Weihnachtszeit ist Lesezeit! Deshalb haben die Redakteurinnen und Redakteure von Sonntagsblatt ihre Lieblingsbücher herausgesucht. Hier kommen die Buchtipps.
Alex Rühle: Europa
Vier Monate ist der Journalist Alex Rühle mit dem Zug durch 24 Länder gereist, um herauszufinden, wie es um Europa steht. Er war in abgelegenen Dörfern im süditalienischen Kalabrien und in der Stadt Narva an der estnisch-russischen Grenze und sprach mit Politikerinnen und Wissenschaftlern, Bürgermeister und Künstlerinnen, Aktivistinnen oder Autoren.
Als er sich Anfang 2022 auf den Weg macht, ahnt er noch nicht, dass sich die Weltlage so dramatisch ändern wird. Mit dem Beginn des Krieges bekommen die Gespräche über Grenzen und Nato-Beschlüsse, Beratungen in Brüssel und Politikgeschichte eine ganz neue Dimension. Europa, das ist hier und jetzt, und gar nicht so abstrakt und fern, wie wir es meinen.
Alex Rühle nimmt uns in seinem Europa-Buch mit seinen hinreißenden Schilderungen mit auf die Reise, und selten hatte ich das Gefühl, Europa so nahe zu sein - fast fühle ich mich, als säße ich neben ihm oder stiefelte mit ihm durch die Lande, so lebendig schildert er die Menschen und Landschaften, die kleinen und die großen Momente dieser Reise. Ich mag das Buch kaum aus den Händen legen, weil ich von meinem Sofa aus den Blick so weiten kann. Am Ende bleibt die Überzeugung, dass wir zwar vor lauter Problemen den Überblick zu verlieren drohen, doch mehr denn je für einen Zusammenhalt kämpfen sollten. Denn: Es gibt keine Alternative zu Europa.
Alex Rühle (2022): Europa – wo bist du? Unterwegs in einem aufgewühlten Kontinent. München: dtv. 416 Seiten. 25 Euro. ISBN: 978-3-423-28316-8.
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Isabel Allende: Ein unvergänglicher Sommer
Auch wenn es der Titel anders vermuten lässt, spielt der Roman im unter einem Schneesturm versinkenden Brooklyn. Dieser bringt unerwartet drei Menschen zusammen: Evelyn, Richard und Lucía. Das Trio hat kein geringeres Problem als das Wegschaffen einer Leiche. Unterschiedlicher könnten die Charaktere kaum sein: Richard ist ein mittlerweile trockener Professor, der Teile seines Lebens in Brasilien verbracht hat. Evelyn arbeitet als Kindermädchen, stammt aus Guatemala und ist illegal in den USA, Lucía stammt eigentlich aus Chile und ist Richards Untermieterin.
Isabel Allende webt die Geschichte der Protagonist*innen und die Geschichte südamerikanischer Länder ineinander. Der Geschichte der beiden Frauen kommt ein besonderer Stellenwert zu. Evelyns Weg von Guatemala über die Grenze nach Mexico und schließlich die illegale Einreise in die USA, zeigt, welche Strapazen Menschen durchmachen, die aus ihrer Heimat fliehen. In ihrem Heimatland regierten Gangs, Korruption und Verbrechen die Straßen und das Leben. Das Regime von Augusto Pinochet bestimmte für eine gewisse Zeit das Leben von Lucía. Zwischen 1973 und 1990 regierte Pinochet Chile als Militärdiktator. Alle Figuren sind zu Beginn der Geschichte verschlossen, öffnen sich aber nach und nach. Deren Lebensgeschichten entfalten sich als Rückschauen vor der Leserin.
Isabel Allende vermischt historische Geschehnisse mit fiktionalen Figuren und so ist "Ein unvergänglicher Sommer" eine Mischung aus Krimi, historischem Roman und Liebesgeschichte. Auf nur 350 Seiten ist die Geschichte dicht erzählt und lässt Bilder im Kopf entstehen, die lange nicht loslassen.
Isabel Allende (2018): Ein unvergänglicher Sommer. Suhrkamp. 350 Seiten. 24 Euro. ISBN: 978-3518428306.
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James McBride: Der heilige King Kong
Brooklyn, New York City. Wir schreiben das Jahr 1969. Der 71-jährige Diakon Cuffy Lampkin, bekannt als "King Kong", schießt am hellichten Tag dem örtlichen Drogendealer Deems (19) ins Gesicht. So beginnt "Der heilige King Kong" (im Original einfach Dekan King Kong) – und im folgenden erfahren wir nicht nur, wie der friedfertige King Kong zu so einer Gewalttat kommt, sondern auch jede Menge über das Brooklyn der späten Sechziger. Dort nämlich liegt die kleine Baptistengemeinde "Five Ends", in der die Handlung sich größtenteils abspielt.
James McBride ist Autor, Musiker, Drehbuchschreiber und Journalist. Weltberühmt wurde er durch seinen autobiografischen Roman "Die Farbe von Wasser". In "Der heilige King Kong" zeichnet er den Mikrokosmos eines sozialen Brennpunkts, wie Menschen aus gutbürgerlichen Vierteln das nennen: Armut, Arbeitslosigkeit, Rassismus, Alkoholismus, Korruption und Kriminalität bestimmen das tägliche Leben.
McBride schildert das alles anschaulich und ohne Beschönigung, und trotzdem ist das Buch keineswegs düster. Im Gegenteil, "Der heilige King Kong" ist so witzig, unterhaltsam und mit einem wachen Blick für die Schönheit im Chaos geschrieben, dass es einen direkt hineinzieht. Wie die Menschen trotz bedrückender sozialer Umständen und menschenfeindlicher Strukturen Raum für Menschlichkeit, für Solidarität und Freundschaft schaffen, macht nicht nur in der Vorweihnachtszeit gute Laune.
James McBride (2021): Der heilige King Kong, Btb, 448 Seiten, 22 Euro. ISBN: 978-3442759248.
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Elisabeth Herrmann: Der Teepalast
Die Protagonistin Lene Vosskamp wächst 1834 in einem kleinen Dorf in Ostfriesland in bitterer Armut auf, eine Perspektive für die Zukunft scheint der jungen Tochter eines Fischers nicht gegönnt. Gleichzeitig träumt sie davon, als erste Frau in den Handel mit Teepflanzen aus Asien einzusteigen sowie einen Teepalast in ihrer Heimat zu errichten. Natürlich gelingt es ihr.
Der historische Roman erzählt ihre Geschichte auf dem Weg zum Erfolg so fesselnd wie überzeugend und die Autorin Elisabeth Herrmann beschreibt immer wieder eindringlich, detailgetreu die Aussichtslosigkeit, mit der bestimmte Gesellschaftsschichten Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa konfrontiert waren. Parallel begeistert das Buch mit historisch präzisen Einblicken in die unbekannten und faszinierenden Welten des Teehandels, der Seefahrt sowie die Abgründe der Kolonialisierung. Hermann macht es mit ihrem Roman möglich, dem Alltag für ein paar Lesestunden zu entfliehen und in eine faszinierende neue Welt einzutauchen.
Elisabeth Herrmann (2021): Der Teepalast. München: Goldmann Verlag. 656 Seiten. 12 Euro. ISBN: 978-3-442-49211-4.
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Luna Al-Mousli: Um mich herum Geschichten
Es ist der Perspektivwechsel, der "Um mich herum Geschichten" so außergewöhnlich macht. Ihre Geschichten erzählen nämlich nicht die Protagonist*innen selbst, sondern Gegenstände, die eine besondere Rolle in ihren Leben spielen. Ein Laptop etwa, eine Oud - ein Lauteninstrument, ein Anzug, ein Diplom, ein Schlüssel. Sie sind es, die schildern, wie sich das Leben ihrer Besitzer*innen in und um Damaskus durch den Krieg verändert hat.
Die Autorin und Grafikerin Luna Al-Mousli, Jahrgang 1990, hat selbst ihre frühe Kindheit in der syrischen Hauptstadt verbracht. Ihr Buch ist eine bittersüße Reise in ein Land, in dem nichts mehr so ist, wie es einmal war.
Luna Al-Mousli (2022): Um mich herum Geschichten. Frankfurt am Main: Westend Verlag. 150 Seiten. ISBN 978-3-949-67100-5.
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Daniel Schreiber: Allein
Für alle die ohne Partner unterm Weihnachtsbaum sitzen ist Daniel Schreibers Buch "Allein" eine große Empfehlung. Nicht als Trostgeschenk, weil es mit der Liebe (noch) nicht "geklappt" hat – wobei, man fühlt sich in seinen Gedankengängen doch sehr verstanden - sondern weil Daniel Schreiber wirklich gut schreiben kann. Der Autor, Mitte 40 alleinlebend, reflektiert das Leben allein - ohne Partner - und stellt ehrliche Fragen, die ihn umtreiben:
"Kann man alleine, ohne eine romantische Beziehung wirklich ein gutes Leben führen? Wie lernt man, mit seinem Alleinsein zu leben, ohne dass es weh tut, ohne sich anzulügen?"
In seiner Auseinandersetzung beschäftigt sich Schreiber besonders mit der Frage, welche Bedeutung Freundschaften im Leben von Alleinstehenden spielen. Wie unterscheiden sich Freundschaften von Paarbeziehungen, können sie das Bedürfnis nach Nähe stillen, oder sind sie als Modell nur auf eine Lebensphase beschränkt – bis alle um einen herum verheiratet sind und Kinder kriegen?
Das inspirierende an "Allein": Schreiber verknüpft seine Gedanken und persönlichen Erfahrungen mit Texten und Essays von Psycholog*innen, Kulturtheoretiker*innen wie Lauren Berlant und Philosoph*innen wie Jacques Derrida oder Roland Barthes. Dadurch bleibt sein Buch keine tagebuchartige Beobachtung, die sich um sich selbst dreht, vielmehr hebt er dadurch das ganze Thema auf eine höhere Ebene.
So stattet Schreiber seine Leser*innen unterhaltsam mit neuen Gedanken und Zusammenhängen aus. Und der ein oder die andere findet vielleicht einen treffenden Begriff für ein bis dahin konfuses Gefühl, das einem im Leben ohne Partnerschaft über den Weg läuft.
Daniel Schreiber (2021): Allein. Berlin: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. 160 Seiten, 20 Euro. ISBN: 978-3-446-26792-3.
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Maja Göpel: Unsere Welt neu denken
Unser Wohlstand hat einen Preis. Energie, billige Arbeitskräfte, natürliche Ressourcen. Das alles ist nicht kostenlos, sondern funktioniert nur auf Kosten anderer. So kann und soll es nicht weitergehen, fordern zunehmend mehr Menschen, im Privaten oder auch auf der Straße. Für all diese ist das Buch der Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Maja Göpel ein Hoffnungsschimmer.
Frau Göpel versucht mit dem Buch zuallererst aufzuräumen. Sie räumt auf mit der These, dass wir als Menschen immer mehr benötigen und dreht die These ins Gegenteilige um. Wir brauchen eher weniger als mehr. Durchweg nimmt sie dabei den/die Leser*in mit auf den Weg der Veränderung, wenn sie ihre immer wissenschaftlich fundierten Ideen zu Wachstum, technologischem Fortschritt und Konsum vorstellt.
Dabei kritisiert das Buch, verurteilt aber niemanden. Es spendet Hoffnung, resigniert aber nicht. Mit seinen 200 Seiten ist es zwar eher kürzer, vermittelt jedoch umfangreiches Wissen. Die Autorin ist gefragte Rednerin zu Transformation und Nachhaltigkeit. Im Buch motiviert sie auch, selber etwas in die Hand zu nehmen und zu verändern, damit irgendwann ihr Traum von der Zukunft in Erfüllung gehen kann. Eine Zukunft, in der wir wieder besser teilen können und gelernt haben, auch mal zufrieden zu sein mit dem, was ist.
Maja Göpel (2021): Unsere Welt neu denken- Eine Einladung. Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH 208 Seiten, 11,99 Euro. ISBN: 978-3-550-20079-3