Wenn die Evangelisch-Lutherische Gemeinde in Rom ihr Obdachlosenfrühstück veranstaltet oder afrikanische Mütter mit Windeln versorgt, kommen andere Menschen als sonst in das luxuriöse Diplomatenviertel an der Via Veneto. "Das verändert das Klima in unserer Straße", freut sich Gemeindepfarrer Jens-Martin Kruse, der wegen seiner ökumenischen Bemühungen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Nach anfänglichem Befremden spenden jetzt auch die Nachbarn für die sozialen Aktivitäten der 500 Mitglieder zählenden Gemeinde.
Entstanden ist die Gemeinde als Reaktion auf Missionierungsversuche durch katholische Geistliche. Zum ersten Gottesdienst in der Wohnung des preußischen Gesandten auf dem Marcello-Theater lud im Oktober 1817 ein Flugblatt ein, das im noch heute existierenden Caffè Greco (Google Maps) ausgehängt wurde – 300 Jahre nach dem legendären Thesenanschlag von Martin Luther (1483-1546). Wenig später bat der preußische Gesandte beim Heiligen Stuhl, Barthold Georg Niebuhr, König Friedrich Wilhelm III. um die Entsendung eines "ächt-evangelischen" Geistlichen.
"Von jeher sind Protestanten, welche Italien besucht haben, den Nachstellungen der katholischen Priester ausgesetzt gewesen, die durch Überredung und betörende Controversen, zuweilen auch durch dargebotene Vorteile und allerley Anlockungen ihre Zwecke zu erreichen gesucht haben", begründete der Gesandte 1817 seine Forderung nach einem evangelischen Pfarrer. Der Historiker Arnold Esch beschreibt diese Tendenzen als "Bekehrungssucht".
Kapelle in der preußischen Gesandtschaft
Die Feiern zum 200-jährigen Bestehen der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Rom beginnen am 2. April mit einem Festgottesdienst. Die Leitung hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm.
Niebuhrs Nachfolger, Christian Josias von Bunsen, verlegte die Gesandtschaft in den Palazzo Caffarelli auf dem Kapitol. Eine eigene Kapelle wurde in einem Lagerraum eingerichtet. Ihre protestantische Schlichtheit kontrastierte erheblich mit der Pracht der römischen Kirchen. "Die höchst einfache Gesandtschaftskapelle war früher, wie ihr Urbild, ein Stall", beschrieb der katholische Maler Ludwig Richter den Raum mit seinem "prosaischen Interieur".
Heute beachtet kaum ein Rom-Tourist das Fenster im Boden des Terrassencafés in den Kapitolinischen Museen, wenn er die Sicht auf die Altstadt genießt. Unter der Terrasse zu sehen ist das Innere der einstigen Kapelle, wo die Protestanten bis 1915 Gottesdienst feierten.
"Um eine Genehmigung war vorsichtshalber nicht ersucht worden"
Während nicht-katholische Gottesdienste innerhalb der Gesandtschaften gestattet waren, stellte der Aufbau einer Gemeinde eine Provokation des Heiligen Stuhls dar. "Um eine Genehmigung war vorsichtshalber nicht ersucht worden", kommentiert Historiker Esch die Einrichtung der Kapelle.
Auch für das angrenzende protestantische Krankenhaus gab es keine Genehmigung. Den religiösen und kulturellen Machtanspruch der Preußen dokumentieren noch heute das ebenfalls angrenzende erste deutsche archäologische Institut der Stadt und der kurz darauf im wilhelminischen Stil errichtete Nachfolgebau mit seinen Goldmosaiken, der heute von der Stadtverwaltung genutzt wird.
Als Rom nach dem Ende des Kirchenstaats 1870 Hauptstadt des italienischen Königreichs wurde, schmiedete die Gemeinde Pläne für eine eigene Kirche außerhalb der diplomatischen Vertretung. Die in einer Mischung aus wilhelminischem Stil und Neo-Romanik errichtete Christuskirche nahe der Via Veneto wurde dann wegen des Ersten Weltkriegs erst sieben Jahre nach ihrer Fertigstellung eingeweiht - 1922, praktisch gleichzeitig mit der Machtübernahme des faschistischen Diktators Benito Mussolini in Italien.
Während die Gesandtschaftskapelle noch im Zeichen eines auftrumpfenden Protestantismus eingerichtet wurde, gehen von der heutigen evangelisch-lutherischen Christuskirche wichtige ökumenische Impulse aus. Papst Franziskus schenkte der Gemeinde beim dritten Papstbesuch in der Geschichte des Gotteshauses symbolträchtig einen Abendmahlskelch.
Nicht nur zur katholischen Mehrheit, auch zu anderen Kirchen und zu Nichtgläubigen pflegt die Gemeinde gute Kontakte. Ohne jeden Stolz stellt Pfarrer Kruse fest: "Viele kommen, weil sie sich wohlfühlen, ob evangelisch, katholisch oder gar nichts."