Das Mahnmal gleicht einem großen, durchbrochenen Wetzstein: Bei jedem Besuch auf dem Friedhof streicht die Witwe mit der Hand über den Grabstein ihres verstorbenen Mannes. "Sie hat mir erzählt, dass der Stein die gleiche Rundung wie der Bauch ihres Mannes hat", sagt Dominik Schleicher und lächelt zufrieden. "Wenn jemand so etwas für sich in dem Grabstein findet, dann ist das perfekt", sagt der Steinmetz und Künstler aus dem oberpfälzischen Fensterbach im Kreis Schwandorf.

In der Auseinandersetzung mit der gestorbenen Person den passenden Grabstein finden

Im schlechtesten Fall kommt ein Kunde in Schleichers Werkstatt, deutet auf einen Stein und sagt, "der gefällt mir, den nehme ich". Dem Künstler, der eigentlich Maurermeister ist und mit seinem Vater ein Baugeschäft betreibt, fehlt da das Wesentliche: die Auseinandersetzung mit der Person, die gestorben ist. Bei einem Gespräch mit den Angehörigen, manchmal auch mit den noch lebenden Grabkäufern, versucht der 39-Jährige herauszubekommen, wie er in einem Stein ein Leben widerspiegeln kann. Er fordert die Trauernden auf, die einen Lieben verloren haben, unvergessliche Momente zu schildern und zu beschreiben, was am Verstorbenen schön war.

Ein Grabstein
Einer der Grabsteine, die Dominik Schleicher geschaffen hat. Der Grabstein trägt den Namen "Wasser". Das Metallband und der Stein dahinter sollen auch den Charakter des verstorbenen Ehemanns symbolisieren. "Wie das Wasser - mal flach, mal aufbrausend - soll er gewesen sein".

Mit Monika Neubauer aus Leinburg (Kreis Nürnberger Land) hat Schleicher das Familiengrab neu entwickelt, als deren Vater gestorben war. Der rechteckige schwarze Granitstein sollte weg, fand Neubauer. Ihre Mutter hatte da Bedenken. Also hat Schleicher einen Bohrkern aus dem alten Granit entnommen und auf seiner Vorderseite eine Friedenstaube gehauen. Dieser Zylinder sitzt nun in einem Kreuz aus Jura-Sandstein, das ohne Sockel direkt aus der Erde herauswächst. Monika Neubauer betrachtet das Werk im Licht der untergehenden Sonne. Es symbolisiert für sie, dass ihr Vater im Frieden gegangen ist - und dessen tief verwurzelten Glauben. "Für ihn war Jesus Christus das Zentrum", erinnert sie sich an den Verstorbenen.

Der umgangssprachlich "Gundelsheimer Marmor" genannte Stein aus der Nähe von Treuchtlingen ist Schleichers Lieblingsmaterial - auch weil er ein regionales Produkt ist. Jeder Stein ist ein Unikat mit spezieller Maserung. Nach ein paar Jahren hängen an dem Stein Moosfahnen, seine Strahlkraft lässt nach - "trotzdem ist er der Menschen würdig, denn auch die bekommen mit der Zeit Wunden", findet Schleicher.

Ganz neu sieht noch jener Grabstein aus, den er am großen Fenster in seiner Werkstatt stehen hat. Die Auftraggeber, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden, sind noch nicht tot. Sie haben die Inschrift gewählt: "Krieg und Vertreibung nahmen die Heimat, aber nicht die Hoffnung." Dazu haben sie eine Friedenstaube einhauen lassen. Niedriger steht davor ein Grabmal für ein Ehepaar, das Schleicher aus zwei verschiedenen Steinarten herausgeschliffen und poliert hat. Die beiden Teile scheinen sich in den Armen zu liegen und bilden eine Einheit. Der rötliche Sandstein ist der Ehemann, ein gebürtiger Nürnberger, der "klare Kante" zeigt, der helle etwas rundlichere Stein ist seiner Ehefrau gewidmet. Mithilfe der Kinder der beiden Verstorbenen hat der Steinkünstler dies so entworfen.

Dominik Schleicher ist Steinmetz, Maurermeister und Künstler

"Man muss sensibel sein",

 sagt Schleicher. Als unabhängiger Künstler könne man provozieren, als Steinmetz für Grabsteine, wolle er sich zusammen mit den Angehörigen an das Objekt herantasten. Oft hat er dabei schon den Satz sagen müssen: "Ich täte das so nicht machen." Gerade bei Eltern, deren Kind gestorben ist, muss er manches Mal Kitsch vermeiden, erzählt er. Vor dem Stern, den sich trauernde Eltern oft als Erinnerung wünschen, schreckt er zurück. Lieber rät er zu einer Stele, "die sich schützend vornüberbeugt".

Kunst und die christliche Symbolik und Formensprache haben Dominik Schleicher, der in seiner katholischen Gemeinde auch der Kirchenpfleger ist, schon immer interessiert; er hat auch mit einem Bildhauer-Studium geliebäugelt, es dann aber nach einem Infotag an der Kunstakademie doch sein lassen. Es ist ihm dort "zu g'schlampert und provisorisch" zugegangen. So ist er als Maurermeister im väterlichen Betrieb geblieben - und ist jetzt eben Künstler und Steinmetz nebenbei. Bei seinem Grabsteinverkauf käme ohnehin kein Gewinn heraus, räumt er ein.

Aber die Arbeit macht ihn zufrieden, wenn das Ergebnis stimmig ist: Eine Witwe aus Lauf an der Pegnitz (Kreis Nürnberger Land) hat das ausgeschnittene Herz aus einem Metallband - das über dem Grab ihres Mannes angebracht ist - bei sich zu Hause. Damit erinnert sie sich an die kleinen Nachrichtenzettelchen, die ihr Mann ihr hinlegte und immer mit einem kleinen, kritzeligen Herzchen unterschrieb. Das Gegenstück aber, das Metallband und der Stein dahinter, sollen auch den Charakter des Ehemanns symbolisieren. "Wie das Wasser - mal flach, mal aufbrausend - soll er gewesen sein", erzählt der Steinmetz.