Der zwölfjährige Yusuf führt mit seiner Familie ein einfaches Leben im ländlichen Sultanat Sansibar, dem heutigen Tansania. Weil sich der Vater mit seinem Hotel verschuldet, wird Yusuf einem arabischen Händler übergeben, den er als Onkel Aziz kennengelernt hatte. Er zieht mit ihm in eine Stadt an der Küste und arbeitet dort in seinem Krämerladen. So wächst er zwischen afrikanischen Muslimen, christlichen Missionaren und indischen Geldverleihern auf und unterstützt auch bei der Pflege eines paradiesisch anmutenden Gartens. 

Junge erlebt Ende der Karawanenkultur

Doch vor dem Paradies lauert die Hölle. Als jungen Mann nimmt ihn der arabische Kaufmann auf eine Karawanenreise ins Landesinnere mit, die Gefahr, Krankheit und Tod mit sich bringt. Yusuf erlebt das Ende der klassischen Karawanenkultur, sie wird überfallen, ausgeraubt und erpresst. 

Doch durch das Reisen lernt Yusuf auch das Aufeinandertreffen verschiedener religiöser Vorstellungen kennen, erfährt von der menschenverachtenden Rücksichtslosigkeit der deutschen Kolonialisierung und dem Rassismus aller Bevölkerungsgruppen. Gerade noch mit dem Leben davongekommen, kehr er wieder in das Küstenstädtchen zurück. 

Und verliebt sich kopfüber in ein Mädchen, das in dem Haus mit dem paradiesischen Garten lebt. Dort soll er sich eigentlich nur um die Pflanzen kümmern, lässt sich aber verführen – trotz aller Warnungen. Und wird erwischt. Zwar belegt sein zerrissenes T-Shirt seine Unschuld, doch er muss einen Ausweg finden… 

Sansibar zwischen Kolonisation und komplexer Gesellschaft

"Das verlorene Paradies" ist ein Entwicklungsroman, angelehnt an die Geschichte des Propheten Yusuf im Koran (Joseph in der Bibel). Auch hier ist der Protagonist wunderschön und freimütig. Er muss Zudringlichkeiten von Männern als auch von Frauen abwehren und versucht trotz allem Leid, ein guter Mensch zu bleiben. 

Der Autor Abdulrazak Gurnah selber wurde 1948 im Sultanat Sansibar geboren, seine Muttersprache ist Swahili. Im Jahr 2021 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet und hat bislang zehn Romane veröffentlicht, darunter "Paradise", das seltsamerweise in Deutschland unter dem Titel "Das verlorene Paradies" erschien. Gurnah kam mit 20 Jahren als Flüchtling nach Großbritannien und ist Professor emeritus für englische und postkoloniale Literatur an der University of Kent. Er lebt in Canterbury. 

Sein Roman beschreibt das Zusammenleben der verschiedenen Menschen im damaligen Sansibar auf eine faszinierend lebendige und leichte Art.

Sein Blick auf Yusuf ist gütig, die Erzählung von einem feinen Gespür für Nuancen durchzogen. Dabei gelingt es ihm, die Komplexität der Gesellschaft und ihren Umbruch ohne plumpen Exotismus einzufangen. "Das verlorene Paradies" gibt Einblicke in die Wahrnehmung der Kolonisatoren durch die Kolonisierten. Gurnah bedient sich meisterlich beim Koran, der Bibel, bei Shakespeare und "Tausendundeine Nacht" – was diesen Roman zu einer faszinierenden und spannenden Reise in eine vergangene Welt macht. 

"Das verlorene Paradies" von Abdulrazak Gurnah (2021): 336 Seiten, Penguin Verlag, 25,- Euro.

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