Ihr im Februar erschienenes Album "Junction 55" spielt auf Ihre seit 55 Jahren dauernde Karriere an. Wie lange standen Sie einst an jener Kreuzung, an der die Entscheidung fiel, Profi-Musiker zu werden?
Chris Norman: Das ist einfach so geschehen. Zuerst habe ich Musik rein aus Spaß gemacht und mir nie darüber Gedanken gemacht, einmal ein Profi zu werden. Nachdem ich mit meiner Band aber ungefähr zwei Jahre lang regelmäßig gespielt hatte, haben wir uns entschieden, das ab sofort in Vollzeit zu tun. Aber wir sind damals mehr oder weniger hineingefallen in diese Karriere, haben nie so viel nachgedacht.
Welche Kreuzungen gab es, an denen Sie besser die nächste Ausfahrt genommen hätten?
Da gab es mehrere Kreuzungen, an denen ich die Wahl einer Route hatte und aus heutiger Sicht vielleicht anders wählen würde. Als beispielsweise "Stumblin In" ein großer Hit in den USA war, sollte ich dort rüber gehen und Promo machen. Ich war aber mit Smokie beschäftigt und habe mich geweigert. Heute denke ich, vielleicht hätte es meiner Solokarriere besser getan, wäre ich in die Staaten gegangen.
Ihr neues Album beinhaltet Songs, die auch ohne Weiteres auf einem Smokie-Album aus den 1970ern hätten erscheinen können. Haben Sie Ihren Sound gefunden?
Ich denke, es gibt gewisse Präferenzen, was Songschreiben und Arrangement angeht, die mit der Ära zu tun haben, in der ich aufgewachsen bin. Beispielsweise, was den Klang und das Zusammenspiel von Bass und Gitarre angeht. Die Lieder sind dann mal rockiger, mal melancholischer. Jedoch denke ich nicht allzu sehr über den Sound nach, sondern über den Song und wie dieser wohl am besten klingt.
In "Crazy" beklagen Sie gesellschaftliche Zustände. Was vermissen Sie gegenüber den 60ern oder 70ern?
Diese Zeiten waren irgendwie einfacher, es gab noch kein Internet und keine sozialen Medien. Gerade das hat vieles geändert. Die Menschen hatten früher noch klarere Einstellungen, änderten nicht so oft ihre Ansichten.
Gerade in Ihrer Heimat Großbritannien war in den vergangenen Jahren viel Aufruhr – erst der Brexit, jetzt Ausschreitungen in Southport. Wie stehen Sie diesen Ereignissen gegenüber?
Proteste und Aufruhr hat es schon früher gegeben. In den 1960ern gingen die Menschen gegen Atomwaffen auf die Straße. Heute sind die Protestler aber gewalttätiger und machen sich weniger Gedanken über die Konsequenzen. Was den Brexit angeht: Da hatten sich viele Leute mehr davon erhofft, die heute wütend werden, wenn man sie darauf anspricht. Was die Attacken in Southport angeht: Da gibt es wiederum Menschen, die nur auf einen Grund gewartet haben, um aggressiv zu werden. Die denken aber nicht mehr über die Tragödie nach, die hinter dem ganzen steht. Aber eine solche Minderheit entfacht dann Wut bei immer mehr anderen Leuten. An sich glaube ich aber, die Briten haben sich nicht großartig geändert. Es blickt nur jeder auf die Aufrührer, was ich furchtbar finde.
Ihre Songs werden zahlreich gecovert, aber Sänger beißen sich die Zähne daran aus, wenn sie Ihre raue Stimme imitieren wollen. Werden Sie niemals heißer?
Ich klinge so, seit ich etwa Mitte 20 bin. Das kommt vom intensiven Spielen in den Clubs und Pubs, wo ich mich nie geschont habe und hohe Sachen wie Little Richard gesungen habe. Aber ich komme gut klar mit meinem Gesang, habe natürlich auch mal einen Tag, an dem ich müde oder überstrapaziert bin. Natürlich singe ich auch einfach viele Stücke, zu denen eine rauchige Stimme gut passt, dann ist das also etwas ganz Normales.
Sie engagieren sich für das Kinderhospiz Mitteldeutschland. Warum ausgerechnet für diesen guten Zweck, warum gerade in Deutschland?
Kinder sind die verwundbarsten Menschen, die es gibt. Und wenn sie krank werden oder gar sterben, ist es einfach eine gute Sache, einen Ort zu haben, wo sie mit ihren Familien sein können. Warum in Deutschland? Ich wurde gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, hier Botschafter zu werden. Und ich habe Ja gesagt.
Im Hospiz stellt sich oft die Frage nach dem, was nach dem Tod kommt. Oder auch, ob es eine höhere Macht gibt, die einen zu Lebzeiten oder danach begleitet. Wie stehen Sie diesen Fragen gegenüber?
Das ist die Millionen-Dollar-Frage. Ich habe keinen starken religiösen Glauben. Ich habe aber eine Hoffnung in mir, dass es etwas gibt, wohin wir Menschen nach dem Tod gelangen. Was und wo das ist, da haben viele Leute ihre Ideen, die mich bisher alle nicht überzeugt haben. George Harrison war so einer, der meinte genau zu wissen, wie es nach dem Leben weitergeht. Ich wünschte, ich hätte auch eine solche Zuversicht.
Mit Suzi Quatro haben Sie den Welthit "Stumblin in" gelandet, der heute wieder durch eine Neuauflage der jungen Generation bekannt ist. Wie kommen Sie in Kontakt zu jungen Fans?
Ich bin da ganz auf die Promotion meiner Alben und Touren angewiesen. Wenn ich Songs schreibe oder aufnehme, denke ich nicht so sehr an die Leute, die sie hören, sondern ich singe die Songs, die in mir sind.
In Würzburg spielen Sie am 2. November mit der Band Münchener Freiheit, quasi die bayerischen Smokie der 1980er-Jahre. Was halten Sie von deren Songs?
Ich habe die Band noch nie mit Smokie verglichen. Münchener Freiheit habe ich schon in verschiedenen Kontexten gesehen. Zuerst im Fernsehen, und wir haben uns schon öfters getroffen. Ich weiß nicht genau, was sie heute machen, aber in den 80ern haben sie eine Menge gute Platten gemacht. In den späten 80ern haben sie ja sogar auf Englisch gesungen und auch in meiner Heimat Hits gelandet.
Mitreißender Auftritt in Würzburg
Zusammen mit der "Münchner Freiheit" war Chris Norman am 2. November in der Würzburger tectake-Arena zu Gast. Die Fans erlebten eine rund zweistündige Show eines bestens aufgelegten Musikers, der mit einem hohen Maß an Lockerheit und hin und wieder typisch britischem Humor auftrat, sich dabei selbst gern aufs Korn nahm und sich als einfühlsamer Bandleader zeigte. Ohne große Gesten und selbstinszenatorische Gimmicks spielte Norman über 20 Songs aus seiner mittlerweile rund 50 Jahre dauernden Karriere. Darunter freilich viele Smokie-Stücke, die natürlich am meisten abgefeiert wurden. Die aktuellen Songs fielen dagegen aber keineswegs ab. Chris Norman zeigte sich als Altmeister der 3.30-Minuten-langen Pop-Epen mit einfühlsamen Versen und den Gehörgang schmeichelnden Refrains.
Während viele Interpreten seines Alters ihre Hits aus jungen Jahren mittlerweile einige Töne tiefer spielen, um die komplette Breite noch abdecken zu können, gilt das nicht für Chris Norman. Sein Reibeisenorgan ist immer noch intonationssicher und hat keinerlei Alterserscheinungen erlitten. Zusammen mit einer stimmig aufspielenden Begleitband, die den typischen Satzgesang, wie er noch aus seligen 1970er-Zeiten bekannt und beliebt war, astrein darbot und so die Songs veredelte kamen die Fans voll auf ihre Kosten.
Und Chris Norman weiß auch immer noch zu überraschen. Der Dieter-Bohlen-Schmachtfetzen "Midnight Lady", mit dem Norman 1986 ein vor allem in Deutschland gefeiertes Comeback erlebte, wurde vom Synthie-Gewand befreit und als heavy Rocknummer dargeboten. Auch klassische Smokie-Songs wie das schon bei seinem Erscheinen im Jahr 1977 über zehn Jahre alte Cover des Rocksongs "Needles and Pins" wurden kräftig mit verzerrter Gitarre aufgehübscht. Und mit dem Simon & Garfunkel-Stück "The Boxer" verneigte sich Norman vor einem der größten Pop-Duos aller Zeiten.
Fazit: Mit Chris Norman ist noch lange zu rechnen.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden