Kirchengebäude sind ein wichtiges Zeugnis des Kulturerbes in Europa. Die katholische und evangelische Kirche sehen sich zunehmend nicht mehr in der Lage, die Gebäude zu erhalten. Sie werden entweiht, veräußert oder abgerissen. 2024 hat sich eine Initiative gegründet, die sich für den Erhalt und die Umnutzung von Kirchen einsetzt.

Kirchen sind zu wertvoll, um sie aufzugeben, so der Tenor. Mit dem Kirchenmanifest soll das Thema Umnutzung von Kirchen in die öffentliche Debatte eingebracht werden.

Die Theologin und Kunsthistorikerin Karin Berkemann ist eine der Mitgründerin der Initiative. Im Sonntags-Interview erklärt sie, was das Kirchenmanifest will - und wie es nach einem Jahr und über 20.000 Unterschriften weitergehen soll.

 

Das Kirchenmanifest wurde 2024 gestartet - und hat jetzt über 22.000 Stimmen. Hätten Sie  das erwartet?

Berkemann: Als wir das Kirchenmanifest vor etwa einem Jahr gestartet haben, hätten wir uns nicht träumen lassen, dass wir mal bei 22.000 Unterschriften landen. Wir dachten, zwei 3000 wäre schon eine Superzahl. Aber es ist am Anfang sehr schnell in eine hohe Zahl gegangen und hat uns den Schub gegeben, dann auch in Gespräche gehen zu können und medial Aufmerksamkeit für das Thema wecken zu können. 

Was möchten Sie mit dem Kirchenmanifest erreichen?

Berkemann: Kirchen sind zu wichtig als öffentliche Räume, als dass nur eine kleine gesellschaftliche Gruppe über die Zukunft dieser Räume entscheidet. Diese Gebäude sind über Jahrzehnte, Jahrhunderte von der Öffentlichkeit getragen, gestaltet, finanziert worden. Deshalb müssen alle mitreden, damit diese Räume auch in Zukunft allen zugutekommen können. 

Was fordern Sie von den Kirchen?

Berkemann: Wir gehen davon aus, dass es in Deutschland etwa 40 bis 45.000 evangelische und katholische Gemeindekirchen gibt und ein Drittel bis die Hälfte, also so um die 20.000 dieser Gebäude in den nächsten Jahren infrage gestellt werden. Ich hoffe, dass Kirche dann transparent damit umgeht, wie sie für diese Gebäude plant, offen und proaktiv auf Leute zugeht und sagt: Wie können wir dieses Problem lösen? Alleine schaffen wir es nicht. 

Welche Form der Umnutzung schätzen Sie besonders?

Berkemann: Es gibt für mich nicht diese eine ideale Lösung. Was ich mag, sind Lösungen, die man vor Ort entwickelt, probiert, sich vortastet, weitergeht und dann das mitnimmt, was trägt. Also ausprobieren. Im Idealfall eine öffentliche Nutzung, die der Allgemeinheit zugutekommt, Menschen zusammenbringt und vielleicht auch einen geistlichen Kern mitträgt. 

Wie geht es jetzt weiter mit dem Manifest?

Berkemann: Als Nächstes brauchen wir konkrete Lösungen für regionale Stiftungs- oder Trägerschaftskonzepte. Da müssen wir dranbleiben. Wir brauchen den engeren Kontakt zur Politik, um in den Strukturen von Bauordnungen und anderen Gesetzen neue Möglichkeiten zu schaffen. Und dann müssen wir weiter laut sein können, um gute, leise Gespräche führen zu können. 

Welchen Tipp geben Sie Gemeinden?

Berkemann: Hinterfragt den Zeitdruck, der entsteht. Schaut genau hin: Ist der Zeitdruck real oder ist er gemacht? Schaut vor Ort, so früh wie ihr könnt. Was wird gebraucht? Geht auf die Kommune und auf externe Gruppen zu. Und schaut: Passt das zusammen? Geht diesen Weg bewusst und langsam. Denn was immer mit dem Gebäude passiert, es wird auf Dauer mit euch verbunden bleiben. Das heißt, diese Nabelschnur werdet ihr nicht durchtrennen können die nächsten 20 Jahre. Geht langsam. Überlegt genau. 

Ihre persönliche Botschaft?

Berkemann: Kirchengebäude sind zu schön, zu wertvolle öffentliche Räume, um sie abzureißen. Anstelle von Abriss fällt uns mit Sicherheit etwas Neues und Besseres ein, wenn wir vor Ort schauen, was gebarucht wird.  Denn die Kirchen zu verlieren wäre schade für alle Beteiligten.

Kirchenmanifest - Was steht drin?

Kirchen und ihre Ausstattungen gehören zu den wichtigsten Zeugnissen des Kulturerbes in Europa. Doch die christlichen Gemeinschaften sehen sich zunehmend nicht mehr in der Lage, diesen wertvollen Bestand zu erhalten. Immer weniger Gläubige nutzen die Räume, die Kirchensteuereinnahmen sinken, immer mehr Bauten werden außer Gebrauch gestellt oder gar abgerissen. Kirchenräume sind jedoch Common Spaces – viele Menschen haben oft über Jahrhunderte zu diesem Gemeingut beigetragen. Wer diese Bauten heute allein privatwirtschaftlich als Immobilien betrachtet, beraubt die Communitas. Staat und Gesellschaft können und dürfen sich ihrer historisch begründeten Verantwortung für dieses kulturelle Erbe nicht entziehen. Deshalb rufen wir dazu auf, der neuen Lage mit neuen Formen der Trägerschaft zu begegnen: mit einer Stiftung oder Stiftungslandschaft für Kirchenbauten und deren Ausstattungen. Die Themen des Manifestes:

  • Kirchenbauten fordern Teilhabe 
  • Kirchenbauten sind radikal öffentliche Orte 
  • Kirchenbauten sind nachhaltiges Kulturerbe 
  • Kirchenausstattungen gehören zum Erbe Europas 
  • Kirchenbauten sind Dritte und Vierte Orte 
  • Kirchenbauten brauchen eine neue Trägerschaft
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