Andreas Dresen hat schon oft beweisen, dass er sich wie kaum ein anderer deutscher Regisseur sowohl auf dramatische Ernsthaftigkeit als auch auf bekömmliche Komödienkost versteht. Seine Bandbreite reicht vom leichten Humor in "Sommer vorm Balkon" und "Whisky mit Wodka" bis zu tragischen Verwicklungen und Helden in "Halt auf freier Strecke" und "Gundermann".

Selten allerdings wagte er innerhalb eines einzigen Films einen erzählerischen Spagat wie den, an dem er sich nun in "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" versucht.

Von den US-Amerikanern nach Guantánamo verschleppt

Der Film erzählt die wahre Geschichte der Bremer Hausfrau Rabiye Kurnaz, deren ältester Sohn Murat im Herbst 2001, nur wenige Wochen nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center, unangekündigt zu einer Reise nach Karatschi in Pakistan aufbricht. Zunächst machen die aus der Türkei stammende Rabiye (Meltem Kaptan) und ihr Mann sich nicht zu viele Gedanken, doch dann stehen plötzlich Reporter vor Tür: Hier soll ein Taliban wohnen!

Murat war in Pakistan verhaftet und anschließend von US-Amerikanern nach Guantánamo verschleppt worden. Dort saß er bis auf Weiteres ohne Anklage ein, weil er ins Profil dessen passte, was nach 9/11 als Terrorverdächtiger galt. Der Film zeigt Rabiye als verzweifelt und ratlos, in ihrer Überforderung aber auch als überaus patent.

Vom Weißen Haus bis in die Türkei

Dank des Telefonbuchs und ein wenig Glück stößt die temperamentvolle Frau auf den norddeutsch-spröden Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer), der auf Menschenrechtsfragen spezialisiert ist und sofort erkennt, dass dieser Fall nur so strotzt vor Ungerechtigkeiten. Gemeinsam legen die beiden einen mühsamen Weg durch die Instanzen und Institutionen zurück, der sie bis ins Weiße Haus und auch in die Türkei führt. Und lange dauert: Erst 2006, nach 1.786 Tagen der Internierung, kehrt Murat Kurnaz nach Hause zurück.

Kurnaz’ Geschichte wurde hierzulande vielfach erzählt, nicht zuletzt von ihm selbst (seine Autobiografie ist unter dem Titel "5 Jahre Leben" auch verfilmt worden). Doch Dresen und seine Koautorin Laila Stieler konzentrieren sich nun ganz auf seine Mutter. Tatsächlich ist Rabiye Kurnaz, zumal in Meltem Kaptans energiegeladener Darstellung, eine fantastische Filmheldin: leidenschaftlich und naiv, mit ebenso viel Gerechtigkeitssinn wie Humor gesegnet, unverbogen und quirlig. Eine Figur wie gemacht dafür, eine Feelgood-Geschichte zu schultern, von Dresen warmherzig in Szene gesetzt und durch Scheers reservierten Anwalt wunderbar konterkariert.

Zweifelhafter Ansatz

Ob dieser Ansatz allerdings der richtige ist, um vom Fall Kurnaz zu erzählen, steht auf einem anderen Blatt. Sowohl Murats traumatische Erfahrungen als auch das Ausmaß des Versagens der deutschen Politik werden in "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" arg an den Rand gedrängt.

Und der Wahrhaftigkeit seines Films tut Dresen keinen Gefallen mit Kleinigkeiten wie dem Auftreten eines fiktiven, vollkommen uncharismatischen Hollywoodstars oder einem eigenen Cameo-Auftritt als Richter am Supreme Court.

 

Filmstart in Deutschland: 28.04.2022