500. Dürer-Jahres zwei provokante Ansätze gewählt: Deutschlands erster Hippie war ein Nürnberger. Und seine gemalte Eva für das Jahr 1517 war ganz schön sexy.

Historikerin Rieger hat eigens eine Altstadttour unter der Überschrift "Hippie - Sexy: Dürer 71" konzipiert. Darin berichtet sie über die Nürnberger Macher und ihre Ziele und über den bundesweiten Aufschrei, den die provokante Werbekampagne auslöste. "Skandalös" und "Dürer-unwürdig" war ein häufiger Tenor aus der Bevölkerung.

Zum Kulturfestival wurden die Kriegsspuren in Nürnberg beseitigt

Stadt und Kuratorium ließen sich aber nicht beirren. Immerhin war es für die Frankenmetropole das erste große Kulturfestival nach dem Zweiten Weltkrieg. Entsprechend wurde die Gelegenheit genutzt, manche Kriegsspuren in Form von Baulücken zu beseitigen und die "Stadt auf Hochglanz zu polieren".

So wurde das Wohnhaus Dürers saniert und bekam einen Erweiterungsbau. Das Stadtmuseum Fembohaus, das einzige nicht zerstörte Kaufmannshaus der Spätrenaissance, wurde saniert. Außerdem hob die Stadt als eine Hochburg der Spielwarenfirmen und Heimat der Spielwarenmesse das heute weltberühmte Spielzeugmuseum aus der Taufe.

Multimediaschau "Noricama" rief gespaltene Reaktionen hervor

Experimentell zeigten sich die Macher des Jubiläums mit ihrer Multimediaschau "Noricama". Die technische Verknüpfung von Bild, Text und Ton war damals Neuland. Der Prager Bühnenbildner Josef Svoboda gestaltete die "Noricama", gezeigt wurden Impressionen Nürnberger Geschichte im Zeitraffer-Tempo.

Auch wenn die Schau in den Folgejahren immer wieder gezeigt wurde, manch ein Nürnberger kam mit der Inszenierung nicht zurecht, berichtet Rieger. Da war auch mal von "kultureller Geisterbahn", "willkürlichen Themen" oder "chaotischem Durcheinander" die Rede. Selbst der Eintrittspreis von zwei Mark - eine Maß Bier kostete zu dieser Zeit drei Mark - war Stein des Anstoßes.

Bürger konnten sich aktiv an Gestaltung von Kultur beteiligen

Gleichwohl bemühte sich die Kulturpolitik der Stadt, gemäß eines seinerzeit neuen Kulturbegriffs, die Bürger "partizipativ" einzubinden. Sie konnten bei Aktionsflächen mitbestimmen, sollten Kultur traditionsbewusst wahrnehmen, aber sich gleichzeitig von der Vergangenheit absetzen. "Das war damals eine moderne Botschaft", unterstreicht Rieger.

Zur Beteiligung der Bürger gehörte es auch, dem Künstler Karl Prantl bei der Herstellung seines Werks "Stein am Hauptmarkt in Nürnberg" (auch: "Kraterlandschaft") aus schwarzem schwedischem Granit über die Schulter zu schauen. Dahinter stand Prantls neuartige Idee, in einem sogenannten "Symposium Urbanum" Kunst aus den Museen in den öffentlichen Raum zu holen.

Karl Prantls Werk `Stein am Hauptmarkt in Nürnberg´ (auch: `Kraterlandschaft´) aus schwarzem schwedischem Granit entstand im Dürer-Jahr 1971 Rahmen des `Symposium Urbanum´ im öffentlichen Raum auf dem Hauptmarkt. Heute wird es eher als Sitzfläche genutzt.

Dürer-Studio im Germanischen Nationalmuseum lädt zum Mitmachen ein

Ein ebenfalls neuer kunstpädagogischer Ansatz war das Dürer-Studio im Germanischen Nationalmuseum. Es wollte "Kindern und dem Kind in Ihnen" Dürer spielerisch erlebbar machen.

Statt einem Schild "Berühren verboten" war ausdrücklich Mitmachen etwa beim Holzschnittdruck gefragt. Unter der Überschrift "Sehen - Verstehen - Erleben" fanden sich auch Fotos, die als Detailaufnahmen Aspekte von Dürers Arbeiten veranschaulichten.

Rieger führt mit Geschichten und Anekdoten durch die Altstadt

Rieger führt quer durch die Altstadt und hat an vielen Ecken und Stationen Geschichten und Anekdoten aus dem Jahr 1971 parat. Etwa vom Nürnberger Künstler Toni Burghardt, der zwar ein Reisestipendium bekam, aber die Stadt nicht verließ.

Oder sie erzählt von der nicht offiziellen Ausstellung "Dürer-Souvenirs", die die betenden Hände als Nachttischlampe oder die Albrecht-Dürer-Limo präsentierten.